Wahnsinn mit Grusel-Garantie
Für die Mutter des siebenjährigen Knirpses dürften nach dieser Show im Pariser Olympia harte Zeiten anbrechen. Garantiert wird sich der Kleine nun einen Opa wie Screamin‘ Jay Hawkins wünschen – zu Ostern, zum Geburtstag und zu Weihnachten. Alteren Semestern hingegen dürfte allein der Gedanke, den Meister der R&B-Voodoo-Comic-Shows zum Verwandten zu haben, heftige Kopfschmerzen bereiten. Aber dem legendären Rock’n’Roll-Alchemisten gelingt es immer noch mühelos, sich mit seinem unnachahmlichen Kreisch-Knödel-Bariton, garniert mit vielen Tricks, in die Herzen der Fans zu mogeln.
Ob mit aufgesetztem „Drei-Tenöre“-Pathos geschmettert oder im hausgemachten Black-Magic-Karnevals-Kauderwelsch getappt – mit seinen Songs und seiner Performance packt er sie alle. So macht er’s seit 50 Jahren, und wenn ihm einer rät, mal etwas verkaufsfordernder – „so wie das Kollege Fats Domino tut“ – zu singen, dann verpaßt der Ex-Box-Champ auch einem Plattenboß schon mal ein blaues Auge.
Was ihn zum Unikum des Showbiz werden ließ, verrät seine Vita; JalacyJ. Hawkins kam kurz nach seiner Geburt am 18. Juli 1929 ins Waisenhaus von Qeveland und wurde von Schwarzfußindianern adoptiert. Mit 13 meldete er sich zur Armee, mit 18 zur Airforce, er spielte in einer Militär-Band Saxofon und lernte Boxen. Nach dem Abschied hatte er nur ein Ziel: hinein ins Show-Wunderland. Dort gab er fortan den Oberwahnsinnigen derart genial, daß Adepten ä la Alice Cooper, Ozzy Osbourne oder George Clinton noch heute ehrfurchtsvoll zu ihm aufblicken.
Nie zuvor hatte es jemand gewagt, mit veritablen Särgen, Totenköpfen, Schlangen, Flammen und Rauch sein Konzert in ein Inferno zu verwandeln. In den prüden Fünfzigern hielt Jay unter US-Künstlern obendrein den einsamen Rekord in der Disziplin „Affären und Scheidungen“. Bis dato war der Unersättliche angeblich neunmal verheiratet und rühmt sich 33 Kindern. Die jüngste Mrs. Hawkins (die Heirat war im Februar) stammt aus Kamerun, ist 29 und lebt mit dem 69jährigen Twen im noblen Neuilly, Hawkins‘ 39. Wohnsitz. Nur ein einziger Kumpan aus alten Zeiten hielt ihm bis heute die Treue, wenn auch nur auf der Bühne: der gute Henry, ein Totenkopf, den er vor 40 Jahren in New Orleans von einer Vbodoo-Queen erhielt und den er auf einen Spazierstock voller Ketten, Rasseln und allerlei Talmi verpflanzte.
Nach eigenen Aussagen inzwischen „gereift“, verzichtet Hawkins weitgehendst auf den Budenzauber früherer Tage. Seit 1989 weiß er seinen Status auch so richtig zu schätzen: Als Jim Jarmusch ihn und seinen Klassiker „I Put A Spell On You“ in dem Kultfilm „Mystery Train“ zu späten Ehren kommen ließ. Kurz drauf noch der Hit mit seiner Interpretation von Tom Waits‘ „Heartattack And Vine“ – leider für eine Jeanswerbung. Was Waits nach der gewonnenen Copyright-Klage so ganz nebenbei zum Millionär machte.
Er selbst lebt nun auch nicht schlecht von seinen Songs. Allein 28 Versionen von „I Put A Spell On You“ gibt’s bis dato. Die von EttaJames gefallt ihm am besten, die von Bette Middler am wenigsten. Was soll’s, seine Devise lautet: „Hauptsache, die Kohle stimmt.“ Und ob die stimmt. Er hat mehr auf dem Konto, als er zu Lebzeiten noch verbraten kann. Ergo wird er wohl kaum – wie die Schlange vorm Kaninchen lauernd – verfolgen, wo sein aktuelles Album ?At Last“ in den Charts gelandet ist.
Ein erkleckliches Sümmchen läßt ihn im Frühjahr ’98 gern auf die Bühne des Olympia steigen. „Ausverkauft“ heißt es an den Kassen, aber draußen glauben noch Scharen exotischer Fans an Voodoo oder eine Sitzplatz-Vermehrung dank der Magie des Meisters.
Der raunt zur Begrüßung verheißungsvoll: „Wartet nur, bis ich in Eure Köpfe gedrungen bin.“ Und dann zaubert er das volle Programm bewährter Accessoires für das Kindererschrecken aus dem Medizinköfferchen: u. a. eine Plastik-Kobra, das eiskalte Händchen, eine Riesenspinne und ein Mini-Klo. All das gelangt peu ä peu zum Einsatz, wenn Jay fortan „Have Mercy“ schreit, „Mercy Beaucoup“ kiekst oder „My Woman Left Me“ krächzt. Und nach dem obligatorischen „I Put A Spell On bu“ gehn alle „unerschrocken heim.
Der Boris Karloff des Rock-Grusels empfangt anschließend noch den Familien-Clan der Gattin plus diverse Verehret Und gibt gern ein paar Karriere-Highlights preis. Das grauenvollste: als man ihm einmal Blutwurst auftischte. Entsetzt konnte er da nur noch ächzen: „Ich bin für alle Scherze zu haben, aber ich bin kein Vampir!“