Charles Bradley – Von einem, der nie mehr James Brown sein will
CHARLES BRADLEY IST heiser und erschöpft, es ist das Ende eines langen Tages im nasskalten Berlin. In einen dünnen Ledermantel gewickelt, ruht er im Sessel und ist froh, dass sein Begleiter Thomas Brenneck ihm seine Stimme leiht. Brenneck zählt zu den Eckpfeilern des neuen Brooklyn-Soul, spielte Gitarre bei den Dap-Kings, hat die Menahan Street Band ins Leben gerufen, sich von den Tantiemen eines Jay-Z-Samples ein Studio gebaut – und wesentlichen Anteil daran, dass Bradley jetzt ein neues Leben führt. Als jugendlicher Mentor, Produzent und Songwriting-Partner fängt er die Liebe, den Schmerz und das ganze Lebensdrama, das in Bradleys Seele lodert und seine Kehle gegerbt hat, in passgenauen Soul-Epen ein.
Seit die beiden sich kennen, ging es langsam, aber stetig aufwärts -von ganz unten. Mit 14 war Bradley von zu Hause abgehauen, hatte als Jugendlicher in New York in Armut und Obdachlosigkeit gelebt, schlug sich die nächsten 30 Jahre als Koch von Alaska über Kalifornien bis zurück nach Brooklyn durch, spielte abends Shows als James-Brown-Darsteller und haderte mit Gott und der Welt.
Bis vor gut zehn Jahren Gabe Roth von Daptone Records auf ihn aufmerksam wurde. Nach einigen Singles folgte 2011 im Alter von 62 endlich sein Albumdebüt „No Time For Dreaming“ – ein fragendes, klagendes, oft zum Verzweifeln düsteres Genre-Werk aus der Stax-Schule, das sich thematisch ohne Schnörkel und Charaden aus Bradleys Leben speist: das Trauma, dass sein Bruder vor Bradleys Elternhaus auf offener Straße erschossen wurde, das stete Mühen und Scheitern im „land of milk and honey“ – Deep Soul von existenzieller Schwere, der ihm überschwängliche Kritiken, Headliner-Touren in den USA und Europa und ein euphorisches Publikum bescherte, das sich von der Bühnenpassion des „Screaming Eagle of Soul“ gerne überwältigen ließ.
Die Vibes des Nachfolgers, „Victim Of Love“, sind nun deutlich weiter gefächert. „My life is gold/You put the flame on it“, singt er, und „I thank you for helping me through the storm.“ Die Liebesbezeugungen sind immer auch universelle. Noch immer steigt Bradley nach Konzerten in die Menge, schüttelt Hände, lacht, weint und umarmt -nicht als Mutprobe oder Show-Akt, sondern aus Dankbarkeit und Demut vor dem späten Erfolg.
Der weckt allerdings auch Neid, und so manch alter Bekannter will ihn weiterhin lieber als Imitator buchen, statt ihn als Original mit den Daptone-Hipstern von dannen ziehen zu sehen. „Diese Leute hatten ihre Chance über so viele Jahre! Ich sagte immer, ich möchte wachsen und mich verändern. Und sie wollen weiterhin, dass ich als James Brown auftrete!“ Vom Zerrissenwerden zwischen alten und neuen Freunden erzählt „Confusion“, eine von Fuzz-Gitarren getriebene Reminiszenz an den psychedelischen Temptations-Sound der 70er-Jahre, die typisch für die stilistische Abenteuerlust des Albums ist. Thomas Brenneck ist natürlich Feuer und Flamme und nutzt die Gelegenheit für eine kleine Ansprache über die Möglichkeiten des Daptone-Labels: „Ich bin vor allem stolz auf die Tracks, die unsere Grenzen erweitern, auch für unser Label. Sharon Jones bewegt sich ja in einem festen R&B-, Soul -und Funk-Rahmen, Antibalas klingen wie eine Fela-Kuti-Kopie. Wir möchten aus diesen engen Nischen heraus und etwas Größeres schaffen, das alle möglichen Einflüsse von Country bis Psychedelic Rock aufgreift und weiterentwickelt.“
Tatsächlich wird das neue Album „Victim Of Love“ von einer Aufbruchstimmung befeuert, die man ausgerechnet von einem 64-Jährigen, den die Welt schon lange abgeschrieben hatte, nicht erwartet hätte. Charles Bradley brennt vor allem darauf, das schwer groovende „Confusion“ endlich live zu spielen. „I love that song, I’m tellin‘ ya. It got some baaad sexual vibes!“