Von Hollywood begehrt, von den Vertretern seiner Zunft verehrt, schreibt der Crime-Fiction-Meister Elmore Leonard noch im hohen Alter jährlich ein Buch
Den letzten großen amerikanischen Erzähler hat man ihn genannt, den Dickens von Detroit, den stilsichersten Schreiber der Crime Ficn’on, Es gibt keine Ehrenbezeugung, mit der man Elmore Leonard nicht schon überhäuft hätte. Und keinen Kollegen, dem er nicht irgendwann einmal als Vorbild diente. Das gilt für ältere Hardboiled-Dramatiker wie Ed McBain und die jüngeren wie James Ellroy, für die Dixie-Fraktion um James W. Hall und James Lee Burke, und sogar für Leftfield-Autoren, die sich in ihrem eigenen bizarren Universum austoben. Carl Hiaasen etwa oder Kinky Friedman, die beide kniefällig werden, wenn sein Name fallt. Leonards Prosa sei so präzise, sagt der Kinkster, dass man nirgendwo auch nur ein Wörtchen entfernen könne, ohne den Rhythmus der Story zu stören. Elmore Leonard, Jahrgang 1925, zeigt sich von der Verehrung gänzlich unbeeindruckt.
Vier Seiten schreibt er jeden Tag, eine Routine, die ihn in mehr als 40 Jahren nie abgestumpft hat. Weil die menschliche Seele unzählige Abgründe kennt, sagt er, und weil kein Schicksal ist wie das andere. Also denkt sich Dutch, wie ihn alle Welt nennt, täglich in neue Charaktere hinein, entwickelt ihre Geschichte, die meist eine so plausible wie haarsträubende ist, und die sich an der Unterseite der Gesellschaft abspielt, getrieben von niederen Instinkten und heillosen Hoffnungen. Es sind „ganz normale Leute“, so Dutch, die er auf ihren Höllentrips begleitet. Cops und kleine Gangster, Glücksspieler, korrupte Politiker und psychotische Grenzgänger. „Detroit ist voll davon“, weiß Leonard.
Sein Anwesen grenzt nicht gerade an Eminems 8 Mile-Distrikt, liegt ein paar Meilen außerhalb der Gefahrenzone, doch kennt der alte Mann diese Gegend aus der Ära in der Detroit noch den Beinamen „Murder City“ trug. Das war auch die Zeit, als der Markt für Western auszutrocknen begann, ein literarisches Genre, in dem sich Leonard seit den 50er Jahren einen Namen gemacht hatte. Er sattelte um und schrieb fortan vornehmlich „that Detroit cop stuff“, wie er seine Krimis nennt Darunter Klassiker wie „Fifty Two Pickup“ (1974)oder „Swag“ (1976), Bücher, die jeder Hardboiled-Aficionado mindestens zweimal verschlungen haben dürfte. Bücher, die wie rund 20 andere Leonard-Werke verfilmt wurden.
Hollywood liebt Leonard. Der „high priest of low-life America“ (The Observer) liefert den Studios beinahe drehfertige Vorlagen, so detailgenau und dialoggetrieben sind die Szenen, so raffiniert sind die Plots, so fettfrei und flüssig ist sein StiL Leonard wahrt lakonische Distanz als Erzähler, geht nie zimperlich um mit seinen Charakteren, denunziert sie aber nicht. Und stattet, bevor er die Story narrativ angeht, das Setting bis bin zum Hintergrund komplett aus. Der Geruch versengter Reifen oder billigen Parfüms dringt beim Lesen in die man „Rum Punch“ basiert und von Quentin Tarantino eigenmächtig umgetauft wurde, findet des Schriftstellers Gefallen. Derzeit arbeitet Elmore Leonard an seinem 38. Roman, einer grimmigen Geschichte über Mord, Moneten und sündhaft teure Callgirls. Sein letzter Roman, „Tishomingo Blues“, ein turbulentes, Ironie-getränktes Sittengemälde um Gang-Fehden und Show-Sportler, Ist eben als Paperback erschienen. Dazwischen schiebt der erfolgsverwöhnte Storyteller einen Band mit neun fulminanten Kurzgeschichten, die er im Laufe der Nase, Leonards Realismus verdichtet sich zu Synästhesie, das spart Personal bei der Verfilmung.
Wobei Leonard selbst selten zufrieden ist mit den Fertigungen der Traumfabrik. „Stick“, das Regie-Debüt von Burt Reynolds, schimpft er „ein Fiasko“. Gut gelungen dagegen und überdies finanziell äußerst lohnend sei „Get Shorty“ geworden, unter der Ägide von Barry Sonnenfeld. Und auch ,Jackie Brown“, das auf Leonards Roletzten 20 Jahre verfasst hat und die als roten Faden ein Thema haben, das sonst eher ein Schattendasein fristet in seinen Büchern: die Emanzipation der Frau. Nein, nicht die landläufige, quotenquatschige, kollektive. In „When The Women Come Out To Dance“ (William Morrow) befreien sich Frauen höchst individuell und einfallsreich vom Übel Mann oder doch von seinem Joch. Da ist Ginger, die erkennen muss, dass ihr aus Pakistan stammender Gatte, ein Chirurg „who altered the faces and breasts of Palm Beach ladies and aspirated their areas of fat“, alten Traditionen seiner Heimat folgend, sein lästiges Weib zum Opfer erkoren hat Gemeinsam mit Lourdes, dem kolumbianischen Hausmädchen, macht sich Ginger daran, die Machtverhältnisse in ihrem Haushalt zu ihren Gunsten zu verändern. Anderswo sind es Unterdrücker, die sich als Stunt-Männer verdingen oder als Rassisten outen, von denen sich frei getanzt wird. Kitzlig, köstlich und kein bisschen korrekt.