Volksfest und Wehmut

Live gelingt Westernhagen der Spagat zwischen Publikumserwartung und eigenem Anspruch.

Marius Müller-Westernhagen im Schlaraffenland: Sein aktuelles Album entstand in New York mit US-Cracks, die ihm von einigen personellen Veränderungen abgesehen auch live zur Verfügung stehen. Der Sound dieser Band ist breit und kräftig, wuchtige Trommeln untermauern Westernhagens aktuelle Lust am alten Klang. Das ist der erste Eindruck, den man hat, als sich in Hannover der Vorhang öffnet und „Jesus“ aus den Boxen kommt. Weil Westernhagen es ernst meint mit seinem Album, spielen die neuen Songs eine wichtige Rolle. Kein Greatest-Hit-set, keine Vollbedienung für die Fans. Stattdessen konzentriert sich Westernhagen auf seine Leidenschaft und lässt den Musikern viel Platz. Auch das gehört zu diesem Künstler, der sich die kindliche Freude am gemeinsamen Musizieren erhalten hat. Einmal steht er mit dem Rücken zum Publikum und improvisiert mit seinen Männern, später wird „Pfefferminz“ zum Chicago-Blues-Jam.

Die Euphorie gibt es nur bei den Volksfestliedern. Bei „Willenlos“, „Es geht mir gut“, dem unvermeidlichen „Sexy“ sowie „Johnny W.“, das rituell den Abend beendet. Doch diese Lieder sind älter geworden, sind eher Erinnerung als letzter Schrei. Das steht ihnen gut, weil sie nicht mehr so fordernd und anmaßend daherkommen – man erkennt die Ironie in ihnen besser.

Bei dem milde gewordenen „Freiheit“ bekommt der Künstler standing ovations. Aber ein bisschen stehen wir auch für uns selbst auf. Für unser Leben in Deutschland, das sich seit damals abgespielt hat, und überhaupt für das große Gefühl, da zu sein. Das hat Westernhagen immer besungen, plakativ, aber trefflich, simpel, aber realistisch. jS

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