Von Gründen und Abgründen
Der lang ignorierte Autor Charles Willeford wird neu entdeckt, zuletzt mit zwei Krimis im Berliner Verlag Pulp Masters
Die Geschichte des Kriminalromans ist ja allgemein bekannt. Sie begann nicht mit Adam und Eva, sondern erst mit Kain und Abel. Irgendwann wurden die Geschichten von Mord und Totschlag aus dem Garten seriöser Literatur verstoßen – zu viel Spaß und Spannung sollten nicht Buchrücken an Buchrücken stehen zu den Leiden der neuen alten Wichtigtuer.
Das ausgegrenzte Genre ist seither immer dann besonders aufregend, wenn es im sorgsam umzäunten Gehege zu Rangeleien kommt. Etwa als Reaktion auf den 1928 in Londoner Herrenhäusern gegründeten „Detection Club“, auf Agatha Christie und all diese Kaffeekränzchen-Krimis, ein jeder ein WJiodunmt, wo der Täter am Ende immer der lahme Gärtner ohne Arm, aber mit vergifteter Teerose dank Tante in Timbuktu ist…
Gegen diese Kreuzworträtselkriminologen trat Carroll John Daly an. Seine Breitsalve gilt als Urknall der hard boiled-Schule. Einsame Männer tasten im Dunkel der Nacht, wohlwissend, daß nur der Marsch durch manche mean street die Sache aufklären wird. Erster großer Vertreter dieser abgekochten Autoren und ihrer hartgesottenen Antihelden war Dashiell Hammett, mit Bogart verfilmt, von Kommunismus-Hetzkampagnen zum Schweigen gebracht. „Hammett brachte den Mord zu der Sorte von Menschen zurück“, so das Verdikt Raymond Chandlers, „die mit wirklichen Gründen morden, nicht nur, um dem Autor eine Leiche zu servieren.“
Charles Willeford nun, verfilmt mit Alec Baldwin – der in „Miami Blues“ noch im Vorspann, am Flughafen-Terminal, einem bettelnden Hare Krishna so plötzlich und gemein den Mittelfinger bricht, daß der einem Schock erliegt -, der kann für sich in Anspruch nehmen, den Mord zu denen zurückgebracht zu haben, die wirklich völlig grundlos killen. „Miami Blues“ ist der bekannteste aus der Tetralogie um Sergeant Hoke Moseley vom Morddezernat Miami (neben „Neue Hoffnung für die Toten“, „Seitenhieb“ und „Wie wir heute sterben“, alle beim Alexander Verlag).
Doch Willeford schrieb noch mehr, viel mehr. Sein Oeuvre aus Essays und Pulp, Autobiographie und Poesie paßt in keine konventionelle und ordentliche Autoren-Vita, und eins der schönsten Dinge, die er darniederschrieb, war dieser Satz: „All great literature is depressing.“
Besonders deprimierend ist natürlich, daß auch Psychopathen nicht grundlos morden. Und Psychopathen genauso wie urplötzliche Wirbelstürme der Zerstörung sind es, die Willeford (nicht nur in Florida) zeitlebens beschäftigten. Geboren 1919 in Little Rock/Arkansas, Vollwaise mit acht, gestrandet in Kalifornien und obdachlos mit zwölf. Mit 16 lügt er über sein Alter und verpflichtet sich zum Service in der Armee. Hier erlebt er so viele Wahnsinnige und emotionslose Folterer, daß ihn der Gedanke an diese in ein normales Leben entlassenen Gestalten nie wieder losläßt. Bis zu seinem Tod 1988 in Florida. Elmore Leonard lobte kurz zuvor noch: „Niemand schreibt bessere Kriminalromane als Charles Willeford.“
Meister der Krimi-Klasse, verloren im Leben, 25 Jahre in den Fängen der US-Army, sein Werk reich an Vielfalt… Schon sind wir im Groove der aktuell veröffentlichten Werke Willefords: „Ketzerei in Orange“ – original von 1971 – und „Die schwarze Messe“, original 1958 (beide Pulp Master). Stories von Männern, Frauen nicht als Femme-fatale-Beiwerk wie in Noir-Klassikern, aber eben schon – wie bei Hemingway kaum mehr als in Nebenrollen.
Stories von Männern, die von vornherein clever, aber leider auch dem Irrsinn nahe sind. Die Atmosphäre auf den ersten Seiten noch menschlich, doch hier und dort blitzen schon der Wahn. Nihilismus und Betrug auf. Bereits nach einem Dutzend Seiten steht alles auf absoluter Hochspannung. Elektrisch.
Die große Katastrophe braut sich zusammen, genährt von Gier und Ehrgeiz und Trägheit – doch sie kommt nicht, kommt dann ganz anders – und gar nicht so viel später ist dann schon Schluß (um nun hier nicht allzu viel vorwegzunehmen).
Beide Romane sind eher satirische Abrechnungen (mit den Gepflogenheiten postmoderner Kunst und der Kirche) als Krimis. Für den Verleger wird damit ein kleiner, langgehegter Traum wahr. Frank Nowatzki, seit 1988 Kopf von Pulp Master: „Schon als ich angefangen habe, wollte ich das bringen. Ging aber nicht, ich mache das ja zwar mit professioneller Einstellung, aber nur nach Feierabend und neben Familie. Und gerade weil die beiden Willefords eher unüblich sind, weil Garry Disher sofort gezündet hat, natürlich auch Buddy Giovinazzo, kam dann immer wieder etwas anderes dazwischen.“ Nicht unbedingt Negatives freilich.
Disher und Giovinazzo wurden mit Preisen und den Weihen des „FAZ“-Feuilletons geehrt, doch eins darf man dabei nicht vergessen: Das Pulp Master-Programm besticht vor allem durch vergessene Juwelen der Pulp-Ära – PJ Wolfson mit der Sache von König David und seiner Mätresse Batseba, verpflanzt aus dem Alten Testament in die US-Metropolen der Großen Depression („Das zweite Buch Samuel, 11 & 12“), Gerald Kcrsh und was sonst noch aneckt.
„Es muß mir aus der Seele sprechen“, so der Verleger, Gitarrist und Gelegenheitsboxer. „Der Markt oder was gerade gut läuft interessiert mich dabei nicht – sondern Sachen, die ich so noch nie gelesen habe.“ Gelesen hat er außerordentlich viel, wie nicht nur die vielgerühmte Boxer-Anthologie „TKO“ belegt. Sie wurde, wie die mittlerweile 20 Pulp Master-Bücher, von dem Hamburger Künstler 4000 illustriert. Möglich, daß Ihnen sein Pinselstrich bekannt vorkommt. „Ein guter Freund – ich war ihm auch nicht böse, als er mit Benjamin von Stuckrad-Barre fremdging und dessen ‚Deutsches Theater‘ ähnlich illustrierte. Da konnte er endlich mal etwas Kasse machen.“