Volle Kontrolle über die Finanzen und künstlerische Produktionsmittel: EDWYN COLLINS ist ein souveräner Pop-Profl
Wenn die Mutterfirma ein Major wäre, Edwyn Collins hätte nichts zu lachen. Glaubt der Künstler jedenfalls selbst: „Es gibt diese Bestrebungen, mich zum Paten des Britpop zu erheben. Und wäre ich beim großen Label, würde man sich natürlich einiges einfallen lassen, wie man mich noch besser in Szene setzen könnte. Dann hätte ich mein neues Album wahrscheinlich mit Ocean Colour Scene einspielen müssen, und der Smiths-Produzent Stephen Street hätte das ganze überwacht. Wie langweilig.“
Aber Collins steht bei der kleinen Firma Setanta unter Vertrag, und die kann seit dem Überraschungserfolg seiner Single „A Girl Like You“ und dem dazugehörigen Album „Gorgeous George“ ihre Produkte von den Majors in der Welt ausliefern lassen, ohne Souveränität abgeben zu müssen. Sony Music besitzt die Lizenzen für Deutschland, hat ansonsten nicht viel zu melden. Edwyn Collins hingegen weiterhin gut lachen. Und Humor besitzt dieser Mann, der das Ende seiner Sätze meist schmunzelnd verschluckt, reichlich.
Atemlos berichtet er über die Begebenheiten von 1995, „dem Jahr, in dem ich ein Beatle sein durfte“. Der Schotte hetzte durch die ganze Welt, und überall wurde er gefeiert, wenn auch nirgendwo richtig verstanden. Nur die Menschen auf den Philippinen waren enttäuscht von ihm, weil da auf einmal ein Herr stand, dem schon die Haare ausgehen, obwohl „A Girl Like You“ zuvor in seiner Abwesenheit von einer niedlichen Boygroup promotet wurde. In Taiwan war Collins der einzige westliche Rockmusiker, der das Land zur Zeit der chinesischen Raketenversuche besuchte. „All diese Grunge-Bands aus Amerika cancelten aus Angst ihre Termine.“ Absagen ist aber nicht sein Stil, weshalb er hierzulande auch auf einem Radio-Festival mit den Backstreet Boys auftrat – zur Akustik-Gitarre, während Teenies in Sprechchören aufgeregt ihre Helden auf die Bühne forderten.
Absurdität hat sich an Absurdität gereiht, und manchmal ist eben nur ein großer Witz, das Biz. Aber, sagt Collins: „Es ist natürlich auch eine sehr romantische Geschichte, es ist wie der Kampf zwischen David und Goliath. Man muß sich das mal vorstellen: Für nur 10 000 Pfund haben wir ein Weltklasse-Album aufgenommen. So möchte ich weitermachen, bis ich sterbe.“ Und während er das sagt, hört man förmlich die Fanfaren aus „Dying Day“, einem Evergreen seiner alten Formation Orange Juice. Aber Pathos und ökonomischer Verstand schließen ja einander nicht aus: „Es geht mir nicht um Gewinnmaximierung, sondern darum, einen Kreislauf zu errichten. Deshalb habe ich diesmal mit einem viel höheren Budget gearbeitet. Ich möchte das Geld, das ich mit meiner Musik verdiene, wieder in sie zurückinvestieren.“
Konkret heißt das: Statt für 3000 Pfund drehte er das wahnsinnige Video zu seiner neuen Single „The Magic Piper“ für das Zwanzigfache. Professionelle Maskenbildner und der einstige Choreograph von Take That gehörten zur Crew, auf dem Regiesessel saß der Kunsthochschul-Absolvent Collins selbst „Ich kann mich jetzt nicht mehr aus der Affäre ziehen. Vom Video zum Artwork, vom Songwriting bis zur Produktion überall übernehme ich die volle Verantwortung. Wer etwas daran nicht mag, mag auch mich nicht Ich baue mir meine eigene Welt.“
So ist das neue Album eine radikale Selbstpositionierung, und der Titel könnte kaum vollmundiger formuliert sein „I’m Not Follwing You“. Darin werden der Plattenmarkt und die Geschichte der Pop-Musik ständig reflektiert, und sie verheißen natürlich nichts Gutes. Und daß der einst erfolgreichste Dissident der britischen Pop-Musik, Mark E. Smith von The Fall, einmal als Gast-Stimme zu hören ist, kann nicht verwundern. Auch wenn Edwyn Collins zugibt, keinen blassen Schimmer davon zu haben, was sein Kollege da nörgelt. Macht nichts: „Sag‘ nicht, meine Musik sei deep. Es ist doch nur Pop.“