Vergangenheitskünstler
Andreas Mand ist ein literarischer Puzzlespieler. Er hat seine Romane immer schon in kleine Abschnitte und Szenen zerlegt. In „Paul und die Beatmaschine“ (Maro. 12 Euro) zelebriert er die Methode der literarischen Fragmentierung noch rigider. Mands Sätze sind Stenogramme. Er kürzt, bis nur noch die richtigen, wichtigen Worte stehenbleiben. Und er perforiert die erzählerische Linie, schneidet alle Überleitungen und Redundanzen heraus. Die erzählte Zeit wird in dieser Prosa zerhäckselt wie im Stroboskop-Gewitter. Das erfordert einen wachen Leser, der die gerissenen Plotfäden zusammenknotet, die Leerstellen füllt, der unausgesprochene Zusammenhänge kombiniert und immer auch imaginiert – den Leser als Mittäter sozusagen.
Wieder geht es hier um Paul Schade, das schon aus früheren Büchern wie „Kleinstadthelden“, „Das rote Schiff oder „Vaterkind“ bekannte fiktionale Spiegelbild des Autors. Mand stellt denn auch immer wieder Bezüge her, spielt auf die dort geschilderten Ereignisse an. „Das ist das Truffaut-Ding“, konstatiert er im Gespräch, „der ja auch immer wieder auf denselben Helden zurückgekommen ist. Da ich unchronologisch und auch nicht von Anfang an planvoll vorgegangen bin, muß ich heute einiges tun, um die Dinge zu verknüpfen. Ist natürlich auch Trotzhaltung gegenüber den großen Verlagen. Eine Arbeit zu machen, die mit deren Hype- und Ramschstrategien, mit deren Zeitbegriff letztlich nicht konform geht.“
Notwendig ist er ein Autor für Eingeweihte geblieben, dessen Bücher sich mehr durch die persönliche Empfehlung, den Hinweis eines aufgeregten Freundes oder eines enthusiasmierten Kritikers verkaufen – und nicht durch eine geschickt lancierte Werbekampagne. Hohe Auflagen erzielt man so kaum, aber das ärgert ihn nicht. „Schon deshalb nicht, weil ich mich ja oft genug selbst entschieden habe, gegen bestimmte Partner und ihre Bedingungen, gegen den Erfolg im Grunde. Ich bin privat, glaube ich, relativ umgänglich.
aber m meine Bücher lasse ich mir ungern reinquatschen. Und an den vermeintlichen Schaltstellen zum Erfolg saßen immer wieder Leute, die genau das versucht haben. Ich will definitiv nicht hören, was die Erwartungen der Vertreterkonferenz sind.“
Allerdings gibt er schon zu, „manchmal unter Druck geraten“ zu sein, „weil die aufwendige Arbeit, die ich mache, praktisch keine andere Arbeit‘ erlaubt und so wenig einbringt.
Das wird im Roman ja auch thematisiert. Paul sitzt ja nicht zum Spaß im Künstlerknast. Aber in einer Situation wie der jetzigen bin ich nicht unzufrieden. Ich konnte bei Maro machen, was ich wollte, ich habe eigentlich seit frühen Schülerzeitungstagen dieses Gefühl von Freiheit nicht mehr gehabt. Es ist okay, denke ich milde, wenn das dazu geführt hat.“
Und was Mand stets ausgezeichnet hat, nicht zuletzt auch seine wundervollen Grover-Romane („Grovers Erfindung“ und „Grover am See“), trifft hier erneut zu: Bei aller formalen Ambitioniertheit bleibt seine Prosa nicht nur lesbar, sie hat einen ganz eigenen elegischen, leicht nostalgischen Sound, der ohne Streichquartett auskommt. Nicht umsonst bezeichnet er sein Alter ego an einer Stelle als „Vergangenheitskünstler“. Wie weit muß etwas weg sein, damit Mand drüber schreiben kann?
„Zuviel Nähe tut dem Text jedenfalls nicht gut. Es sollte gut abgehangen und aus irgendwelchen Gründen vielleicht wieder aktuell geworden sein. Das hängt wohl auch vom Projekt ab. Schreiben ist ja, jedenfalls bei mir, kein durchgeplanter Prozeß. Den Entwurf zu ,Beatmaschine‘ hatte ich schon vor etlichen Jahren, mußte ihn dann aber aus mehreren Gründen erstmal liegen lassen.“
Geschadet hat es dem Roman jedenfalls nicht. Man liest ihn durchaus mit Spannung, obwohl das, was hier erzählt wird, unspektakulärer gar nicht sein könnte. Paul, der Schriftsteller und Rock’n’Roller, erlebt die unmittelbare Nachwendezeit in Berlin. Seine Liebe zu Sabine ist routiniert, die Bääänd hat sich aufgelöst, aber erste literarische Erfolge stellen sich ein. Ein ebenso ehrenvolles wie erniedrigendes Aufenthalts-Stipendium im Stuttgarter „Künstlerknast“ verursacht einen weiteren Schlenker in seinem Lebenslauf. Er verliebt sich in die Mitstipendiatin Suzanna, eine eigenwillige, egozentrische Jugoslawin, noch dazu Mutter von zwei Kindern, und trennt sich von Sabine. Das Leben mit Suzanna ist ziemlich ausgefüllt. Paul schreibt nur noch jeden zweiten Tag und kümmert sich um die Kinder, und er macht es sogar gern. Aber bald geraten die beiden aneinander, in einer Heftigkeit, die ihrem libidinösen Pegelstand in etwa entspricht. Am Ende sitzen sie zwar gemeinsam im Auto und verlassen den Zauberberg-aber wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe!
Auffällig ist einmal mehr die autobiographische Sättigung der Hauptfigur. Der Autor läßt den Protagonisten sogar seinen damaligen und – nach Stippvisiten bei Ammann und Residenz auch jetzigen Hausverlag Maro besuchen. Fiktion und historische Realität gehen ineinander über, bisweilen wird die Fiktion ganz drangegeben.
Die titelgebende „Beatmaschine“ ist die Großmetapher des Romans und berührt zunächst ein zentrales Thema des ganzen Paul-Schade-Zyklus: die Verwandlung von Musik in einen anderen künstlerischen Aggregatzustand. An den Bedingungen, Wechselwirkungen einer solchen Transformation laboriert Paul auch hier wieder und sein Autor nicht minder. Überdies heißt so eine Installation Suzannas, an der Paul mitwirkt und derentwegen sie sich mehr als einmal in den Haaren liegen. In dem Kunstwerk spiegelt sich dann auch ihre dreifaltige Liebesbeziehung: Beat ist der Sex, der Schmerz und zugleich in der ursprünglichen lateinischen Bedeutung das Glück. Es gibt eben nur die Kombi-Packung!