Von Chelsea nach Barmbek
Als Fellinis „La Dolce Vita“ irgendwann in den Siebzigern im Fernsehen lief, wusste ich trotz meines jugendlichen Alters längst, wer Nico war: Die Sphinx aus Eis von Velvet Underground, eine Frau wie ein Kunstwerk. Marcello Mastroianni kannte die geheimnisvolle Blondine offenBar noch viel besser: „Nico, Nico!“ schrie er im Film begeistert über die Via Veneto. wo 1959 das Nachleben brodelte. Nico spielte in „La Dolce Vita“ einfach sich selbst, ein supercooles Supermodel. Es war ein merkwürdiges Gefühl, die Underground-Ikone in diesem bürgerlichen Film zu sehen. Dabei wusste ich noch gar nichts von Nicos Soloalben, kannte nur die eine verstörende Platte mit Velvet Underground. Natürlich war mir bewusst, dass „La Dolce Vita“ lange vorher entstanden war – doch diese Frau schien bereits in den späten Fünfzigern so anders, so geheimnisvoll, als gehörte sie nicht in unsere normale Wirklichkeit.
Nico hat es danach auch nur noch einmal mit einem Mainstream-Film versucht. In „Striptease“, der im Mai 1963 in die französischen Kinos kam, spielt sie die weibliche Haupttolle, eine Stripperin in einem Club namens „Le Crazy“. Ihr Künstlername war damals Krista Nico und passte somit hervorragend zu den dämlichen Werbeplakaten und Fotos. „Striptease“ war einer dieser verklemmten „O la la“-Filme. in denen viel versprochen, aber nichts gezeigt wurde. Serge Gainsbourg hat den Titelsong mit Nico aufgenommen, aber letztlich nicht verwendet, weil ihr Akzent zu deutsch und ihre Stimme zu tief war. Juliette Greco übernahm den Job, Nicos Version ist allerdings auf dem Box-Set „Le Cinema de Serge Gainsbourg“ zu hören.
Die wirklich stilvollen Werbespots für die spanische Brandy-Marke „Terry“, die auch in Susanne Ofteringers wunderbarer Dokumentation „Nico-lcon“ zu bewundern sind, waren dann eher Model-Jobs. Nico war nie eine Schauspielerin, in ein Dior-Kleid schlüpft man eben leichter als in ein anderes Leben. Andererseits hatte sie es nicht nötig, eine Rolle zu spielen, um etwas Besonderes zu sein – sie war es ja längst. Andy Warhol, den sie über Bob Dylan kennenlernte, spürte das sofort. In den experimentellen Filmen, die der Pop-Künstler damals drehte, war jeder ein Superstar. Warhol hielt nur die Kamera drauf und erklärte das gefilmte Leben zum Kunstwerk. Die perfekte Umgebung für die stilbewusste Nico. „The Closet“ war der erste von fast einem Dutzend Warhol-Filmen, in denen sie auf unterschiedliche Art präsent war. Es gab ja nicht wirklich eine Handlung diesen Filmen: „The Closet“ handelt von zwei „Kindern“, die sich nicht aus einem Kleiderschrank heraustrauen. 66 Minuten lang filmt Warhol, wie die beiden über den Inhalt des Schranks reden, ein Sandwich teilen und wie Nico dezent versucht, ihren schwulen Partner Randy Borscheidt anzumachen. Im Prinzip war der Film nichts anderes als eine Metapher – „Coming out of the closet“ bedeutet, sich zu seinem Schwulsein zu bekennen.
Auch das auf zwei Leinwände projizierte Dreieinhalbstunden-Werk „Chelsea Girls“ hat mit dem klassischen Hollywood-Kino wenig gemein: In einer der zwölf Episoden sieht man Nico einfach nur weinend und allein in einem Raum sitzen, untermalt von einer Velvet Underground-Live-Aufnahme. Das Kino des französischen Regisseurs Philippe Garreis ist völlig anders, aber ebenfalls nicht reich an Action. Mit dem in Cineasten-Kreisen hoch geschätzten Auteur hatte Nico ab 1969 eine zehn Jahre dauernde Beziehung, die anfangs auf Liebe, später auf einer künstlerischen Seelenverwandtschaft basierte. Dro-I gen spielten dabei immer eine wichtige Rolle. Unter den sieben Filmen, die zwischen 1972 und 1979 entstanden, ist „La Cicatrice Interieure“ der bekannteste und poetischste. Ein großzügiges Darlehen ermöglichte es Garrel, in Italien, USA. Ägypten und Island zu drehen. Dabei entstandet» Bilder von exquisiter Schönheit, ge^ sprachen wird in Garrels Filmen eher wenig. Nico spielt eine schweigsame Schimmelreiterin.
1984 hat man dem Regisseur ifri Cannes den „Perspectives du Cinema; Award“ überreicht. 1991 gewann er in Venedig sogar einen Silbernen Löwen – wirtschaftlich erfolgreich war keiner seiner Filme. Als „La Cicatrice Interieure“ 1972 im „Manchester Film The^ atre“ lief, notierte sich der Manager,; dass zu Beginn 30 Personen im Kinoj saßen – am Ende waren es fünf.
Der letzte Film, in dem Nico mitwirkte, startet nur wenige Wochen vor ihrem Tod in den deutschen Kinos. „Ballhaus Barmbek“ von Christel Buschmann handelt von einenm deprimierenden Platz für einsame Herzen. Nico ist – natürlich! – wieder sie selbst. Doch diesmal ist ihre Band The Faction bei ihr – und ein letztes Mal erklingen „König“ und „All Tomorrows Parties“. Dann fällt der letzte Vorhang.