Von der Schauspielerin zum Popstar
Sie tat, was genau null Leute in so einer Situation tun würden: Sie setzte sich daran, ein Album zu produzieren. Einer der Musiker, die bei „Selena“ mitgespielt hatten (aus der echten Band der Sängerin), überließ ihr einen Song für ein Demo – das solange unbeachtet bei ihrem Sonylabel Work Group herum lag, bis es auf dem Tisch von Sony-Chef Tommy Mottola selbst landete. Der wiederum hatte sich angeblich gerade mit einer anderen Latina-Künstlerin überworfen und wollte ein Zeichen setzen.
Er gab Lopez ein Zimmer im St. Regis Hotel und den Auftrag für ein Album. Dafür überließ er ihr ein paar eingängige Songs, die er von weniger bekannten Musikern abzog. Sein Plan ging auf. „On The Six“ (nach der U-Bahn-Linie, mit der Lopez einst von der Bronx nach Manhattan fuhr) bekam dreifach Platin in den USA und verkaufte sich weltweit mehr als 8 Millionen mal – was weithin für Überraschung sorgte. „Man hatte sie einfach nicht auf dem Radar“, sagt ein Neunziger-Popstar, der damals in denselben Kreisen unterwegs war. „Aber sie hat gearbeitet wie verrückt, sie war stur auf Erfolg gepolt, egal wie. Ich würde sagen, sie hatte nur ein einziges Ziel: Ein Weltstar zu sein.“
„Am Anfang war sie nicht besonders gut, aber sie wurde schnell besser“, sagt Maria Christensen, deren „Waiting For Tonight“ (mit 3rd Party) Lopez auf ihrem Debüt coverte. „Die Studioleute erlebten eine Sängerin, die nie aufgab. Sie bastelten an den Vocals, haben haufenweise Takes aufgenommen und zusammen gestückelt. Sie hat gearbeitet wie verrückt und unermüdlich weitergesungen, buchstäblich bis sie nicht mehr konnte.“ Mit Erfolg.
Das zweite Album „J-Lo“ (nach dem Spitznamen, den ihr der 2011 verstorbene Rapper Heavy D gegeben hat), landete aus dem Stand an der Spitze der Popcharts, und zwar am selben Tag, an dem „Wedding Planer“ die Kinocharts erobern konnte. Noch nie hatte jemand beide Positionen gleichzeitig besetzt. Und so drehte Lopez noch ein paar Filme (zur Zeit sind es 31) und veröffentlichte noch ein paar Platten (neun jetzt mit „Marry Me“) und ging auf Welttournee und bekam ein Engangement in Las Vegas und trat als Jurorin für „American Idol“ auf und gründete ein paar Modelinien und partnerte mit zahllosen Marken und setzte eine Hautpflege-Reihe und ein Paar Zwillinge und ungefähr eine Million Parfüms in die Welt; und trotzdem findet sie immer noch, ihr Erfolg habe sich „langsam, aber stetig“ entwickelt. Sie kann sich indes an den Moment erinnern, in dem ihr klar wurde, dass sich ihr Leben endgültig verändert hatte. Eines Nachts in den Neunzigern tigerte sie im Jetlag durch ihre Londoner Hotelsuite und betrachete die zahllosen Designerschuhe, die sich an der Wand reihten. „Mir fielen die Zeiten ein, als ich in löchrigen Sneakers herumzog“, sagt sie. „Ich dachte: ‚Passiert mir das alles wirklich?‘ Ich kam mir vor wie im verdammten Märchen. Gar nicht so sehr wegen des Reichtums. Sondern wegen der Veränderung, dem Missverhältnis. Die Hotelsuite war größer als das Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Viel größer.“