Vom Gitarrengott zum Sozialfall. Und zurück? PETER GREEN baut weiterhin auf den Blues und die Erlösung: von allem Übel
Im Alter von 22 Jahren schien er bereits alles erreicht zu haben: vom Clapton-Ersatzmann in John Mayall’s Bluesbreakers war er 1969 zum neuen Gitarrengott und Kreativkopf von Fleetwood Mac avanciert – jener Band, die nach Hits wie „Albatross“, „Man Of The World“ oder „Oh Well“ zeitweise gar die Beatles und Stones in den Schatten stellte. Die Graffiti „Clapton is God“ im London der Sechziger sind Legende – weniger bekannt ist allerdings, daß sich schon ein Jahr später die Sprayer an der gleichen Wand korrigierten: „Peter Green is better than God“.
Auf dem Höhepunkt der Hysterie kam die große Frustation: Das Musikgeschäft deprimierte den eh zu Depressionen neigenden Green ebenso wie die ungeliebte Rolle des genialischen Virtuosen. Da er zudem mehr musikalische Freiheiten einforderte, als ihm die Band einräumen wollte, war die Trennung vorprogrammiert „Mit Fleetwood Mac konnte ich vieles nicht umsetzen; wir spielten zu nah an der Blues-Vorlage. Nach einem Grateful Dead-Gig kam dann die Erleuchtung. Sie rieten mir: ,Spiel frei, spiel, was dir einfällt‘.“
Die Sechziger samt ihrer bergeversetzenden Lust am Experiment erreichten den Zenit, Improvisationen und Expeditionen in musikalisches Neuland waren das Gebot der Stunde – und Green wollte um jeden Preis dabeisein. „Ich habe, nachdem ich Mac verlassen hatte, dieses Gefühl sehr genossen. Es tat mir gut.“
Da der Blues nun mal primär von der persönlichen Interpretation des Musikers lebt – ideal für die emotionale Intensität eines Peter Green -, müssen seine simplen harmonischen Grundlagen nicht zwangsläufig von Nachteil sein. Problematisch aber wird es, wenn man die konservative Basis mit kreativer Konsequenz in Einklang zu bringen versucht. Jazz und Rock lieferten sich Anfang der Siebziger einen heftigen Flirt-wobei sich die Mitgift der Jazzer für manchen Rocker doch ak etwas komplex erwies.
So auch für Green der Autodidakt, der im Blues-Idiom seine Sprache gefunden hatte, war angesichts der kreativen Unendlichkeit gelähmt und stumm: „Ich wußte einfach nicht, in welche Richtung die Reise gehen sollte. Ich steckte in einem Tunnel, aus dem ich nicht mehr rauskam. Das latent, mit dem ich so reich gesegnet schien, reichte plötzlich nicht mal zur Hälfte.“
Green wagte es trotzdem. „The End Of The Game“, sein erster Solo-Versuch, war zwangsläufig ein Dokument der Ratlosigkeit. Statt – wie von Grateful Dead vorexerziert – den Blues in spielenscher Freiheit zu erweitern, spielte Green Blues im freien Fall – und verprellte mit verkrampfter Radikalität sein irritiertes Publikum. Nach weiteren ebenso orientierungs- wie hoffnungslosen Versuchen zog Green den Schlußstrich: Er verschenkte nicht nur alle Gitarren, sondern verzichtete – in der für ihn charakteristischen Rigorosität – gleich auch auf künftige Song-Tantiemen. Der Sozialfall schien vorprogrammiert. Gerüchte, daß sich Green als Friedhofsgärtner und mit ähnlich obskuren Jobs über Wasser halte, gaben der Spekulation weitere Nahrung. Mit der Zwangseinweisung in eine Nervenklinik schien der finale Tiefpunkt erreicht zu sein.
Versuchen wohlmeinender Kollegen, ihn zu reaktivieren, war wenig Erfolg beschieden. „The Skies“, sein Comeback-Versuch von ’79, ließ zwar den alten Gitarren-Genius aufblitzen, war aber dennoch hoffnungslos antiquiert. Plattenfinnen schlugen einen weiten Bogen um ihn, weil sein Verhalten immer erratischer wurde. (So weigerte sich der gebürtige Jude jahrelang, Fuß auf deutschen Boden zu setzen. Als er sich schließlich doch überreden ließ, beim Abflug in Heathrow aber feststellte, daß er mit Lufthansa fliegen sollte, suchte Green panikartig das Weite.) Der Legende tat sein erneutes Abtauchen keinen Abbruch. Im Gegenteil. Durch seine Abwesenheit enstand ein Vakuum mit bizarren Folgen: Ein Green-Doppelgänger namens Patrick Harper nutzte die Gunst der Stunde und behauptete, der verschollene Gitarren-Gott zu sein. Für sein „Comeback“-Album stellte eine englische Plattenfirma nicht nur einen üppigen Vorschuß zur Verfügung, sondern mit Queen-Drummer Roger Taylor und Tony Meehan (Shadows) auch zwei prominente Produzenten – und das, ohne eine einzige Note gehört zu haben!
In den letzten Jahren dokumentierten auch diverse Tribute-Alben wie das „Peter Green Songbook“ den unverändert hohen Stellenwert, den der begnadete Gitarrist vor allem unter Kollegen besitzt. Gary Moore nahm mit „Blue For Greenie“ gleich eine komplette Hommage auf und schaffte es gar, den Eremiten ins Studio zu locken. Anfang ’96 war’s dann endlich soweit: Nach mehr als einem Jahrzehnt stöpselte Peter Alan Greenbaum erstmals wieder die Gitarre ein…
Eine zum Studio umgebaute Kirche im Nordosten Londons ist der Ort, an unser „Gespräch“ stattfindet Interview-Muffel Green hat es sich in Shorts und Sandalen auf der Couch bequem gemacht Aufseiner „National“-Gitarre feilt er an „Hitchhiking Woman“, dem ersten Take des Tages, herum. Er schaut kurz auf und nickt einladend. Die zur Begrüßung ausgestreckte Hand aber ignoriert er. „I don’t shake hands, I’m a musician, you know?“ Sessionpartner Nigel Watson klärt auf: „Die meisten Leute drücken Peters Hand zu fest; es ist nicht unhöflich gemeint“ Immerhin: Beim Abschied klappt der Händedruck dann anstandslos…
In der Tat hat der bullige Mann erstaunlich feingliedrige und gepflegte Hände. Auch die lebhaften Augen, die von humorvoller Offenheit zu kindlichem Erstaunen wechseln, wollen nicht zur ungelenken Körperfülle zu passen. Immer aber, wenn ihm ein Lächeln zur Grimasse verrutscht, glaubt man etwas von den schmerzlichen Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte zu ahnen. Ein Eindruck, der durch die unsichere, eigentümlich gehetzte Stimme verstärkt wird.
Er scheint darauf bedacht, seinen persönlichen Freiraum gegen Eingriffe von außen zu behaupten. Vielleicht ist es ja nur die Angst, erneut zum Objekt fremder Interessen und unerfüllbarer Erwartungen zu werden. Green selber sieht sich auf einem guten Weg: „Ich hätte es eigentlich damals packen müssen, ich weiß nicht, warum ich es nicht geschafft habe. Diesmal schaffe ich es!“
Green hat im Oktober ’96 drei Titel für „Crossmads UK- TheKnights OfTheBlues Table“ eingespielt Der Blues-Sampler versteht sich als Hommage an die beiden Geburtshelfer des britischen Blues-Booms (der auch für Green zur Initialzündung wurde): Cyril Davies und Alexis Korner. Die damaligen Bluesboomer – u.a. Mick Taylor, Jack Bruce, Eric Burdon, die Pretty Things und die Jagger-Brüder Mick 8C Chris – zeigen, was sie seit damals dazugelernt haben. (Ein Auftritt der Blues-Tafelrunde ist übrigens für die „Leverkusener Bluestage“ Anfang Mai geplant) Green selbst tritt seit letztem Jahr wieder sporadisch auf und scheint langsam Tritt zu fassen. Ob das heimliche Comeback auch ein weiteres Solo-Album beinhalten wird, weiß hingegen noch niemand so recht