Vaters kleine Dividende

BEI KONZERTEN VON Genesis saß der Knirps am liebsten auf der Bühne -hinter den Schlagzeugen von Papa Phil und des für Tourneen zusätzlich gebuchten Trommlers Chester Thompson. Da erlebte Simon Collins die große Welt der Popmusik. Mit einer Taucherbrille auf der Nase, damit die Splitter zerbrechender Schlagzeugstöcke ihm nicht in die Augen schossen. „Das war ein Riesenspaß“, erinnert sich der heute 36-Jährige, „ich wich den Sticks aus und fühlte mich wie ein König.“ Der älteste Sohn von Phil Collins -aus dessen erster, Anfang der 80er-Jahre geschiedener Ehe mit der Kanadierin Andrea Bertorelli -ist das Ebenbild seines Vaters, inklusive der untersetzten Statur, der Geheimratsecken und der erstaunlich ähnlichen Stimmfärbung. Auch sein Schlagzeugspiel verweist auf die familiären Bande.

Seine Herkunft habe ihn zu Beginn seiner Karriere gleichzeitig blockiert und inspiriert, sagt Collins jr. Blockiert, weil der riesenhafte Erfolg des Vaters -erst als Prog-Rock-Star, dann als britischer Balladensänger und schließlich als Musical-Komponist -ein frustrierend hoher Maßstab war. Doch die Inspiration wiege schwerer, ergänzt der Junior. „Er schenkte mir ein Schlagzeug zu meinem sechsten Geburtstag. In den folgenden Jahren saß ich da mit Kopfhörern und versuchte, ‚Seconds Out‘ nachzuspielen. Musik ist in mich hineingeschrieben worden, dafür bin ich sehr dankbar. Und der große Ruhm? Ich habe durchaus auch die Schattenseiten gesehen. Am Ende kommt es darauf an, dass man die Musik macht, die man liebt -und zwar mit Leuten, die man mag.“

Collins‘ eigene Musikkarriere begann vor knapp 15 Jahren in Deutschland, als er bei einer großen hiesigen Plattenfirma unterschrieb, nach Frankfurt zog und mit den Dance-Pop-Liedern „Pride“ und „Shine Through“ kleine Hits hatte. Auf den gelungenen Auftakt folgten einige zumindest kommerziell wenig erfolgreiche Jahre des Ausprobierens und Experimentierens. Collins war DJ, produzierte Elektro-Sounds und versuchte, die verschiedenen musikalischen Vorlieben zu einer Kernkompetenz zu filtern. Vieles ist möglich – auch da ist Collins ganz der Sohn seines Vaters. „Wir lieben beides – das große Konzept und den kleinen, kompakten Popsong. Was herauskommt, hat viel mit dem Instrument zu tun, an dem wir komponieren. Ein Klavier und eine Gitarre bringen einfach andere Musik hervor als ein Schlagzeug.“

„U-Catastrophe“, das letzte Werk von 2008, führte Collins einen großen Schritt näher an die Musik, die er als seine größte Leidenschaft bezeichnet: den Prog Rock. „Vielleicht habe ich mich eine Weile geziert, diese Musik zu machen, weil ich mich dann ja noch mehr dem Werk meines Vaters annähere“, deutet er an, „aber Genesis und die anderen Acts dieser Zeit haben mich geprägt. Das ist die Musik, die ich liebe.“

Aus der Arbeit an „U-Catastrophe“ entstand eine Band, die diese Liebe jetzt auf den Punkt bringt: Sound Of Contact. Ihr Debüt „Dimensionaut“ ist Prog Rock nach allen Regeln der Kunst, Sci-Fi-Epos inklusive. Die Songs drehen sich um einen Zeit, Dimensionen und Galaxien überwindenden Reisenden, der mit seiner fragmentierten, heimatlosen und grundeinsamen Existenz fertig werden muss -ein Entwicklungsroman, Marke Progressive. Sound Of Contact finden damit einen eigenen Platz in dem in den vergangenen Jahren wieder kräftig wachsenden Genre. „Dimensionaut“ gehört weder allein ins Lager der Revitalisten, deren originalgetreue Nachbauten meist per Definition rückwärtsgewandt sind, noch in das der Prog-Metaller, die der Dream-Theater-Schule folgen und die Fantasie von damals mit Riffs verhärten. Epische Jams, Pink-Floyd-Verweise und Genesis-Komplexität verbindet Collins mit Pop-Sensibilität, die das Werk an entscheidender Stelle zugänglich macht.

Den Kern von Sound Of Contact bildet Collins gemeinsam mit David Kerzner, der mit seiner Firma Sonic Reality äußerst erfolgreich digitale Sound-Libraries kreiert. Mit Größen wie Rush-Schlagzeuger Neil Peart und Produzentenlegende Ken Scott rekonstruiert er Schlagzeugund Synthieklänge und stellt sie Musikern für die Arbeit im Heimstudio zur Verfügung. Er lernte Collins jr. 2006 bei einer Genesis-Probe kennen, als Tony Banks sich von Kerzner neue Keyboard-Plug-ins erklären ließ. Die beiden wurden Freunde und freuen sich merklich über ihre gemeinsame Band. „Für mich ist das alles wie ein Traum“, sagt Kerzner. „Ich habe einiges fertiggekriegt, eigentlich wollte ich aber immer in einer richtigen Band spielen. Dass ich das jetzt tue -und auch noch mit dem Sohn des Trommlers meiner Lieblingsband -, ist für mich ein großes Glück.“

Kerzner gefällt es, mit Sound Of Contact gewissermaßen seine eigene Arbeit als digital wizard ad absurdum zu führen. „Jeder kann in seinem virtuellen Studio im Alleingang ein ganzes Album produzieren -aber was zwischen uns passiert, wenn wir zusammen spielen, das lässt sich nicht programmieren.“ The sound of contact.

DER LÄNGSTE HERZSCHMERZ IN DER HISTORIE DES ROCK

Wie die Mutter von Simon Collins zu Beginn der 80er-Jahre Phils erfolgreichen kreativen Rachfeldzug auslöste

Phil Collins verdankt Simons Mutter Andrea eine der kreativ gedeihlichsten Krisen der Rockmusik: Die beiden Soloalben „Face Value“(1981) und „Hello, I Must Be Going!“(1982) sowie die Genesis-Platten „Duke“(1980) und „Abacap“(1981) entstanden unter dem Eindruck der Scheidung. Rachegefühle inspirierten womöglich „In The Air Tonight“(gerichtet gegen einen Liebhaber seiner Frau), bestimmt aber „Misunderstanding“,“Like China“, „I Don’t Care Anymore“ und „Thru These Walls“. Erst 1983 fand Phil Collins eine neue Liebe und schrieb das erschütternde „Mama“.

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