„Verdammt – ich hatte recht!“, so heißt die eben bei Rowohlt erschienene Lebensbeichte der Gift spritzenden Autorin Julie Burchill
Seit gut 20 Jahren schon geistert sie wie ein amoklaufender Racheengel durch die britische Publizistik, doch erst jetzt, mit Veröffentlichung ihrer Autobiografie, beginnt man zu ahnen, wofür und wogegen Julie Burchill ihre wonniglich wüsten Wortgefechte schlug: Gegen sich selbst und für nix und wieder nix, meinen ihre Neider und alle Nepper und Schlepper des Musikgeschäfts. Noch immer ist es, als habe man eine Handgranate entsichert, wenn man in einer Runde saturierter Biz-Banausen den Namen Burchill fallen lässt. Irgendetwas muss die Frau richtig gemacht haben, obschon es nur schwer auszumachen ist inmitten der tausend hochnotpeinlichen Idiotien, die Julie in den Blätterwald spritzte und die ihr den Ruf einer notorischen Skandalnudel und Provokateurin einbrachten. Und lukrative Kolumnen in Fleet-Street-Postillen.
Wahr ist, dass eine „Soziopathin (Selbstbezichtigung) wie Julie überall sonst in der Welt unter die Räder auch der freiwilligsten Selbstzensur gekommen wäre. Nur in England konnte ein nonkonformer Geist wie der ihre gedeihen, unter der Knute der eigenen Komplexe zwar, aber durchaus narre nfrei. Das hat mit der Akzeptanz des Exzentrischen zu tun und mit einer lebendigen Streitkultur, die einiges zu absorbieren imstande ist und letztlich auf dem schönen Umstand basiert, dass in Britannien mehr gelesen wird als in jedem anderen Land. Und Boy, wurde Burchill gelesen.
Zuerst ihre Punk-Prosa beim NME, wo sie 1976 und 1977 einen neuen, völlig irreverenten und maßlosen Stil einführte, gemeinsam mit ihrem Freund Tony Parsons. Getrieben vom Hass auf das Arrivierte und in Routine Erstarrte, aber auch stets aus der Defensive heraus geschrieben, bildeten die militanten Manifeste der beiden Enfants terribles eine Art Vorhut für Dinge, die nie kommen sollten. Die Gleichzeitigkeit von Pop und seiner Presse war nur von kurzer Dauer, dann folgte ihre Destruierung durch Markt und Moneten. Nofuture indeed.
1978 veröffentlichten Julie und Tony ihr erstes Buch. „The Boy Looked At Johnny“ war eine Generalabrechnung mit dem Rock’n’Roll, die keiner kapierte, weil sie gespickt war mit Widersprüchen und voller Wahnwitz. Am Ende wünschten die Wortberserker alle Protagonisten ihres Pamphlets in die Hölle, außer Bruce Springsteen und JoanJett. Ausgerechnet. Und den schwulen Agitpopper Tom Robinson und seine hölzerne Combo: „Compared to the Tom Robinson Band, every other rock musician is wanking into the wind.“
Von da an ging’s bergab. Burchilis an Working-Class-Herkunft, Erziehung und Erfahrung gewachsener Kultur-Kommunismus schlug um in dusseligen, doktrinären Stalinismus. Gut war, was dem Feind schadete. Und Freunde gab es nicht. Schlecht war, was als Weichheit oder Weiblichkeit interpretiert werden konnte. Todesstrafe? Julie war dafür. Den zynischen Herausgebern der Zeitungen, in deren Kolumnen sie die Megäre machte, war’s recht und somit nicht billig. Je mehr sich die Burchill als unberechenbare Furie gebärdete, desto besser verkauften die Blätter. Man stelle sich die PDS-Stalinistin Sahra Wagenknecht vor, mit zehn Mal mehr Hirn, zwanzig Mal mehr Stil und fünfzig Mal mehr Phantasie: Welches deutsche Periodikum würde einer solchen Gefahr für Gesellschaft und sittliches Gebaren ein Forum bieten? „Die Zeit“? Nicht einmal in ihrer Beilage „Leben“, obwohl die eh niemand liest.
Julie Burchill wurde Mutter, Nestorin des Debattierzirkels „Groucho Club“, war mal Lesbe, dann wieder nicht, schrieb Bücher und revidiert nun in ihrer Lebensbeichte so manchen Fauxpas in ihrem oft rasend komischen Werk, das eins nie war: medioker. Zu den „Dingen, die mir einmal als gute Idee erschienen, von denen ich aber mittlerweile abgekommen bin“, zählt sie: „Meine Ehemänner, Rotchina, Cunnilingus und die Jahrtausendwende.“ Drei von vier ist nicht übel.