Vertrauensmaßnahmen

Der amerikanische Autor Adam Haslett hat den Roman zur Krise geschrieben.

Der Fluss des Geldes ist „durch nichts gesichert als gegenseitiges Vertrauen“, erklärt Henry Graves, der fiktive Präsident der Federal Reserve Bank of New York in Adam Hasletts Roman-Erstling „Union Atlantic“ (Rowohlt Verlag, 29,90 Euro). Es geht um das Vertrauen ins System, das Vertrauen der Banken, das Vertrauen der Konsumenten. Als der ganze Kladderadatsch kürzlich in sich zusammenstürzte, konstatierte die Bundeskanzlerin nicht umsonst, angesichts der globalen Finanzkrise, die den Beigeschmack einer Katastrophe hatte, sei das Vertrauen, „die wichtigste Währung der Finanzmärkte“, verloren gegangen. Kurz darauf galten ausgerechnet jene Häuser, die spielsüchtige Spekulanten, Finanzjongleure mit Gleichgewichtsstörung und raffgierige Taugenichtse beherbergen, als „systemrelevant“, weswegen sie gerettet werden mussten, um der Narrenfreiheit weiter Vorschub zu leisten; „too big to fail“, wären wir das nicht alle gern?

Worauf ist also noch Verlass? Etwa auf jene Literatur, die einen hohen Realitätsgehalt zu ihren Qualitäten zählt, die ganz nah dran ist am Zeitgeschehen? Hasletts „Union Atlantic“, das in den USA erst im Februar erscheinen wird, wurde mit Vorschusslorbeeren überhäuft: Jonathan Franzen etwa nannte das Buch einen „seltenen Glücksfall“ und das deutsche Feuilleton überschlägt sich ob des endlich eingetroffenen Romans zur Krise, die Bernd Begemann freilich vor kurzem für beendet erklärt hat.

Ein gewisses Gespür für den historischen Moment kann man dem 1970 geborenen Amerikaner, der vor einigen Jahren mit dem Erzählungsband „Das Gespenst der Liebe“, ein bemerkenswertes literarisches Debüt hinlegte, kaum absprechen. Als die Investmentbank Lehman Brothers Insolvenz anmelden musste und die Wirtschaftswelt plötzlich ihrem nahenden Untergang entgegensah, schloss der Jurist und Schriftsteller sein Manuskript gerade ab. Doch obwohl es darin auch um einen skrupellosen Börsenmakler namens Doug Fanning geht, der die titelgebende Bank, die sich innerhalb weniger Jahre zum Global Player mauserte, an den Rande des Bankrotts treiben wird, ist „Union Atlantic“ mehr als eine vermeintlich prophetische Analyse des sich selbst verzehrenden Kapitalismus. Haslett verknüpft die geschilderten Auswüchse des Handels ohne Wert nämlich mit einem vielschichtigen und einfühlsamen Gesellschafts-, Generationen und Familienporträt.

Da ist zum Beispiel Charlotte, Dougs verwitwete Nachbarin und zufälligerweise Henrys Schwester. Der ehemaligen Geschichtslehrerin mit Hang zur Rechthaberei, die auf der Schwelle zur geistigen Umnachtung den Einflüsterungen ihrer beiden Hunde ausgesetzt ist, die mal die Apokalypse heraufbeschwören, mal die Stimme von Malcolm X imitieren, ist Dougs benachbarte Prunkvilla ein Dorn im Auge. Sie, die störrische „Einzelkämpferin gegen eine ganze Armee“, strengt eine Klage gegen die Gemeinde Finden in Massachusetts an, da sie den Wald, den Doug für sein identitätsloses Haus roden ließ, nicht hätte verkaufen dürfen. Ihr Nachhilfeschüler Nate wiederum verliebt sich in Doug, der in dessen Zuneigung eine verachtenswerte Form der Schwäche sieht, die er für seine eigenen Zwecke ausnutzt. Überhaupt betrachtet sich der neureiche Doug, Sprössling einer allein erziehenden und alkoholkranken Mutter, als Gewinnertyp. Im Privaten wie Beruflichen gilt es für ihn, seine Herkunft vergessen zu machen und seine Stärke auf Kosten anderer zu behaupten. Für den Erfolg müssen da notfalls auch Gesetze gebrochen werden.

Mag diese Verflechtung des stellenweise stereotypen Romanpersonals allzu konstruiert wirken, im Dienste eines komplexeren Gesellschaftsporträts, das möglichst viele individuelle Sichtweisen vereinen will, scheint sie vonnöten. Denn letztlich spiegelt sie wider, wie alles mit allem zusammenhängt, wie beispielsweise die staatliche Unterstützung des Nikkei, dank schmierig erlangter Insiderinformationen, Dougs virtuelle Profite vorerst in die Höhe treibt. Um diesen Kontext verständlich zu machen, nimmt Haslett in Kauf, gelegentlich einen leicht pädagogischen Ton anzuschlagen.

Die Belehrungen nehmen jedoch nie Überhand, sodass sich die Faszination für die strukturellen Verstrickungen der Hochfinanz, für die Konsequenzen von Zins- und Zinseszins, rasch auf den Leser überträgt. Was anderswo allenfalls Stoff für die stirnrunzelnde Leitartikel-Rhetorik lieferte, wird hier zum Kern eines ebenso spannenden wie klugen Plots, der unaufgeregt in Szene gesetzt wird. Gerade noch rechtzeitig, wenn der Leser den Fortgang des Geschehens zu ahnen meint, gelingt Haslett eine überraschende Wende.

Allerdings fehlt es ihm zuweilen an ironischer Raffinesse. Will man tiefer eintauchen in die Absurditäten des papierenen Zahlungsverkehrs, wäre eher ein erneuter Blick in William Gaddis‘ Meisterwerk „JR“ von 1975 empfehlenswert. Haslett hingegen, der wie Franzen einer Generation von Autoren angehört, die auf die obsolet geglaubte Kraft der traditionellen Erzählweisen und des breit angelegten Panoramas setzt, ist an postmodernen Finten und bösartigen Sottisen nicht gelegen.

Er meint es ernst mit dem moralischen Aspekt der Literatur, die freilich selbst ohne allzu offensichtliche Urteile auskommt. „Union Atlantic“ verlangt also nach Lesern, die eine durchsichtige Romanarchitektur der metafiktionalen, mehrfach gebrochenen Erzählweise von Thomas Pynchon und Konsorten vorziehen. Womöglich ist auch dieser Ansatz Hasletts Thema geschuldet: Wenn Banken schon nicht mehr zu trauen ist, muss man nicht auch noch die eigene Kundschaft verunsichern.

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