waaahnsinn… wenzel! Die psychedelische Filmfabrik des Wenzel Storch
Der tollkühnste deutsche Filmemacher lebt und arbeitet im provinziellen Hildesheim. Seit dem Kultfilm "Sommer der Liebe " ist der Autodidakt zwar Liebling des Feuilletons, aber weiterhin chronisch klamm. Sein pompöses neues Opus verheißt - trotz der Storch üblichen Laienspieler - großes Kino
Die Füße stecken in Latschen, aus denen der Schaumstoff quillt. Die Beine hat er in einer von Flecken übersäten Nietenhose versteckt, der bizarr frisierte Kopf lugt aus einem Pullover heraus, dessen Ärmel man nur noch erahnen kann. Und was da im Nacken baumelt, war wohl mal ein Hemdkragen. Deutschlands hoffnungsvollstes Regietalent trägt seine Klamotten so lange, bis sie in ihre Einzelteile zerfallen. Man könnte den Mann glatt in ein Museum stellen.
Der Typ heißt Wenzel Storch. Er hat gerade seinen dritten Film in der Mache und genießt hier zu Lande so etwas wie einen kultischen Ruf. Seit seiner durchgeknallten Hippie-Hommage „Sommer der Liebe“ hat Storch das deutsche Feuilleton auf seiner Seite. Diesen Ruhm sieht man dem 39-Jährigen weiß Gott nicht an. In der niedersächsischen Bischofsstadt Hildesheim interessiert das auch keinen.
Hildesheim? Die Gerade-mal-Großstadt galt einst als das „Nürnberg des Nordens“. Von der fränkischen Lebkuchen-Metropole unterscheidet sich unsere kleine Stadt mit den unzähligen Kirchtürmen durch den bedauernswerten Umstand, dass ihre einst idyllischen Fachwerkhäuser im 2. Weltkrieg in Schutt und Asche gelegt wurden. Den Marktplatz hat man vor ein paar Jahren restauriert, jetzt sieht er aus wie ’ne Schwarzwälder Kirschtorte. Einen Sprung weiter steht der Dom, unlängst zum Weltkulturerbe erhoben. Drinnen blüht gelegentlich der Tausendjährige Rosenstock, der tatsächlich erst knapp 750 Lenze auf seinem Buckel hat und laut Storch, der die Reliquie schon mal auf LSD inspizierte, „aussieht wie Unkraut“. Keine einfache Aufgabe für einen Oberbürgermeister, solch eine Stadt zu repräsentieren. Doch der Würdenträger ist einfallsreich. Wer kann sich schon von seinem eigenen Bürgermeister operieren lassen? So was gibt’s nur in Hildesheim, wo der OB hauptberuflich als Chirurg im Städtischen Krankenhaus mit der Knochensäge hantiert. Kein Wunder, dass bestimmte Menschen in einer solch eigenartigen Atmosphäre auf komische Gedanken kommen. Bei Wenzel Storch ist das schon sehr früh der Fall gewesen. Auf Betreiben des tief religiösen Vaters wird der Dreikäsehoch Diener am Tisch des Herrn. Eines Tages soll der Ministrant einmal ein richtiger Priester sein. Dass er stattdessen seine komischen Predigten auf Zelluloid halten würde, ahnt damals, Ende der 60er Jahre, noch niemand. Vorerst aber muss der Steppke jeden Sonntag im Gänsemarsch mit Vater, Mutter und Bruder zum Gottesdienst. Und das läuft stets nach dem gleichen Drehbuch ab: Vater Storch rasiert sich in letzter Minute und rennt mit blutender Backe aus dem Haus, die in Wenzels Erinnerung grauenhaft ausstaffierte Familie im Schlepptau. Stets hatte der Gottesdienst schon begonnen, und unter Gepolter nimmt diese seltsame Truppe nun in der ersten Reihe Platz. Das Leben zwischen Tabernakel und Opfertisch ist sterbenslangweilig. Zumal der Knabe an einen hochbetagten Priester gerät, der einen ganz besonderen Trick drauf hat, die Messe künstlich in die Länge zu ziehen. Da er unter Muskelschwund in den Augenlidern leidet, klappen ihm die Dinger ständig runter, und Hochwürden steht im Dunkeln. „Dadurch wurden die Kirchgänge endlos“, erinnert sich Wenzel mit Schaudern. Stoisch erträgt die Gemeinde das seltsame Schauspiel, während der Bub davon träumt, „später mal Rocker zu werden und Haare bis zum Arsch zu haben“. Manchmal geht die Phantasie mit ihm durch: „Am liebsten hätte ich dem Pfarrer zwei abgebrannte Streichhölzer zwischen die Klüsen geklemmt!“
„Jetzt lass uns mal von was anderem reden.“ Storch ist sichtlich genervt, wenn es um seine Kindheit geht. Unterhalten wir uns also über den beruflichen Werdegang. Wenzel ist stolz darauf, auf seinem Gebiet keinerlei Ausbildung vorweisen zu können. Statt sich auf Filmhochschulen „Quatsch beibringen zu lassen“, hat er einfach irgendwann angefangen zu drehen. Die erste Super-8-Kamera war nicht größer als zwei Scheiben Brot „Der Wenzel hat früher selbst nicht an den Erfolg geglaubt“, mutmaßt sein Cutter Iko Schütte, der vom ersten Take an dabei ist. „Wer konnte damals schon ahnen, dass andere Leute seine bizarren Visionen goutieren würden?“ Heute dreht Wenzel mit einer 35-mm-Arriflex, die „so schwer ist wie ein Kachelofen“, und wird schon mal mit Terry Gilliam (Monty Python) verglichen. Das hört er aber gar nicht gern.
Wer nicht an Filmtheorien glaubt, braucht auch keine Regie-Vorbilder. Dennoch können Storchs Werke eine Geistesverwandtschaft zu den amerikanischen Independentfilmern John Waters und Russ Meyer nicht verhehlen. Wie diese Underground-Ikonen ist auch er der Meinung, dass übergewichtige Schauspieler die doppelte Gage bekommen sollten. Sie füllen eine Leinwand besser aus, und man benötigt weniger Kulissen. Auch fehlende „Zähne und Hautausschläge aller Art versteht er bestens in Szene zu setzen. Nach dem Motto: schön geschmacklos, aber mit viel Liebe zum Detail. „Ich will nix weiter als mit der Handkamera durch selbst gebastelte Kulissen kurven. Dabei haben nun mal echte Schauspieler nichts zu suchen.“ Storch arbeitet aus Überzeugung ausschließlich mit Laien, „denn sie wissen nicht, was sie tun“. Ist ihm mal wieder ein ahnungsloser Amateurmime ins Netz gegangen, fordert er alles. Erstaunlich, dass es am Drehort noch nie zu einer Meuterei kam. Da aber alle Beteiligten wissen, dass sie dank des Meisters eines Tages mit Pauken und Trompeten in die Filmgeschichte eingehen werden, murren sie erst, wenn der Oberspielleiter den Schauplatz verlassen hat. Dann machen schon mal Sätze wie, -„Der will uns kalt machen!“ die Runde. Da Storch tatsächlich am liebsten bei extremem Frost oder brütender Hitze dreht, verpasst ihm ein „taz“-Reporter, der sich beim Zugucken fast den Tod holt, den Titel „der Amundsen unter den deutschen Regisseuren“. Und überhaupt wird der eigenwillige Filmer in letzter Zeit geradezu mit Superlativen überschüttet: „Deutschlands bizarrster Regiestar“ („Die Woche“), „Verrücktes Genie“ („Der Spiegel“) oder gleich „Deutschlands bester Regisseur“ („Titanic“).
Zurück zu den Anfängen: Im Herbst 1982 bezieht Wenzel ein neues Domizil in einem sozialen Brennpunkt Hildesheims. Das von seinen Bewohnern liebevoll „Bronx“ titulierte Getto liegt versteckt zwischen Bahndamm, Schnellstraße und stinkenden Industrieanlagen. Inmitten der trostlosen Wohnblocks erhebt sich ein uralter Backsteinbau. Um die Jahrhundertwende wurden in der ehemaligen Postkutschenstation die Pferde gewechselt Im Souterrain des zweistöckigen Hauses befindet sich der verrufenste Tante-Emma-Laden der Stadt. Bei Kuddel und Irmchen geben sich die härtesten Gestalten ein feuchtfröhliches Stelldichein. Schon mit Anbruch des Tages steht die durstige Kundschaft vor dem Etablissement Schlange. Topfit, vor allem Baron von Lallu, eine Art Hauptmann von Köpenick aus Hildesheim. Ein paar Jahre zuvor hatte der ehemalige Fremdenlegionär in Irmchens Spelunke eine Teufelswette angeboten. Er wolle sich einen Kampfpanzer unter den Nagel reißen und damit die Ostzone angreifen. Gesagt, getan. Ein paar Tage später versammelte sich die Wettgemeinschaft, mit Bierkisten bewaffnet, vor der Kaserne und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Was dann passierte, schien den Anwesenden fast wie ein Deliriumstraum. Lallu, der sich in einem Geschäft für ausrangierte Militärkleidung eine Second-Hand-Uniform besorgt hatte, saß wie Graf Koks in einem Jeep und dirigierte den Panzer vom Gelände. Unter dem Jubel des Publikums brach die kleine Karawane in Richtung Ostfront auf. Kurz vorm Ziel hatte der falsche General die Knobelbecher voll und trat den Rückzug an. Zuflucht fand der Mann, der fast den Dritten Weltkrieg vom Zaun gebrochen hätte, in einem Wäldchen kurz vor Helmstedt. Den Kasten Bier hatte er zwar gewonnen, durfte ihn aber vorerst nicht austrinken, da er wenig später für drei Jahre hinter schwedischen Gardinen verschwand.
Vom tragischen Baron von Lallu, der zu diesem Zeitpunkt noch nichts von seiner bevorstehenden Filmkarriere ahnt, richten wir den Spot wieder auf Wenzel. Das besagte Haus beherbergt Anfang der 80er Jahre die Creme der lokalen Underground-Szene. Hinter den Mauern herrscht eine unvorstellbare Unordnung. Zwischen angeschimmelten Wänden trifft man hier jene Leute, die später die Keimzelle der Storchschen Filmfabrik bilden: darunter Diet und Iko Schütte. Die Brüder spielen in so obskuren Bands wie Schweine im Weltall und Die fliegenden Unterhosen und verlegen ihre Musik, eine scheppernde Mischung aus Punk, Reggae, Industrial und New Wave, auf dem eigenen Label „Pissende Kuh Kassetten“. Nebenher geben sie sonderbare Fanzines wie „Der Knilch“ heraus. ’85 erscheint Storchs Solo-Tape „Hey Wenzel!“. Auf diesem Kleinod hören wir Aufnahmen von Wenzel & Piep, den 3 Beknackten und dem Orchester Erich Lanuschny alias Lallu, der nach seiner Zwangspause den Lieblingschanson „Bimmelbahn“ im Industrial-Gewand zum Besten gibt Textprobe gefällig? „Wenn der Lude mit der Tilly in der Kleinbahn fährt/und die Kleinbahn macht Bimm-Bimm/spricht der Lude zu der Tilly/ich bepiss dich mit der Nilli/bis du abschwimmst nach Berlin.“
Unter diesem Dach zwischen Mäusen und Käfern findet Lebenskünstler Storch zahlreiche Mittäter für die Umsetzung seiner wahnwitzigen Ideen, die er bei jeder Gelegenheit auf Papier notiert. In der alkoholschwangeren Atmosphäre rund um das „Haus of Freaks“ entsteht Stück für Stück das Drehbuch zu seinem Debüt „Der Glanz dieser Tage“. Ein abendfüllender Spielfilm, randvoll mit „Blut, Hass und Nächstenliebe, Pornos, Predigten und Verfolgungsjagden“, schwebt ihm vor. Auf der Leinwand, so Storchs bizarre Vision, soll es drunter und drüber gehen, „wie Sodom und Gomorrha“. Kurzum: Er will einen LSD-Trip verfilmen, „so schön bunt und ballaballa wie auf Pille, aber trotzdem für die ganze Familie“. Ein drogengeschwängertes Gebet aus Zelluloid, in Szene gesetzt von echten Menschen. Und so kommt es, dass ein 64-jähriger Ex-Brummifahrer aus Hannover zum Star eines psychedelischen B-Movies wird.
Hauptdarsteller Jürgen Höhne ist die deutsche Antwort auf John Wayne und Louis de Funes in einer Person. Durch seine unnachahmliche Art hat er sich eine eingeschworene Fangemeinde erspielt. Man kann ihn getrost als Meister des Extrem-Acting bezeichnen. In einer blutigen Sequenz muss er sich in einen Römertopf zwängen. „Dann haben sie mir die Beine abgesägt“, erinnert sich Höhne mit Schaudern. „Anschließend war ich drei Tage krank. Es fehlte nicht viel, und ich hätte den Löffel abgegeben.“ Seitdem wacht Storch mit Argusaugen über das Drehbuch. Erst kurz bevor die Kamera läuft, erhält Höhne seine Anweisungen. „Damit mich der Wenzel überraschen kann und ich nicht nee sagen kann, wenn wieder mal was Fieses geplant ist“
Baron von Lallu ist beim Erstversuch auch mit von der Partie und mimt in der Super-8-Katholikenposse einen schrecklich erkälteten Orgelspieler. Wie weiland Jim Knopf werden seine Bewegungen von Fäden gesteuert. Bei Trickszenen wie dem Popel-Transport zum Vatikan fühlt man sich unweigerlich an die Augsburger Puppenkiste erinnert. Die Verbindung von Real- und Trickszenen soll fortan zum Markenzeichen des Regisseurs werden.
Filmemachen kostet viel Geld, doch die Kassen des Regisseurs sind chronisch leer. Um an die Subventionen der Hamburger Filmförderung zu kommen, hat sich Storchs Laienspielgruppe etwas Besonderes einfallen lassen. Unter den staunenden Augen von Gremiumsmitglied Conny Froebess entsteht eine wackelige Bühne, auf der nun Szenen aus „Der Glanz dieser Tage“ vorgespielt werden sollen. Nach wenigen Augenblicken kracht das Teil zusammen – und Storch hat seine Zusage. „Statt der gewünschten 300 000 Mark gab es nur 37 500. Und wir hatten ein Drehbuch, das eigentlich nur Profis mit einem Riesenbudget, 1000 Kränen und was man da noch alles braucht, verfilmen können. Stattdessen standen da vier, fünf Leute mit ’ner Tube Pattex.“
Im Winter 1989 ist „Der Glanz dieser Tage“ endlich fertig und wird zum Festivalrenner. Das große Publikum bleibt dem jegliche Konventionen sprengenden Streifen allerdings fern. Im belgischen Parlament entfacht der Film eine Posse. Dort debattiert man über seine angeblich blasphemischen Inhalte. Nur Belgiens Medien-Minister hat das Werk verstanden und bezeichnet es als „Klassiker des Filmliteratur“.
Wenzel Storch ist nicht einfach nur ein Witze-Verfilmer. Harmlose Komödien von der Stange sind nicht seine Sache. Neben schreiend komischen Episoden muss man sich auf gruselige und verstörende Bilder gefasst machen. In „Der Glanz dieser Tage“ wird eine niedliche Puppe von einem notgeilen Frosch vergewaltigt. Das Gehnicht-mit-dem-bösen-Onkel-Thema wird in der Hippie-Hommage „Sommer der Liebe“ wieder aufgegriffen, wenn die süße Tramperin Fritzi von einem Triebtäter zur „Popwurst Fritzi“ verhackstückt wird. Von einer geplanten Puppentrickverfilmung der berühmt-berüchtigten Tate/LaBianca-Morde ist das Publikum verschont geblieben, „allerdings nur, weil der ,Sommer der Liebe‘ nicht länger als 90 Minuten werden sollte“.
Das Gemetzel der Manson-Family sollte mit Peter Maffays Schlager „Charley’s Leute“ unterlegt werden, für den sich Storch die Rechte gesichert hatte. „Dem Verlag haben wir natürlich nicht erzählt, dass wir uns unter Charleys Leuten Manson und Co. vorgestellt haben. Das wäre eine lustige Szene geworden: Langhaarige Kasper, die auf Trip durchdrehen und ihre unschuldigen Nachbarn mit Messer und Gabel stechen!“ Auch ohne derartige Schauerlichkeiten wird sein zweiter Streich „Sommer der Liebe“ aus dem Jahr 1993 zum erfolgreichsten deutschen Super-8-Spielfilm aller Zeiten. Entstand das Debüt noch unter dem Motto: Kamera drauf, mal kucken, was dabei rauskommt, ist der Nachfolger eine Mixtur aus Planung und Improvisation.
Doch auch diesmal ist der Regisseur nicht reich geworden, sondern wieder mal nur mit Ach und Krach über die Runden gekommen. Aber Storch ist froh, dass ihm kein Geldgeber da reinreden kann. „Wenn mir so ein Produzent weismachen wollte, dass zum Beispiel eine Szene, in der Jürgen Höhne die Vaginalzäpfchen seiner Angebeteten lutscht, den Geschmack des Publikum verfehlt, würde ich sofort die Kamera fallen lassen und nach Hause gehen.“
Die künstlerische Freiheit fordert allerdings ihren Tribut, und so ist Storch vorerst zum Hungerkünstler mit chronischem Geldmangel und null Luxus verdammt. Er besitzt noch nicht einmal einen Videorekorder, mit dem er die eigenen Filme ankucken kann, und weiß auch schon gar nicht mehr genau, „wie die gingen“. Was soll er außer Filmen schon machen? Er hat ja nichts Ordentliches gelernt! Zweifellos ist Wenzel Storch mit seiner Kompromisslosigkeit auf dem richtigen Weg.
Der Erfolg des „Sommers der Liebe“ öffnet Türen. Das nächste Projekt wird von vier Bundesländern gefördert. Storch hat ein klares Ziel: „Wenn das Budget viermal so hoch ist wie zuvor, müssen auch die Kulissen viermal höher werden!“ Gesagt, getan. In dreijähriger Knochenarbeit stampfen viele fleißige Hände in einer 1000 qm grossen Lagerhalle am Hildesheimer Hafen einen gigantischen Vergnügungsdampfer und ein prunkvolles Schloss aus dem Boden. Im Bauch des Schiffes befinden sich Ballsaal, Bordkino, Maschinenraum und labyrinthische Korridore. Auch in das dritte Unternehmen hat sich die katholische Kirche wieder reingemogelt, wenn auch nur am Rande. „Es gibt da eine Szene“, erklärt Storch, „wo eine komplette Kirche von einer Riesenschnecke vergewaltigt wird. Das ist aber nicht so gruselig wie es klingt, sondern eher lieb gemeint. Ich dachte, zur Abwechslung bieten wir dem Publikum auch mal ein bisschen Erotik.“
Eingezwängt in einen glockenförmigen Taucheranzug mit Gummischläuchen an den Gliedmaßen muss Storchs Lieblingsdarsteller Jürgen Höhne seine erste Sex-Szene spielen. „Meine Frau weiß davon gar nichts. Wenn die den Film sieht, bricht sie zusammen“, fürchtet der ansonsten unerschrockene Mime. Höhne spielt den mit allen Wassern gewaschenen Kapitän Gustav, der mit seinem Vergnügungsdampfer auf einer geheimnisvollen Insel strandet. Zu seiner Mannschaft gehören echte Tiere wie Eulen, Frösche, Gottesanbeterinnen und sogar ein ausgewachsener Braunbär. Schon bald fetzt sich die Schiffscrew mit dem bösen König Knuffi, der in seinen goldenen Pampers Angst und Schrecken auf dem Eiland verbreitet. Am Drehort muss man sich seinen Weg durch ein Chaos aus Schwermetall-Uzis, Taucherflossen, Gehirnattrappen, Krokodil-, Elch- und Walrossmasken, Farbeimern und Barockkleidern bahnen. „Wo ist die Drehbuchseite 65 geblieben?“, ruft Storch nervös in die Runde. Das Blatt ist leider nicht mehr zu gebrauchen, denn das weiße Karnickel, das im Laufe des Films zu einer puscheligen Zeitmaschine mutiert, hat sich auf ihm erleichtert. Glücklicherweise kennen Regisseur und Aufnahmeleiterin die Szene auswendig. Die Darsteller erfahren erst unmittelbar vor dem nächsten Take, welchen Text sie zu sprechen haben. Wenzel kennt seine Pappenheimer: „Die meisten sind doch viel zu faul den Text zu lernen.“
Der Film, Arbeitstitel „Coconut Dream“, ist zwar noch nicht ganz fertig, aber Testvorführungen zeigen, dass hier alles zusammen kommt, was Wenzels Werke auszeichnet: Die Ausstattung erschlägt einen fast mit ihrem Detailreichtum und ruft Erinnerungen an opulente Jules-Verne-Verfilmungen wach. Überall funkelt und glitzert es wie sonst nur zu Weihnachten. Hunderte von Glühbirnen erleuchten die mit eimerweise Goldlack veredelten Dekors des Schlosses; im Bauch eines riesigen Schiffes tuckert, dampft und zischt eine bizarre Maschinerie. Über die Leinwand flimmert eine wilde Mischung aus Trick- und Realszenen, fotografiert von einer nie stillstehenden Kamera.
Insgesamt wartet das Leinwandspektakel mit weniger Chaos und Absurditäten auf zugunsten einer richtigen Handlung. Dazu gibt’s wieder jede Menge beknackte Dialoge und dumme Sprüche. Leider ist dem Maestro mitten in der Produktion das Geld ausgegangen. Das Budget ist inzwischen im sechsstelligen Bereich überzogen, private Darlehen und eine Benefizveranstaltung sorgen dafür, dass die Maschinerie nicht ins Stocken gerät Wenn der Herrgott aber keinen Strich durch die (unbezahlte) Rechnung macht, kommt der Streifen im Frühjahr 2001 in die Lichtspielhäuser.
In Kürze werden die stummen Bilder zum Sprechen gebracht. Dem versoffenen Bären, der schon neben Gerard Depardieu in „Asterix“ spielte, leiht Harry Rowohlt seinen Brummbass. Wie bei den „Vätern der Klamotte“ spielen Musik und vor allem Geräusche eine gewichtige Rolle. Soundmann Iko hat schon als Kind mit Begeisterung Hörspiele voller Explosionen und Autounfälle aufgenommen. Jetzt produziert er Töne mit den unmöglichsten Materialien wie Plastiktüten, Flaschen, Dosen oder Schmirgelpapier. Sein Bruder Diet bastelt derzeit am Soundtrack; eine Trash-Symphonie soll es werden. „Wenzels Visionen schreien nach opulenten Klängen“, weiß der experimentierfreudige Komponist „Vielleicht werd ich alle Feuerwehrkapellen des Umkreises ins Studio holen.“ Und was macht der Storch, wenn alles fertig ist? Wie es die Tradition verlangt, gönnt sich der Workaholic nach jedem Werk eine Mikropille LSD. Storch weiß noch nicht genau, ob er sich diesmal treu bleiben wird: „Schon wieder den Belohnungstrip einpfeifen? Mal kucken.“ Oder doch lieber einen klaren Kopf bewahren? Er sollte sich mit der Entscheidung sputen, bevor’s wieder von vorn losgeht und bald noch größere Kulissen den Hildesheimer Dom überragen.