Von weinenden Steinen
Ausnahmeerscheinung Haldern-Pop-Festival: Auch in diesem Jahr wurde das gemütliche Musik-Treffen am Niederrhein seinem guten Ruf gerecht
HALDERN, RHEINLAND. Ehrlich gesagt: Ich mag Rock-Festivals nicht besonders —- zu viele Besoffene, zu viele Bands, zu viel Matsch und vor allem: zu viele Sponsoren mit ihrem marktschreierischen Gehabe. Und jetzt stehe ich selbst hier, mitten im Matsch von Haldern. Es ist windig und regnet – aber ich amüsiere mich wie Bolle. Weil Haldern Pop auch nach 25 Jahren noch so wirkt, als würden ein paar alte Freunde einfach eine große Party ausrichten. Nur zum Spaß, aber perfekt organisiert.
Hier die Beweise: Nach den tollen Fleet Foxes sorgen Yeasayer am Donnerstag für einen ersten Höhepunkt im wunderbar atmosphärischen Spiegelzelt. Noch schweißtreibender als auf dem Album fusioniert die Band aus Brooklyn die unterschiedlichsten Formen von „Weltmusik“ in der Kernschmelze des Rock.
Gegen 22 Uhr und nach einem heftigen Gewitterregen eröffnen die Foals dann endlich auch die große Bühne. Noch vor einem halben Jahr tobten sie in kleinen Keller-Clubs, nun zeigen die fünf Briten mit einer herrlich hysterischen Choreografie, dass die Songs ihres Debüts nicht nur auch, sondern gerade im großen Rahmen funktionieren.
Ein paar hektisch gekippte Biere später befinden wir uns plötzlich inmitten eines psychedelischen Kindergeburtstags: Konfetti, Ballons und Luftschlangen regnen vom Himmel, bonbonfarbene Kunstnebel steigen auf und zwei Dutzend Teletubbies hüpfen winkend umher — während auf einer riesigen Video-Wand die Bilder explodieren. Als die Flaming Lips das wunderbare „Race For The Price“ anstimmen, rollt Sänger Wayne Coyne im Inneren eines gigantischen Ballons über die Köpfe des Publikums. Gut, die Show war so ähnlich schon auf der letzten Tour der Band zu sehen. Aber wenn man im Bühnengraben steht und dieser Wahnsinn auf einen herabrieselt wie ein honigsüßer Marshmallow-Regen, dann ist das wie ein Besuch in Willy Wonkas Schokoladen-Fabrik. Den anschließenden „Geheim-Auftritt“ von Fettes Brot haben wir uns wegen Reizüberflutung geschenkt.
Der Freitag beschert uns Sonne und Regen im halbstündigen Wechsel -Jack Penate macht das Beste draus: Im rot karierten Sommerhemd beklagt der 23-jährige Brite das Wetter – und sorgt mit seinem süffig-schmissigen Pop dafür, dass die Stimmung trotzdem nicht in den Keller geht. Joan As Police Woman kann da leider troz beachtlicher Frisur und androgynem Glam-Rock-Outfit ebenso wenig mithalten wie Kula Shaker mit ihrem Griff in die psychedelische Klamottenkiste des Pop.
Dann lieber schnell ins Spiegelzelt: Dort sorgt dort der junge Hamburger Liedermacher Gisbert zu Knyphausen für offene Münder. Schon vor seinem Auftritt schrieb er zahllose Autogramme – und nicht nur für junge Mädchen. Zu Knyphausen kann ausgesprochen heftig rocken, trifft aber auch leisere, sehr persönliche Töne. Der wird noch mal in der Regener-Liga spielen, Wort drauf.
Das wie stets nette Indie-Mädchen Kate Nash gibt sich dann zwar Mühe, aber die uniformierte Band poltert ziemlich. Nicht uninteressant dagegen die 22jährige Schwedin Lykke Li. Zumindest musikalisch ist ihr exzentrisch spinnerter Pop toll. Doch leider sind Ansagen und das alberne Gehampel der Sängerin aus dem Buch der verbotenen Pop-Platitüden geklaut. Selbigem entstammt auch der später auf der großen Bühne dargebotene Gothic-Wave-Pop der Editors mit Coldplay-Konnotationen — gegen die wirklichen Fürsten der Finsternis von Bohren & der Club of Gore, die spät am Abend im Zelt brillieren, wirken die Editors wie Tokio Hotel.
Was vom Samstag bleibt: Okkervil River, The National und Maximo Park. (Letztere die lange geheim gehaltenen Halb-Überraschungsgäste des Festivals.) Alle in prächtiger Spiellaune und mit fantastisch gemixtem Sound. Auch Iron & Wine fangen großartig an: Samuel und Sarah Beam stehen zu zweit auf die Bühne und singen so herzergreifend schön, dass selbst die Steine zu weinen beginnen. Doch leider kommen dann noch ein halbes Dutzend Mucker dazu, die den größten Teil des Konzerts mit spannungslosen Improvisationen zerjammen. Jamic Lidell ist dagegen unfassbar gut, weil er den etwas zahmen Soul von „Jim“ mit dem wilden Electro-Funkvon „Multiply“ anheizt.
Die Letterman-Show erprobten Gutter Twins verleihen dem 25. Haldern Pop Festival zum Schluss einen gewissen altmeisterlichen Touch. Nach der Show wirkte sogar Mark Lanegan prächtig gelaunt: „Welcome back my friends, to the show that never ends.“ Wir sehen uns nächstes Jahr. In Haldern.