Vom Video-Junkie zum Slasher-König: Nun legt „Scream“-Autor Kevin Williamson sein Regiedebüt „Tötet Mrs. Tingle!“ vor
Vom Wunderknaben zum Watschenmann in nur drei Jahren, das macht Kevin Williamson so schnell keiner nach. Mit überhasteter publizistischer Unterstützung zum Sanierer von Hollywood erhoben, öffnete er der Branche als Autor von „Scream“ nicht nur die Höllenpforte zu einem Revival des Horrorgenres, sondern gab mit der Obsession für Teenager vor allem das Identifikationspersonal für die vom Kino sklavisch umworbene Zielgruppe der konsumwilligen mallrah vor. Nun flutscht wieder der Griff auf das Taschengeld der Weltjugend.
Dabei schnitt sich Williamson selbst „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“, „Scream 2“, „Halloween H20“, „The Faculty“ und das Deflorations-Soapdrama „Dawson’s Creek“ für die Mattscheibe aus den Rippen. Was auch den Mangel an Herzblut bei diesen Auftragsarbeiten zu erklären hilft. Doch auch bei den Adepten der Ein-Mann-Industrie kam unter dem Deckmäntelchen der Ironie nackte Idiotie zum Vorschein. Mit Warner lebt inzwischen etwa ein komplettes US-Network von Retortenkids wie „Buffy“ und „Felicity“, bevor diese mit Instant-Popularität im Rücken für Coming-of-Age-Konfektion wie „Gefährliche Engel“ und „Eine wie keine“ ins Multiplex weitergereicht wurden. Zum Schreien, dass es ohne „Scream“ nie so weit gekommen wäre. Allein der Horrorfilm scheint vom Rückfall ins „Freitag, der 13.“-Abzählschlachten erholt, gibt sich diesen Herbst mit Bruce Willis in „The Sixth Sense“ philosophisch, bei „The Blair Witch Project“ experimentell und in „Stigmata“ mit Patricia Arquette machtvoll mystelnd. Aber wo ist Williamson, der Leibhaftige? He’s got a lot to answer for…
„Ich bin ein Stück White Trash, das Glück hatte“, kokettiert er beim Treffen in New York anläßlich seines Regiedebüts „Tötet Mrs. Tingle!“ (ab 4.11.), und macht nicht den Eindruck, als ob die Erfolge der jüngsten Vergangenheit irgendwelche Relevanz hätten. Aber sein Status als Script-Guru? „Also ehrlich gesagt, wollte ich nie Drehbücher schreiben.“ Manch Eigenplagiat? „Ich hatte Angst, eine Eintagsfliege zu bleiben, also habe ich zu viele Projekte angenommen und bin vor Arbeit einen langsamen Tod gestorben“. Und seine Sicht des grassierenden Teenage-Terrors? „Diese Phase habe ich bereits hinter mir gelassen. Ab dem nächsten Jahr mache ich nur, was ich am Besten kann – romantische Komödien.“
Als ginge es ihn nichts mehr an, so wischt Williamson alles beiseite, wofür sein Name steht. Für den armen Jungen aus North Carolina habe ja immerhin ein Haufen Dollars auf dem Tisch gelegen, gibt er dann noch zu bedenken. Doch von Unmut gegenüber seinen exklusiven Vertragspartnern bei Miramax keine Spur, nachdem er „regelrecht dazu gezwungen wurde, ‚Scream 2‘ ohne Inspiration zu schreiben. Denn im Gegenzug schenkten jene mir ja meinen ersten Film als Regisseur.“ Da stellt sich die Frage nicht mehr, ob Williamson tatsächlich seinen Anfängen entwächst – oder ob hier tipptopp ein Verdrängungs-Mechanismus im Gange ist. Er nennt sich nun nämlich, Obacht, einen Filmemacher.
Leider ein recht lausiger. „Das Inszenieren war viel leichter, als immer behauptet wird“, sagt er und schreckt auch vor dem Killersatz nicht zurück, sein Werk habe eine Botschaft (Umkehren negativer Energie und so). Diese naive Haltung merkt man auch „Tötet Mrs. Tingle!“ an. Auf der Basis seines ersten, über Jahre nicht von ungefähr immer wieder abgelehnten Drehbuches forciert Williamson hier ein Psycho-Duell zwischen einer heimtückischen Lehrerin (Helen Mirren) und drei naseweisen Schülern – was sich freilich im Abwägen von Kaspertheater-Charakteristika erschöpft. Verhärmte Fregatte versus unsichere Eleven, gewiss ein Clinch mit abgekartetem Ausgang. Da rettet der satirische Ansatz dieses Unterfangens nichts. Weil Williamson so träge wie im Fernsehformat gedreht hat, wird sein Handicap deudicher als in den Verfilmungen seiner Scripts.
„Ich habe mein Leben vor dem Fernseher verbracht“, wird er schließlich nicht müde zu versichern. Doch vor lauter Adoration für Carpenter, Spielberg und John Hughes verkümmert zusehends die eigene Schaffenskraft. „Scream“ war cleverer Genre-Klau, dann kam weniger kluger „Scream“-Klau und allmählich geht die Beute aus. „Tötet Mrs. Tingle! war in Amerika ebenso eine Totgeburt wie seine zweite Fernsehserie „Wasteland“. Nicht die schlechteste Wendung, Falls Williamson die Bilder in seinem Kopf löscht und selbst Stories sucht, wird er vielleicht auch ohne Trend-Abhängigkeit seiner Presse gerecht, die sich jetzt rächt.