Von Ekstase und Ecstasy
Psychoanalyse und Pop: Klaus Theweleit erforscht, wie das zusammenhängt
Stärker als in vielen Analytikertexten lebt das Subversive der Psychoanalyse in Popsongs.“ Das behauptet Klaus Theweleit, Pop-, Polit-, Psychen-, Fußball- 6? Allround-Analytiker, Jahrgang 1942, in seinem „Sigmund Freud Songbook“. Also umrahmt er drei Essays zu Freud und Pop mit Songtexten, in denen „der Chefdramaturg von boy meets girl“ namentlich auftaucht. Oder Psychoanalyse, irgendwie. Die Auswahl der rund 60 Songs reicht vom profanen Freud-Namedropping im Nullachtfuffzehn-Rock (Blue Oyster Cult, Guns N’Roses) über Psycho-Rock-Evergreens („19th Nervous Breakdown“, „The End“) zur raffinierteren Freudiana von Leonard Cohen und den Gershwins. Deutsche sind auch dabei. Rosenstolz und Eins Zwo.
Musikalische Qualitäten spielen also keine Rolle, siehe auch Styx und Kid Rock. Die Kriterien der Auswahl bleibenunklar, selten geht Theweleit auf die gesammelten Texte ein. So entsteht der Eindruck einer dekorativen Kulisse aus ergoogelten Zufallsfunden. Die Wechselwirkung von Songtexten und Essays bleibt gestalterisches Versprechen. Wenn mal wieder untersucht wird, wie Suchmaschinen das Schreiben verändern, dann sollte man das am Beispiel Thewcleits machen. Ein Zettelkastenautor war er ja schon immer, einer, der sich von Gedanke zu Gedanke assoziativ und namedroppend verzettelt. Seit Google schreibt er noch verzettelter… keine Zeit für Syntax… lieber noch ein Viertelgedanke von ganz woanders als den eigentlichen zum Satzende bringen… lieber mit drei Pünktchen überbrücken… rhythmisieren, synkopieren…
Short attention Span writing is the new creative writing? Das DJ-hafte Sample-Schreiben ist bei einem Stoff-Katalysator und -Beschleuniger wie Theweleit immer spannend. Und: Systematisches über Freud-Spuren im Pop hatte er ja nicht versprochen. Dann hätte er „Sigmund Freud’s Impersonation Of Albert Einstein In America“ analysiert, aber Randy Newmans Song fehlt hier. Oder mit Freud Blumfeld betrachtet statt Freud mit Eins Zwo zitiert, Stoff genug: „L’Etat Et Moi“, „Ich-Maschine“, „Verbotene Früchte“. Aber reden wir über das vorliegende Buch, nicht über Wunschbücher. Und das habe ich gern gelesen. Auch wenn Theweleit über das Ineinanderfaden von der Psychoanalyse des Pränatalen, der Medialität der Übertragungen, Electropop und Hirnforschungsnews nicht „zu einer neuen Theorie der Musik“ gelangt, so trigert er an und stiftet neue Tracks im Mix. Ohne es zu wollen oder ohne sich dessen bewusst zu sein, stellt er Verbindungen her zwischen Freuds ausgiebiger Kokain-Praxis und der Ecstasy-Erfahrung der Rave-Ära Ende der Achtziger. Als Medium dient eine – in jeder Hinsicht – Zwischenfigur, der von ihm bewunderte und besungene Alters- und Erfahrungsgenosse Hendrix:“Im Sinne des Jimi Hendrix’schen Are you experienced halten viele Autoren Freuds Kokain-Euphorie für eine Vorbedingung seiner späteren Fähigkeit zur Selbstanalyse durch Traum & Traumdeutung; diese setzt eine ‚Selbstspaltung‘ voraus, wie sie durch Drogengebrauch psychisch befördert wird.“ So kam die Psyche in Psychedelia. Beim Drogengebrauch wie beim Musikgebrauch „nutzen wir unseren Körper als Resonator“, zitiert Theweleit Robert Jourdains „Das wohltemperierte Gehirn. Wie Musik im Kopf entsteht und wirkt“.
Mit Jourdains Worten schildert Theweleit Musikhören als Rauscherfahrung – Musik sei „von allen Künsten die, die am leichtesten Ekstase hervorruft“, „Ekstase verwischt die Grenzen unseres Seins und lässt uns in ein Meer von Gefühlen eintauchen“, auch die „Auflösung von Körpergrenzen“ fehlt nicht… Hippie-Shit hin oder her, Theweleit besteht auf die eigentlich unhintergehbare Erfahrung der auch produktiven „Selbstspaltung“ mit Hilfe von Drogen. So massenhaft gerade die Generation Theweleits diese Erfahrungen gemacht hat, so selten ist das offensive Speichern dieser Erfahrungen in Zeiten des Revisionismus geworden. Wer sich heute als Drogen-User outet, betreibt Selbstmarginalisierung und muss mit Sanktionen rechnen, geduldet sind Drogen nur mehr als Leistungsdoping, nicht mehr zur Horizonterweiterung. Lustigerweise benutzt Theweleit mit Jourdain exakt den Jargon der Rave-O-Lution 1989/90. Ersetzt man das Wort Ekstase durch Ecstasy, bekommt man Flyer-Poesie aus der Smiley-Mania: „Ecstasy verwischt die Grenzen unseres Seins und lässt uns in ein Meer von Gefühlen eintauchen.“
Ironie der Geschichte: dass von aller Musik diejenige, „die am leichtesten Ekstase hervorruft“, Theweleit die fremdeste ist. Bei Ecstasy-affinen Musiken mit repetitiven, elektronisch erzeugten Beats schlägt sein Fremdeln schnell mal in Ressentiment um. Techno kommt ihm dann vor wie Marschmusik, er redet von „Discokrach“, da bricht der alte Rockist durch. Wie neulich beim Dylan-Kongress in Frankfurt, als er Greil Marcus‘ Hypothese, dass „Go West“ von den Pet Shop Boys eine Art Fortschreibung von „Like A Rolling Stone“ sei, mit einem unwirschen „das ist einfach nur Scheißmusik“ quittierte. Das „Freud Songbook“ wird immer dann spannend, wenn er mixt: Freud mit Mingus und Hirnforschung zum Beispiel, wenn er sich nicht ausreden lässt, dass Musik auf einen speichernden Körper trifft, „dass Schallplatten, die man Jahre später wiederhört, dem emotionalisierten Hörer den Eindruck vermitteln, sie hätten in ihren Rillen die Gefühle gespeichert, die man Vorjahren beim ersten Hören hatte“.
Wenn die Agenturen der Macht nicht nur auf dem Feld der Musik an der Auslöschung von Sinneserfahrungen, der Zerschlagung von Sinn-Kontexten und der Gleichschaltung von Wahrnehmung arbeiten, dann ist die Aufladung von Körperspeichern und die „Wiederbelebung scheinbar untergegangener Gefühle“ ein progressiver Akt. Vielleicht sogar ein subversiver.