„Vieles war Vollschrott“
Beide wuchsen in der DDR auf, beide wurden Schauspieler, und beide wurden erst nach der Wende bekannt. Heute pflegt das Ehepaar Anna Loos und Jan Josef Liefers auch musikalische Ambitionen - jeder auf seine ganz eigene Weise. Ein Doppel-Gespräch über das Erbe des DDR-Rock.
Spätsommer in Berlin. Eine gepflegte Gründerzeitvilla in Tiergarten. Gelassene Noblesse weht durch die hohen Räume, vornehm knarren dicke Fußbodendielen. Dereinst nannte Stummfilmstar Henny Porten die Adresse Kurfiirstenstraße 58 als Privatresidenz, heute ist hier ein Kaffeehaus untergebracht.
In einer Ecke des gepflegten Gartens sitzen an einem schattigen Tischchen zwei der vertrautesten Gesichter der bundesdeutschen TV- und Kinoszene: Anna Loos (39), zuletzt zu sehen in der Sat1-Produktion „Böseckendorf – die Nacht, in der ein Dorf verschwand“, und Jan Josef Liefers (45), spätestens als Professor Boerne an diversen Tatorten im westfälischen Münster zu nationalem Ruhm gekommen. Seit 2004 sind die beiden verheiratet und haben mit der Musik ein gemeinsames Hobby, das beruflich immer mehr Raum fordert.
Loos singt seit 2006 bei den reformierten Silly, wo sie das schwere Erbe der 1996 verstorbenen Tamara Danz antrat. Zurzeit arbeitet sie mit der Band am ersten Silly-Studioalbum seit Danz‘ Tod. Derweil zieht Gatte Liefers mit Band und Programm („Soundtrack meiner Kindheit“) durch die Lande. Mit frisch arrangiertem klassischen DDR-Liedgut vermittelt er darin nicht nur biografische An- und Einsichten.
Ein Gespräch über die jeweils ganz persönliche Auseinandersetzung der beiden mit dem Erbe der DDR-Musik.
Anna & Jan Josef über das Erbe der DDR: Musiker, Anm. d. Red.). Textlich schon eher, da dachte ich am Anfang, hey, das kann ich gut. Also hab‘ ich an-Was ist heute von der DDR-Musik von Pankow, Manfred Krug und Nina Hagen bis hin zu Silly über den nostalgischen Soundtrack einer Kindheit hinaus geblieben? die Sprache von Silly nicht finden. Also hab‘ ich den Werner Karma angerufen, der ja sehr viele der frühen JJ: Man darf nicht vergessen, dass es in der DDR, genauso wie in anderen Ländern auch, in der Unterhaltungsmusik 80 oder 85 Prozent Vollschrott gab. Unsäglichen Dünnsinn, wie überall auf der Welt. Dieselben dämlichen Schlager. Das gehörte auch dazu. singt. Damals, 2006, hat die Band eine Tournee gemacht, Habt ihr das alte Konzept von Silly Anna: Und vieles war in der DDR eben auch gesponsert, das heißt, von staatlichen Stellen gefördert. Nach der Wende hat sich da sehr schnell die Spreu vom Weizen getrennt. Viele sind untergegangen, die ohne dieses System ohnehin nie einen Blumentopf gewonnen hätten. Trotzdem ist es erstaunlich, wie wenig im Westen angekommen ist. Nimm Silly, die sind im Westen praktisch unbekannt. Ich hab‘ mich als Ossi auch vor der Wende über den Rias Berlin und das Westfernsehen intensiv mit der westlichen Szene beschäftigt, umgekehrt hat sich seitdem aber aus den verschiedensten Gründen kaum ein Wessi groß für die Pop- und Rockmusik aus der DDR interessiert. einem Ausverkauf, dieser besondere Spirit von Silly und Das was spannend ist: Verlierer, Gewinner, Liebe, Tod Andererseits gab es nach der Wende Ost-Acts, die auch bundesweit Erfolg hatten, angefangen mit den Prinzen bis hin zu Rammstein und Silbermond. Wasfiir ein Gefühl war es, mit der Band auf die Bühne Am allerliebsten, glaube ich, gehe ich mit den Jungs Anna: Richtig, nur sind das ausnahmslos Künstler, die sowieso erst nach der Wende bekannt wurden und in der DDR kaum was zu melden hatten. Silbermond waren da ja noch Kinder. Ich denke, die besten Musiker der DDR haben nach der Wende versucht, ihre ureigene Qualität weiterzuentwickeln und in eine neue Wirklichkeit zu übertragen. entscheiden. Muss ich ja auch nicht.
¿* JJ: Man muss sich auch mal vor Augen halten, unter welchen Umständen in der DDR Musik gemacht wurde. Da waren zum einen jede Menge sehr gut ausgebildete Musiker am Werk, andererseits durfte man keine englischen Texte machen, es musste deutsch sein, und jeder Songtext musste durch die Zensur. Man durfte nicht sagen, was man dachte. Und so versteckte man sich in Bildern und Symbolik. Die Haltung war: Wir sagen euch das jetzt mal durch die Blume. Und das Publikum verstand es. Diese Art Komplizenschaft funktionierte in der DDR. Begriffe wie Sehnsucht… Sicher, und das hat auch zu Fehlern geführt. Für meinen ersten selbstgedrehten Film „Jack’s Baby“ hatte ich Anna: Ferne! The Pops“ gespielt. Natürlich ging da bei der Plattenfirma das Licht an. Die wollten noch eine Single, und ich hab‘ JJ: …genau! Das waren die Dinge, um die es in dieser Zeit ging. In den achtziger Jahren änderte sich der Ton, ich würde sagen, weniger Romantik und Pathos, dafür mehr Neonlicht und Tristesse. Realismus eben. dieses Vorurteil bei mir nicht greift. Am Ende hatten wir dann ein sehr gutes Album, nur haben meine Freunde Anna: Der Punkt ist, man muss sich weiterentwickeln. Die großen Bands in der DDR, Puhdys und Karat etwa, die hatten getraut. Aber ich war nur irgendein Sänger und es blieb ein Stirnrunzeln. Eine wichtige Lektion. zu ihrer Zeit echt ein Pfund, aber man muss dieses Pfund eben auch weiterentwickeln. Jetzt aber ist jede Menge Jan Josef Liefers im Programm – ist das eine Art Ego-Show? Sind Ost und West inzwischen musikalisch halbwegs zusammengewachsen ? Na ja, erst mal ist es mein alter Traum, Musik zu machen. Den hab‘ ich, als ich jung war, in den Schrank Anna: Klar, aber eben sehr einbahnstraßenmäßig. Der Osten ist im Westen aufgegangen. finde, es ist eine große Gabe, wenn man den Leuten ein so emotionales Erlebnis wie eine Gänsehaut verschaffen JJ: Für die alten Ostbands ist es schwer, überall im neuen Deutschland Gehör zu finden. Als hätten sie ein Stigma. Manche haben vielleicht auch mit eigenen Bequemlichkeiten zu kämpfen. Keine Ahnung. Aber für jüngere Bands ist die Welt längst größer geworden. Tokio Hotel kommen aus Magdeburg und treiben sich inzwischen überall herum. Die Berlin-Schwerin-Kapelle Rammstein genauso. So soll das sein. Könnte man so sagen. Der Verlag hatte mich gefragt, ob ich das, was ich auf der Bühne erzähle, nicht auch In der DDR gab es für Musiker mit der Staatsmacht ein klares Feindbild – hat Pop heute überhaupt noch Feindbilder? steht, auf der Bühne erzählen würde, dann würde die Show acht Stunden und länger dauern. Beim Schrei-Anna: Früher durfte man fast nichts sagen – heute darf man alles sagen, aber keiner hört mehr zu. Ich glaube, es hat war mir, über die Musik zu sprechen, Film, Theater und die Zeit, in der ich die DDR erlebt habe. keinen Sinn, sich an dem auszurichten, was die Leute vielleicht hören wollen. Man kann nur versuchen herauszufinden, was man als Künstler selber sagen will. Nur dann kann man ein glaubwürdiges Profil entwickeln. eine gute Idee, da weiter zu bohren. Heute ist das Thema Ostrock für mich eine verrückte Wiederentdeckung, was JJ: Es gibt ja Feindbilder. Rammstein gehen in den Charts auf Platz eins. Alle sagen, wie eklig das Video ist, aber jeder will das Geficke sehen. Nicht schlecht. Das ist doch interessant. Dann ist da das vermeintliche Gegenteil, der Christenrock, eine eigene Szene, die bemerkenswerte Umsätze macht. Auch die haben ein Feindbild. Wir leben hier gerade in einem Konsens, der mit dem, was in der Welt passiert, nichts zu tun hat. Aus Mangel an realistischen Alternativen willigen wir ein und hören die jeweils passende Musik dazu. Die Bob Dylans werden gerade knapp, aber es gibt sie und irgendwann machen sie auch wieder Alarm. Und alle werden sagen: Endlich! Zwangsläufig. Allein schon deshalb, weil das, was ich erzähle, den Leuten im Osten natürlich nicht so neu Gibt es im gemeinsamen Haushalt Loos/Liefers über künstlerische Fragen auch schon mal Streit? ben. Ich gehe nicht gerade zimperlich mit der DDR um, und wir hatten schon Leute im Publikum, die einiges JJ: Klar. Aber wir streiten uns nicht wirklich. Eher ist es so, dass wir uns gegenseitig unsere Ansichten zur Verfügung stellen. Möglichst ehrlich und direkt. Dann muss man schon mal schlucken, aber es hilft ungemein und geht immer irgendwie gut aus. vieles nicht und es hat einen Riesenspaß gemacht. Und sie vergleichen das Gehörte mit ihrer eigenen Jugend. Anna: Man verliert ja manchmal selber den Blick fürs Wesentliche, wenn man so tief in der Arbeit drinsteckt. Da ist es sehr hilfreich, wenn man jemanden hat, mit dem man die grundsätzliche Auffassung von der Sache teilt und der trotzdem einen guten Blick von außen hat und einem dann auch ehrlich sagt, wenn er etwas nicht so gut findet. – raoke In The Negative Style“ erschien 2002,