„Versuch’s doch“-Gesicht: Wie LeFloid an Angela Merkel zerschellte
YouTube-Star LeFloid darf für ein Interview zu Merkel. Er versucht sich an kritischen Fragen zu Politik und Privatleben, doch seine Unbefangenheit perlt an der Kanzlerin ab. Sie textet ihn zu. Von Torsten Krauel
Also, ein Whistleblower wie Edward Snowden zu sein, kann Angela Merkel sich eigentlich nicht vorstellen. Auch nicht privat, so insgeheim, in einer privaten Gedankenwelt, die eine Bundeskanzlerin doch eigentlich vielleicht haben könnte? Nein, wirklich nicht.
„Was mich natürlich interessiert, ist so, was … was … was …“
Im O-Ton: Die unbeendete Frage des Interviewers LeFloid (eigentlich Florian Mundt, 28 Jahre, gebürtiger Berliner, Psychologiestudent und Betreiber eines bei Jugendlichen extrem populären Youtube-Kanals) lautete: „Was mich natürlich interessiert, ist so, was … was … was … was einfach Ihr Bauchgefühl sagt. Sie sagen ja, Sie könnten sich das, das nicht vorstellen. Also das ist kein Job für Sie, logischerweise – ist auch in Ihrer Stellung als Bundeskanzlerin …“
Merkel fährt mit ihrem verschmitztesten Mädchenlächeln dazwischen. „Ich habe anderes zu tun und bin auch ganz gut ausgefüllt, ja.“ (Man hört, während sie das sagt, LeFloid die Frage beenden: „… eher schwierig, in Ihrer Freizeit Whistleblower zu sein“.)
Baseballkappe mit eingestickter toter Taube
LeFloid fragt weiter: „Gerade wenn man so darüber nachdenkt, wenn solche Sachen ans Tageslicht kommen, wie sehr gehen Ihre Meinungen, die Sie privat darüber haben, was Sie vielleicht als … als, als … als ,ganz normaler Bürger‘, in Anführungsstrichen, wenn Sie nicht diese Position eben innehätten, auseinander mit dem, was Sie sagen müssen, auch in der Öffentlichkeit, und wie Sie auch beispielsweise, äh, die USA verteidigen müssen?“
LeFloid macht das sehr gut, diese verschachtelt nachdenklichen, scheinbar etwas verstotterten Fragen zu stellen. Die lebhafte Gestik beider tätowierten Arme, die Haarsträhnen unter der Baseballkappe mit der eingestickten toten Taube, die ständige Kopfbewegung unterstreichen LeFloids sehr stetigen Blick aus unaufdringlich dominierenden dunklen Augen, deren Unverwandtheit ein kleiner Leberfleck auf der Stirn noch unterstreicht. Der Video- und Computerspiel-Aktivist ist ein versierter Mediengestalter.
Rhetorisches Schulterzucken
Nur hat Angela Merkel eben schon mit ganz anderen versierten Gestaltern gesprochen, gekämpft und gerungen, und deshalb perlt die Unbefangenheit LeFloids an ihr ab. Sie lässt sich nicht locken und nicht verleiten, sie erwidert ihm mit rhetorischem Schulterzucken: „Da geht meine Meinung nicht privat und, öhmm, dienstlich auseinander.
Öhm, ich weiß halt mehr über die Frage, wie müssen wir die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger schützen, und komme deshalb aus dem Wissen heraus, was notwendig ist, was wir an Anschlägen auch schon verhindern konnten, zu der Überzeugung, dass die Zusammenarbeit notwendig ist, selbst wenn wir unterschiedliche Meinungen haben, wie viele Daten man sammeln muss.“
„Nicht immer nur meine Meinung sagen“
Dann, wegen privat und dienstlich: „Was generell in der Politik natürlich der Fall ist, wenn ich Vorsitzende einer großen Partei bin, die über 400.000 Mitglieder hat, dann kann ich natürlich nicht immer nur meine Meinung sagen, sondern da muss ich auch gucken, wie denken denn die Mitglieder, die ich auch vertrete, und da muss ich dann manchmal natürlich auch Kompromisse eingehen, das ist klar, da kann ich nicht immer 100 Prozent mich durchsetzen, aber man kann sich ja nicht mal 100 Prozent durchsetzen, wenn man mit vier Leuten in irgendeine Gaststätte gehen will“ (LeFloid wirft ein: „Absolut“), „da muss man auch einen Kompromiss machen, das ist eigentlich sehr wie im normalen Leben.“
Bauchgefühl und Kopfgefühl
LeFloid versucht es noch einmal. Also, das „Bauchgefühl der Angela Merkel leidet nicht unter der Frau Bundeskanzlerin Merkel“? Nein, sagt die Bundeskanzlerin Merkel. „Nun bestehe ich ja nicht nur aus Bauchgefühl, sondern auch ein bisschen aus Kopfgefühl, aber …“
LeFloid unterbricht Merkel. „Müssen Sie da ganz klare Abstriche machen, dass Sie privat völlig außen vorlassen müssen, und sind quasi in eine andere Rolle gezwungen? Oder ist das …“
Merkel unterbricht LeFloid. „Naja ich hab – wie jeder Mensch habe ich ein Privatleben, und ich versuche, weil mein Berufsleben ja ein sehr öffentliches Leben ist, mein Privatleben vor dieser Öffentlichkeit auch ein Stück zu schützen und da eben ein Privatleben zu haben.“
Verzweifelt Luft holen
„Ja klar“, sagt LeFloid, denn das war ja gar nicht seine Frage, aber Merkel fährt ungerührt fort: „Und darauf muss ich schon achten, wann immer ich auf die Straße gehe, bin ich halt eine Person des öffentlichen Interesses, heißt es, glaube ich, und da werde ich fotografiert und angeguckt und angesprochen, und das gehört dazu, aber ich glaube eben, dass ich auch den Strich machen und sagen kann, hier ist mein privates Leben, und natürlich verändert ein Beruf jeden Menschen. Wenn Sie den ganzen Tag Physikaufgaben lösen, so, wie ich das am Anfang nach dem Studium gemacht habe, und ganz wenig sprechen, dann haben Sie abends unglaublich Lust, noch mal mit vielen Leuten zu reden …“
„Ich bin ich halt eine Person des öffentlichen Interesses“
(LeFloid holt inzwischen immer öfter ziemlich verzweifelt Luft – Merkel redet und redet und zieht ihn fort in die schönen Merkel-Gefilde, wo jede Frage zu einer wunderbar einfachen Antwort führt, die keine Antwort auf die Frage ist), und Merkel redet weiter: „… und wenn Sie den ganzen Tag mit Leuten reden, dann haben Sie abends vielleicht unglaublich Lust, mal eine Stunde zu schweigen, und so verändert jedes Berufsbild ja auch jede private Tätigkeit.“ Mädchenhaftes Lächeln. „Ja klar“, sagt LeFloid, und es klingt mehr wie ein Murmeln als wie eine Aussage.
Die wirklichen Fragen seiner Kundschaft
Er versucht es ein drittes Mal. Inwieweit beeinflussen private Befindlichkeiten die Politik? Merkel: „Ich kann nicht sagen, heute habe ich schlechte Laune, heute mache ich mal – heute sage ich mal drei Termine ab oder so. So was mache ich natürlich nicht. Dennoch hat ja jeder Mensch seine Charaktereigenschaften, und seinen Humor, und …“
An dieser Stelle, während Merkel weiterspricht, blendet LeFloid in das fertige Video einige der Fragen ein, die die wirklichen Fragen seiner Kundschaft waren. Das Interview stand ja unter dem Motto „Netz fragt Merkel“, LeFloid hatte sich also viele Fragen schicken lassen, und sie lauteten zum Beispiel von Laura Ziebarth: „Haben Sie bereits ein Argument, neben ihren (sic) Bauchgefühl, gefunden weswegen die Homo-Ehe nicht durchgesetzt werden sollte?“ Fragesteller „paullama“: „Warum genau dürfen Menschen, die sich lieben, nicht heiraten, weil die Bundeskanzlerin ein komisches Bauchgefühl hat?“
„Warum genau dürfen Menschen, die sich lieben, nicht heiraten, weil die Bundeskanzlerin ein komisches Bauchgefühl hat?“
Merkel aber fährt eben fort: „… und seine Art zu verhandeln, und so weiter. Das heißt, alles, was mich als Person auszeichnet, das werfe ich natürlich in die Waagschale, so, wie Sie das in Ihrem Interview machen mit mir (LeFloid haucht: „Ja“), so mache ich das natürlich in meiner politischen Arbeit auch, dass ich einfach das, was ich kann, einsetze, um jetzt vielleicht auch für Deutschland was Gutes dabei zu erreichen oder etwas, was uns wichtig ist, zu erreichen oder zuzuhören, so viel wie ich kann, und aufzunehmen und nachzudenken, was mache ich damit … So, das ist das, was ich am Anfang gesagt habe, auch Freude ist an der Arbeit.“ LeFloid zieht hörbar die Luft ein, räuspert sich unbehaglich. Das alles war doch nicht seine Frage gewesen! Merkel, einmal beim Reden, textet ihn weiter zu. „Also jeder hat ja Gaben, und dann hat er auch wieder Dinge, die nicht so gut sind.“
„Absolut“
„Absolut“, wirft LeFloid ein. Merkel redet weiter.
„Ich zum Beispiel …“ LeFloid versucht, sie zu unterbrechen: „Nein, ich kann jetzt …“
Aber Merkel redet weiter, mit einem Hauch größerer Bestimmtheit.
„… bin jetzt nicht so jemand, der alles ganz schnell aufschreibt. Sondern ich würde sagen, im Mündlichen bin ich stärker als im Schriftlichen.“
Das kann man wohl sagen, wenn man dieses Interview verfolgt. Im Mündlichen ist Angela Merkel wirklich gut.
Was hatte sie eigentlich vorhin auf die Fragen nach der gleichgeschlechtlichen Ehe geantwortet? „Eine der Fragen, mit denen ich überhäuft wurde“, wie LeFloid sagte. Wie habe Merkel sich persönlich gefühlt, als der offene Brief von CDU-Mitgliedern kam, in dem diese eine solche Ehe ablehnten?
„Alle Diskriminierungen abbauen“
Merkel sagte, sie sei „sehr stark dafür, dass wir alle Diskriminierungen abbauen“. Da habe man auch viel geschafft. „Für mich persönlich ist Ehe das Zusammenleben von Mann und Frau. Das ist meine Vorstellung, aber ich bin für eingetragene Partnerschaften, ich bin dafür, dass wir im Steuerrecht keine Diskriminierung haben, und wo immer wir noch Diskriminierungen finden, werden wir die auch weiter abbauen.“
Ist das nicht „im Prinzip ein bisschen auch Wortklauberei“, möchte LeFloid wissen. Etwas schaffen zu wollen, das gleich ist, aber nicht gleich benannt wird?
Dazu gebe es eben verschiedene Meinungen, sagt Merkel. „Ich sage meine, und für mich ist die Ehe das Zusammenleben von Mann und Frau …“
(„Absolut“, wirft LeFloid ein)
„… und ich möchte keine Diskriminierung und eine mögliche Gleichstellung, aber mache dann eben an einer Stelle einen Unterschied, da haben Sie recht, und darüber gibt es halt in der Gesellschaft unterschiedliche Meinungen, selbst bei mir in der Partei, in der CDU, gibt es unterschiedliche Meinungen, in der Regierung gibt es unterschiedliche Meinungen. Das muss man eine Weile dann einfach auch aushalten.“
LeFloid atmet scharf aus. Und sagt. „Absolut!“
Gegen eine Wattewand zu fahren tut nicht weh
Gab es einen Punkt, an dem LeFloid als Vertreter der fragenden Internetgemeinde (wer auch immer das ist) und Angela Merkel als Bundeskanzlerin einmal gegensätzlicher Meinung waren?
Absolut nicht.
Gab es in dem Interview eine Neuigkeit?
Absolut nicht. Oder vielleicht eine.
Merkel, und bei dieser Antwort wurde sie dann tatsächlich richtig lebendig, wies einige nicht näher benannte Gegner der geplanten transatlantischen Freihandelszone TTIP in die Schranken. Deutschland, schickte sie voraus, werde in dieser Zone nicht hinter seine hohen Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards zurückgehen. Aber manchmal habe sie einen Verdacht.
„Es gibt ja Menschen, die sagen, unser Umweltschutzniveau in Europa ist nicht hoch genug. Das Verbraucherschutzniveau ist nicht hoch genug. Und die würden gerne im Zusammenhang mit diesem Freihandelsabkommen auch das, was wir als Schutz in Europa haben, noch einmal ein bisschen anheben. Das machen wir jetzt nicht! Sondern wir haben vorher unser Niveau definiert, und jetzt verhandeln wir mit den anderen, damit wir besser handeln können und auch möglichst mehr Arbeitsplätze haben. Und da muss man ehrlich sein. Wer sozusagen als Umweg das mal benutzen will, um etwas durchzusetzen, was er bisher noch nicht durchsetzen konnte, der wird es auch über das EU-amerikanische Freihandelsabkommen nicht umsetzen. Aber es ist nicht fair, dann zu sagen: Wir gehen hinter unsere Normen zurück! Das wird nicht passieren, und das kann ich auch versprechen.“
„Sehr cool“, sagt LeFloid.
„Versuch’s doch“-Gesicht
„Ist noch genug Power da?“
Die Schlussfrage, wie lange Angela Merkel denn noch regieren wolle, kommt ein wenig verklausuliert daher. Ja nun, sagt Merkel, ein freier Samstag ist was Schönes, aber es gibt ja noch so viel zu tun.
Nachfrage. „Also ist noch genug Power da?“
Die Bundeskanzlerin setzt ihr schönstes „Versuch’s doch“-Gesicht auf. „Ich hoffe ja. Ich denke: Ja!“
Gegen eine Wattewand zu fahren tut nicht weh. Bei Merkel passiert das inzwischen so vielen, dass das ganze politische Berlin bandagiert werden müsste, wenn es anders wäre.
Angela Merkel entlässt LeFloid mit einem strahlend mädchenhaften Lächeln.
Dieser Text von unseren Kollegen der WELT erscheint mit deren freundlicher Genehmigung auf rollingstone.de.