Vinyl: Die 7″ Faves von User otis. Eine Auswahl…
Wahre Schätze verbergen sich in unserem Vinyl-Forum in der Rubrik 7" Faves. Dort haben einige User über Jahre ihre Lieblings-Singles besprochen. Wir werden ab sofort immer mal wieder ein paar dieser Texte vorstellen - und fangen heute mit einer Auswahl des Users Otis an...
Lesen Sie hier eine kleine Auswahl aus der 7″ Faves-Textsammlung von User otis. Wer unseren Artikel über den Forumstag und das Jubiläum gelesen hat, der weiß, dass es sich bei ihm um einen Forumianer der ersten Stunde handelt: Er postete das erste Musikthema – den Soul-Thread.
In seiner 7″ Faves-Sammlung beschränkt er sich jedoch nicht auf diesen Stil – wie man hier in aller Ausführlichkeit nachlesen kann. Wir haben mit seiner Hilfe eine kleine Auswahl dieser Texte zusammengestellt, über die unser geschätzter Autor Wolfgang Doebeling mal gesagt hat: „Sie gehören mit zu dem Besten, das man im Forum finden kann.“
1. Go-Go’s: We Got The Beat / How Much More 1980 UK-Stiff
Go-Go’s: We Got The Beat / Skidmarks On My heart 1981 NL-Illegal Records
Die beiden Cover oben sind selbstverständlich nicht ohne besonderen Grund abgebildet. Das linke umhüllt die erste Single der Damen (auf Stiff), das rechte die etwas spätere Neuaufnahme für ihre Major-Company CBS mit dem Sublabel Illegal-Rec.
Jetzt kommt natürlich, was kommen muss und alle immer wieder jene ärgert, die solche ersten Platten nicht haben: Die Stiff-Single ist natürlich viel besser als die spätere CBS-Aufnahme. Und sie ist natürlich auch viel seltener. Es ist tatsächlich manchmal so und dann des Sammlers Freude.
Den Titelsong, zumindest den Anfang, kennt jeder, der in den 80ern popmusikalisch sozialisiert wurde, war er doch das Intro des 80er-Clip-Clubs „Formel Eins“. In der glatteren CBS-Version natürlich.
Der Song selber ist ein „hammermäßiger“ Beat/Rock-Song. Zwar habe ich mit so richtigen Rocksongs oft meine Probleme, im Grunde ertrage ich sie nur von Mädels. Dann aber, wenn er wie dieser gemacht ist, liebe ich sie ganz besonders. We Got The Beat hat Drive, hat Power, eine tolle Dramaturgie und absolute Klasse. Die Stiff-Version ist zudem deutlich härter, weniger „produziert“ als die spätere, was das Ganze erst richtig, richtig gut macht.
How Much More von der Stiff-Single wurde später ebenfalls noch mal neu aufgenommen und taucht ebenso auf dem ersten Album wieder auf. Auch dessen Direktheit ist dann geschliffen, verhallt und gerundet. Es ist ein genauso toller Song wie die A-Seite mit wunderbaren Melodien und schönem Harmoniegesang.
Waren die Stiff-Go-Go´s also noch eine echte Gitarrenband, mutierten sie bei CBS/Illegal/I.R.S. zu einer Pop-Band, langsam zwar, aber unüberhörbar. Dennoch ist die erste LP von ihnen immer noch um einiges besser als der Output der allermeisten Mädels-Bands. Mindestens auf einer Stufe mit der ersten Bangles.
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2. The Rolling Stones: The Last Time / Play With Fire 1965 D-Decca
Meine No.1 der Stones-Singles. Francoise Hardys Abendwind war 1965 der erste Teil meines Pop-Coming-In, The Last Time der zweite Teil davon.
Mehr als die A-Seite betörte mich zunächst Play With Fire. Dieser seltsame, ruhige Song, der absolut keinen Zweifel daran ließ, wo es langzugehen hatte. Don´t play with me, cause you play with fire. Das verstand jeder. Kein Fun, keine Fröhlichkeit, aber auch keine Balladen-Zutaten wie Streicher und Cembalo, die wir etwas später bei As Tears Go By und Lady Jane zu hören bekamen und die uns zunächst leicht irritierten.
Play With Fire hatte Kraft und Stärke und vor allem Ernsthaftigkeit. Im Vergleich zu Drafis Cindy Lou oder France Galls Poupee de cire, beide zur gleichen Zeit erfolgreich, schien dies hier Musik für die Großen, für die Welt der jugendlichen Erwachsenen, die es im Grunde noch gar nicht gab. Und so fühlte man sich auch als Hörer. Sehr ernst genommen.
Über Play With Fire gelang dann auch der Zugang zur A-Seite, welche eine kleine Herausforderung darstellte: wenig Melodie, ein recht gleichförmiges Arrangement, keinerlei Avancen an den Publikumsgeschmack. Für den Pop-Novizen war das zunächst leicht verstörend, kurze Zeit später aber nur noch großartig. Man wuchs und bildete sich am Besonderen, am Sperrigen. Nein, so etwas hatten die Beatles wirklich nicht zu bieten. Und damit waren die Fronten geklärt.
Eine Platte für die Ewigkeit. Die Stones waren in meinen Ohren nie besser auf Single als mit diesen beiden Seiten.
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3. The Clash: London Calling / Armagideon Time 1979 NL-CBS
Die Single eines der Alben des Jahrzehnts. Nimmt man die Flip dazu, die non-LP ist, so ist sie mehr als das pro toto, sondern eine der Singles für die Ewigkeit.
Über London Calling hier was zu sagen, hieße Sterne ins Forum tragen. Jeder kennt es, jeder weiß es zu schätzen.
Deshalb ein paar Worte über die B-Seite. Ich habe das Original von Willi Williams noch nie gehört. Jackie Mittoo hatte auch seinen Teil daran. Ich weiß auch nicht, von wann es ist. Jedenfalls Studio One Reggae.
Und was haben die Clash daraus gemacht? Ihr Armagideon Time kommt unglaublich ruhig, durchsichtig und hellhörig daher. Aber unter der kaum bewegten Oberfläche strahlt eine wunderbare Straightness und Coolness durch, die etwas hymnenhaft Selbstgewisses hat. Mag die Welt auch nicht so sein, wie sie sollte. Sie wird es werden!
Für mich ihre bezwingendste Reggae-Aufnahme. Und deshalb sind A-und B-Seite zusammen schon verdammt ultimativ.
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Bob Dylan: Mixed Up Confusion / Corinna Corinna NL-CBS 1966
Dylan und Singles? Der Meister der modernen Song-Lyrik macht Small Talk? Auf 7“?
Natürlich hat er Singles veröffentlicht, mag sich der Nachgeborene denken. Irgendwelche LP-Tracks, die vermeintlichen Hits halt.
Aber nichts da. Dylan hat in den 60s und frühen 70s (später meines Wissens kaum noch) einige Singles veröffentlicht, die non-LP waren. Und das sind für Dylanfans z. T. kleine Schätze. Aber auch musikalisch müssen diese 45er sich in keiner Weise verstecken.
Die berühmteste dieser Singles ist die in Fan-Kreisen extrem gesuchte, nur in Holland erschienene Ausgabe von If You Gotta Go Go Now. Von dem Song gab es damals schon bald diverse Coverversionen, wovon die der Fairport Convention sicherlich die großartigste war: Si Tu Dois Partir. Die Dylan-Platte selbst aber ist sehr, sehr selten und recht teuer. Sie gehörte mit Positively 4th Street und Can You Please Crawl Out Your Window zu einem Trio von Mid-60´s Singles.
Zur gleichen Zeit aber erschien noch eine vierte 7“, ebenfalls nur in Holland/Benelux, eine Wiederveröffentlichung der ersten (!!!) amerikanischen Single von ´63: Mixed up Confusion.
Musikalisch ganz anders als alles aus den Folgejahren, eher jazzig, und textlich auf den ersten Blick ziemlich banal. Dennoch…. sie ist eine meiner Faves von ihm. Eine unglaublich frische Platte, musikalisch eine kongeniale Umsetzung der Confusion des Sängers. Klasse.
Es ist eine der Aufnahmen, die mir den Glauben an Dylan zurückgegeben hat, damals in den frühen 80s, als ich sie kennen lernte. Er ist hier weder der Messias oder sonstwie geartetete Vorbeter einer Generation, noch der ein erweckter Evangelikaler, er gibt sich als der konfuse Junge, der er bis heute irgendwo geblieben ist. Wunderbar.
Und da ist es dann auch kein Wunder, dass die Ministranten des Meisters diesen Song sehr lange von offiziellen LP-Veröffentlichungen fernhielten. Auf welche r LP taucht Mixed Up eigentlich zum ersten Mal offiziell auf?
Über Corinna muss nichts gesagt werden. Ganz großartig.
Mithin eine der Singles, für die ich mein letztes Hemd geben würde.
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5. Link Wray: Rumble / The Swag 1958 D-Heliodor
Punk in Reinkultur? Das Zeugnis eines stümperhaften Gitarreros? Die Quintessenz des Rock’n’Roll in Super-slow-motion? Oder doch ein sinister düsterer Trauermarsch, vor dem es kein Entrinnen gibt?
In jedem Fall begegnet dem Hörer hier ein ganz eigentümliches musikalisches Gebilde, das entweder gefangen nimmt oder auf Ablehnung stößt, mit Eigenschaften, die damals so neu wie archaisch waren. Keine Melodien, nur einfachste Akkorde, die kaum etwas herzugeben scheinen. Morbid und dumpf marschierende Drums. Ein Bass, der melodische Bewegung vorgaukelt und kurze Gitarrenparts, die ein Anfänger schon nach einer Stunde Übens drauf haben mag. Sonst nichts. Irgendwann ein paar Takte lang ein an Bo Diddley erinnerndes Schrammeln, dann aber wieder dieser kompromisslose Todesmarsch, der sich am Ende, elektrisch zerhackt und verzerrt, ins Nichts verliert.
So unglaublich simpel das alles vom Spieltechnischen her ist, so unglaublich groß ist es auch. (Dies allen Lukather et al.-Fans ins Stammbuch geschrieben.) Offenbart sich doch hinter diesem Wenigen verdammt viel verstörende Wahrheit, unmittelbar, direkt und gnadenlos.
Dichter und prägnanter kenne ich kaum ein anderes Instrumental, und schon gar keines, das mich emotional immer wieder so berührt. Abgrundtief genial und innovativ.
Obige Heliodor-Pressung gehört zu den sicherlich zu den seltensten deutschen Rock-45ern der 50s.
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