Wahre Dichtung Oliver Stones inszeniert in seiner umstrittenen Jim-Morrison-Huldigung „The Doors“ eher psychedelischen Rausch als Geschichte.
Wahre Dichtung Oliver Stones inszeniert in seiner umstrittenen Jim-Morrison-Huldigung „The Doors“ eher psychedelischen Rausch als Geschichte.
Der Titel ist nicht ganz korrekt. Oliver Stones Film handelt eigentlich nicht von der Band The Doors, sondern von deren Leader Jim Morrison, dem Lizard King, schillernden Schamanen, Sexsymbol und Schmerzensmann. Zeitlebens unverstanden und früh verstorben – so hat er es zur Legende gebracht. Und daher spricht er zu Beginn die ersten Worte, die zugleich auch seine letzten sein werden. Er hockt in einem Tonstudio und murmelt, angetrunken vom Whisky, seinen düsteren Vers „The Movie“ ins Mikro. Als jemand bedauert, dass die Doors nicht dabei seien, antwortet der Sänger, der sich immer als Poet begriff: „Keine Musik, keine Doors.“
Die Szene leitet auch den Schlussakt in Paris 1971 ein. Kurz daraufist er tot, und die Kamera gleitet über den Friedhof Pere Lachaise, vorbei an den Grabsteinen von Oscar Wilde, Marcel Proust, Sarah Bernhardt. Morrison selbst hatte sich dort, zwischen den vermeintlichen Seelenverwandten, ein Grab gekauft.
Die Doors hatten 1967 mit der Single „Light My Fire“ einen Nummereins-Hit und im Verlauf ihrer kurzen Karriere auch zwei, drei famose Alben aufgenommen. Aber es gab bessere Bands und wichtigere Musiker in den 60er Jahren. Und ohne Morrison wären ihre Songs womöglich zwischen Psychedelia und Blues-Rock der Zeit nicht weiter aufgefallen. Im Film macht ein Plattenmanager den Musikern erst großspurige Versprechungen, um anschließend Morrison zu raten:
„Lass sie sausen. Mit deinem Aussehen und deiner Stimme machen wir eine Million im Jahr.“ Auf dem Cover ihres gleichnamigen Debütalbums ist dann auch Morrisons Gesicht groß im Vordergrund, während dahinter Organist Ray Manzarek, Gitarrist Robby Krieger und Schlagzeuger John Densmore im Halbschatten fast verschwinden. Es war seine erotische Präsenz, die Hysterie vor allem bei weiblichen Fans auslöste. Er war das männliche Pin-up seinerzeit: „Vergiss die Doors – du bist die Doors“, schwärmt im Film zudem eine Fotografin (Mimi Rogers), die Morrison mit freiem Oberkörper knipst: „Weißt du, was diese Bilderbewirken können?“
Dem einstigen Filmstudenten, der sich schon in einem Kurzfilm selbst inszeniert hatte, war das ebenso klar wie seinem Filmbiografen Oliver Stone, der ihn konsequent als „Gott des Rock und Sex“ stilisiert. Dafür fand er mit dem 1991 noch wenig bekannten Val Kilmer einen Hauptdarsteller, der Morrison ideal verkörpert, ja fast noch anziehender wirkt in seiner aufreizend lässigen Art. Federnder Gang, schläfriger Blick, die Lippen immer leicht geöffnet: Es gibt kaum ein Bild ohne Kilmer, und jedes ist pure Verführung. Es sollte öffentliche Orgien geben, faselt er am Venice Beach, wo er mit Manzarek (Kyle MacLachlan) gerade die Gründung einer Band beschlossen hat: „Wie bei Dionysos, als er in Griechenland ankam und alle Frauen verrückt machte.“
Seine Provokationen und sein oft wirres Geschwafel von Traumwelten, Trancezuständen und anderen Formen der Bewusstseinserweiterung machten ihn zudem zur perfekten Projektionsfläche für die Blumenkinder und esoterischen Grenzgänger. „Ich glaube an den Exzess“, lässt Stone ihn auf einer Pressekonferenz schwadronieren, „an die Ausschweifung der Sinne, um das Unbekannte zu erreichen.“
Den Summer of Love, Hippies auf Wiesen und prügelnde Cops in den Straßen, die Bombardements im Vietnamkrieg und die Proteste dagegen baut Stone als Schnipsel oder Fernsehbilder am Rande ständig in die Szenen ein. So spiegelt sein Porträt eines Sängers, der zugedröhnt durch Wüsten, in Hotelzimmern und über Bühnen taumelt, auch die politische und gesellschaftliche Stimmung, die Sinnsuche einer ganzen Generation wider.
Was ihn wirklich umtrieb, kann man nur vermuten. Das haben wohl nicht mal seine Bandkollegen verstanden, die später in ihren Biografien alle eine andere Meinung hatten. „Woher weißt du, was er braucht“, schnauzt die Musikjournalistin Kathleen Quinlan (Patricia Kennealy), die mit Morrison eine Affäre hat und ihn mit seinem
Hass auf seine Eltern konfrontiert, einmal Manzarek an.
Krieger und Densmore, der in der Studioszene den Tontechniker spielt, haben Stone beraten. Nur Manzarek verweigerte sich – obwohl er schon 1974 die Idee zu einem Film über die Doors gehabt hatte. In den Achtzigern sollen Francis Ford Coppola und Brian De Palma für den Stoff im Gespräch gewesen sein. Manzarek missfiel schließlich das Drehbuch von Randall Jahnson, und auch Stones filmischer Vision konnte er nichts abgewinnen. Was nicht verwundert: Zwar werden die Verdienste der drei Musiker ausreichend und respektvoll gewürdigt, aber bei Stones Huldigung des von Drogen und Alkohol umnebelten schönen Rebellen geraten diese Figuren etwas öde und verklemmt. Wie bürgerliche Mitläufer rudern sie in Morrisons obsessivem Sog mit.
Passabel kommt auch seine Dauerfreundin Pamela Courson weg, der gewöhnlich eher ein schlechter Einfluss auf Morrison nachgesagt wird. In „The Doors“ wird sie nun von Meg Ryan als harmloses, süßes Opfer seiner Eskapaden dargestellt, das eigentlich nur ein harmonisches Thanksgiving mit ihm feiern will. „Die Mädchen wollen meinen Schwanz, nicht meine Texte“, klagt der Dichter nach einem Streit mit ihr selbstmitleidig. „Ich bin ein Clown.“
Obwohl Stone sich chronologisch an die Geschichte der Band hält, ist der Film das Gegenteil einer akkuraten Nacherzählung. Er hat Details weggelassen oder verändert, Ereignisse wie die Aufnahmen der Alben „The Doors“ und „LA. Woman“, den Rummel nach dem Erfolg von „Light My Fire“ und die Skandale bei der „Ed Sullivan Show“ oder des Miami-Konzertes 1969 auf symbolische Momente verknappt. „The Doors“ ist keine Geschichtsstunde, sondern vielmehr reine Ekstase und Emotion mit Morrison als ikonografischem Kraftfeld. Um ihn herum hat Stone Bilder aus berauschenden Farben und Rhythmen montiert. Alles hier ist Musik.
Der Soundtrack enthält rund drei Dutzend Songs von den Doors und anderen Bands der Zeit wie den Antipoden The Velvet Underground, die etwa in einer Partyszene bei Andy Warhol zu hören sind.
Stone nutzt die Songs der Doors als narratives Element. So erklingt zu Beginn, als der Bub Jimmy mit seinen Eltern in der Navajo-Wüste einen Autounfall sieht, bei dem ein Indianer starb, „Riders On The Storm“. In der Doors-Gemeinde gibt es Deutungen, nach denen der Song von diesem Ereignis erzählen soll. „Love Street“ und „Moonlight Drive“ begleiten Morrisons erste Begegnung mit Pamela. Und „Break On Through“ illustriert die Anfänge, aber auch die Probleme der Band. Morrison singt den Song im Proberaum, als Densmore genervt abbricht und lamentiert, es klinge alles falsch. Manzarek ermahnt Morrison, er müsse sich an den Takt halten. Daraufhin wirft Krieger noch ein, er finde Morrisons Text irgendwie merkwürdig und präsentiert „Light My Fire“.
Solch eine Verdichtung von Situationen und Gefühlen gelingt Stone am virtuosesten mit „The End“, das sich gleich über vier Sequenzen streckt. Erst springt Morrison auf ein Autodach und brüllt: „I am the lizard king, I can do anything.“ Dann setzt die Gitarrenmelodie ein, der Film blendet in die Wüste über, wo die Band im Meskalinrausch halluziniert. Der Gesang beginnt, das Schlagzeug zieht das Tempo an. Als Morrison sich tot in einer Badewanne liegend sieht, steht er plötzlich auf der Bühne des „Whisky a Go-Go“ und schockt das andächtig lauschende Publikum mit der improvisierten Zeile „Father, I want to kill you/ Mother, I want to fuck you …“ Kilmer singt, wie auch etliche andere Songs, in dieser Szene selbst und windet sich auf dem Boden. Es ist ein Gänsehautmoment absoluter Raserei.
Neben „Fuck“ ist „Tod“ das häufigste Wort im Film. An den vielen Verschwörungstheorien zu Morrisons Ableben aber beteiligt ausgerechnet Stone sich nicht. Er zeigt ihn am Ende in der Badewanne konsequent als das, was er schon zu Lebzeiten war: eine schöne Leiche.
OLIVER HÜTTMANN