Volle Röhre
Digital versus analog: Auch in der Gitarren- und Verstärker-Branche tobt diese Debatte. Meister-Gitarrist Joe Bonamassa kennt die Unterschiede
Meterhohe Verstärkerwände, Boxen über Boxen und schier unendliche Reihen von Gitarren am Bühnenrand, die von Roadies penibel immer und immer wieder gestimmt werden: So kennen wir es von großen Rock-Events. Doch längst hat auch dort die digitale Technik übernommen, werden analoge Geräte in Mischpulte gespeist und Klang verfälscht – zumindest aus Sicht von Puristen. Zuweilen scheint es, als würden sich viele Musiker umso mehr mit altem Instrumentarium umgeben, um einen Rest Authentizität zu wahren. Kaum ein Singer/Songwriter, der nicht einen super raren Amp von anno dazumal oder eine original-ramponierte Klampfe als Insignium für die Unverfälschtheit seiner Kunst präsentiert. Zeit, mal einen richtigen Fretboard-Magier zu fragen, was sich hinter diesem Rückwärts-Trend verbirgt.
Joe Bonamassa feiert als Blues-Virtuose weltweit Erfolge. Er wuchs in der US-Kleinstadt New Hartford auf, wo sein Vater einen Musikladen betrieb. Bonamassa konnte also schon früh Hunderte von Amps und Gitarren ausprobieren. Heute sammelt er selbst alles von Gibson und Fender. Seine Gitarren schätzt er auf 150, nur „the best of the best“, wie er betont, darunter seltene Exemplare, die Ende der 50er-Jahre gefertigt wurden und für ihn in Sachen Sound noch immer das Maß der Dinge sind. Die von vielen Gitarristen geschätzten Marken Rickenbacker, Gretsch und Martin bezeichnet er dagegen als junk. „Stick with the meat and potatoes“, empfiehlt er. Bonamassa ist ein „Old-Schooler“, sein jüngstes Gerät ist ein – Autsch! – digitales Delay-Pedal aus dem Jahr 1981. „Heute verbinden die Kids ihre Gitarren via Bluetooth mit ihrem Amp“, erklärt er. „Für mich ist das nichts. Ich mag Röhren und Kabel.“ Das Misstrauen gegenüber unsichtbarer Datenübertragung und Computerisierung teilt er mit einem Blues-Aficionado ganz anderer Art namens Jack White, den er sehr schätzt, weil dieser Blues im Gewand von Punkrock wieder populär gemacht habe.
Die Verstärker-Hersteller reagieren auf den Retro-Hype, indem sie zweigleisig fahren. Zum einen legen die großen Marken wie Marshall, Vox oder Fender seit Jahren ihre Klassiker wieder auf. So kann man etwa in den meisten Fachläden eine Vollröhren-Combo der Marshall-JCM-Serie, sozusagen die Levi’s 501 unter den Verstärkern, erwerben. Zum anderen werden erschwinglichere Hybrid-Modelle produziert, die den originalen Sound mit Hilfe digitaler Chips nachsimulieren. Der Kemper Profiling Amplifier, wiederum im höheren Preissegment um die 1.500 Euro angesiedelt, ermöglicht sogar die Erstellung einer präzisen Klangabbildung bereits bestehender Verstärker-Konfigurationen, das heißt, charakteristische Sounds anderer Amps lassen sich bequem auf das Gerät laden. Klingen wie Pete Townshend auf „Who’s Next“ oder Jimmy Page auf „Physical Graffiti“ ist damit praktisch in jedem Proberaum machbar. Bei Gitarren verhält es sich ein wenig anders. Die berühmten Modelle wie die Gibson LP Classic HCS werden zwar ständig neu aufgelegt, waren jedoch auch nie wirklich aus der Mode, weil Fans wie Bonamassa schon in jungem Alter die Gitarren ihrer Vorbilder spielen wollen. Der Sound ist da erst mal zweitrangig. „Im Prinzip kann ich meine Gitarre in jeden Amp der Welt stecken – es klingt immer nach mir“, widerspricht sich der Saiten-Maestro zum Schluss selbst. Jack White würde ihm dafür vermutlich eine seiner sündhaft teuren Gretsch-Gitarren über den Schädel ziehen.