Van Morrison
Er ist berüchtigt dafür, bei Interviews gern den größten Schweiger zu geben. Doch wenn inn eine so hübsche Frau wie die ihm frisch angetraute Michelle Rocca befragt, dann wird selbst ein Grantler wie Van Morrison redselig und plaudert über Gott, die Welt und sein Schaffen
Planst Du Deine Alben eigentlich nach einem Konzept? Einen Plan oder ein Konzept gibt es nicht Du stellst einfach die Songs zusammen. Wann immer ich Songs schreibe, versuche ich, sie möglichst bald, nachdem sie geschrieben sind, auch aufzunehmen. Und wenn man dann ein halbes Dutzend beisammen hat, sieht es so aus, als würd’s ein Album werden. Würdest Du mir zustimmen, wenn ich sage, daß die Aufnahme einer Platte fast wie eine Geburt ist? Das war allerdings früher nicht so; damals war es nämlich viel einfacher, Platten zu machen. Ab ich anfing, gab es lediglich Zweispur-Aufnahmegeräte, und in der Regel sang man Songs anderer Leute nach. Du machtest eine Platte innerhalb von ein paar Tagen, und das war’s. Kurz darauf hattest du die ganze Chose schon vergessen. Erst in den letzten 15 Jahren ist dieser Prozeß so ungleich schwieriger geworden, vor allem deshalb, weil dir wesentlich mehr Maschinen zur Verfügung stehen. Die Achtspur-Aufnahmen gingen ja noch in Ordnung. Aber heute müssen es mindestens 24 Spuren sein, und natürlich muß anschließend immer noch am Klang rumgebastelt werden. Erleichtert diese moderne Technik denn nicht die Arbeit? Oder anders geNicht wirklich. Das ist bloß ein Mythos. Denn im Grunde arbeiten wir nur noch für die Geräte-Hersteller. Wenn man sich Leute wie Chuck Berry, Linie Richard, Jerry Lee, John Lee Hooker, Muddy Waters anschaut- – die nahmen alle auf zwei Spuren auf. Rein ins Studio und fertig. Der Mix ergab sich von selbst Heute ist das Mischen eine endlose Angelegenheit Das eigentliche Musikmachen ist in den Hintergrund getreten, da der gesamte Prozeß vieL viel langwieriger geworden ist Was geschieht, wenn Du ein Album im Kasten hast? Entschwindest Du dann in andere kreative Gefilde? Ja, ja, man muß mit der Sache abschließen und sich dann mit anderen Dingen befassen. Das eine Thema ist abgehakt. Du hast etwas geboren, das nun auf eigenen Beinen stehen muß. Du hingegen mußt dich weiterbewegen, um dir neue Bereiche zu erschließen. Kommt es vor, daß Dir Textideen einfallen und Du sie aufschreiben mußt, um Dich von ihnen zu befreien? Naja, so funktioniert das eben. Es fangt mit ein paar Zeilen an, und dann kommen einem immer mehr in den Kopf. Oft fragt man sich: Bedeutet das überhaupt was, oder sollte man’s besser in den Papierkorb werfen? Das ist so wie mit den unterschwelligen Botschaften in der Werbung. Du siehst einen Spot und kriegst ihn nicht mehr aus dem Kopf. Die Songideen wirst du auch nicht mehr los – du verwirfst sie entweder, oder du schreibst sie halt auf. Du hast mal gesagt, Du seist ein Vehikel oder eine Art Leiter für bestimmte Energien. Woher kommen denn Deiner Ansicht nach diese Botschaften oder Texte? Aus dem Unterbewußtsein. Sie kommen aus dem kollektiven Unterbewußtsein. Aus dem kollektiven? Nicht aus Deinem eigenen, persönlichen Unterbewußtsein? Aus beidem. Aber auch einfach aus dem tagtäglichen Geschehen. Du schnappst von überall her Ideen auf. Das kann buchstäblich etwas sein, was irgendwer dir sagt, oder es kann eine Idee oder gar eine Zeile aus einem Buch sein. Unter Umständen etwas, das schon Jahre zurückliegt und das man völlig vergessen hatte. Es kann von überall her kommen. Manches geschieht bewußt manches unbewußt. Findest Du, daß Du manchmal für Deine Kunst leiden mußt? Absolut Obwohl mir diese klassische Vorstellung vom leidenden Poeten nicht so ganz einleuchten will. Nicht die Spur. Ich glaube, das ist einfach nur ein Mythos mehr, denman über die Jahre geschaffen hat, um die Rockmusik zu legitimisieren. Er gehört in jene Zeit, als man dazu überging, die Popmusik Rockmusik zu nennen. Der amerikanische ROLUNG STONE hat damit angefangen; man hat aus der Musik einen Mythos gemacht, und an den glaube ich nicht, da er einfach nicht wahr ist Wie sieht diesbezüglich denn Deiner Ansicht nach die Wahrheit aus? Die Wahrheit ist, daß Songs einfach nur Entertainment sind. Ideen und Entertainment. Ein Song ist Eskapismus. Das war noch nie anders, und das gilt auch heute noch. Gibt es Songs auf Deinem neuen Album, die Du jetzt gern zurückhaben würdest, um sie zu ändern oder zu überarbeiten? Das ist immer so. Ab einem bestimmten Punkt muß man sie einfach rausbringen – oder man tüftelt bis in alle Ewigkeit weiter. Das gibt es auch. Manche Leute können jahrelang an einem Song rumbasteln. ffärst Du eigentlich jemals völlig glücklich mit einem Album? Nein, ich glaube nicht Vbr allem, wenn man sie Jahre später hört Manche meiner frühen Platten waren schlicht und ergreifend Low-Budget-Produktionen. Man ging einfach ins Studio und nahm die Sachen auf. Es gab überhaupt keine richtigen Arrangements – man hat den Musikern gerade mal die Akkorde verraten. Wenn ich solche alten Songs heute mal wieder höre, dann denke ich oft: „Ach, hart ich das damals doch bloß arrangieren können.“ Neigst Du dazu, Rückschau zu halten und Geschehenes zu bedauern, oder bist Du eher der New-Age-Typ, der alles optimistisch betrachtet? Also, mit New Age hab ich absolut nichts am Hut New Age gibt’s schon seit langer Zeit, das Thema wird nur jetzt erst von vielen Leuten entdeckt Jetzt ist es ein Trend, aber der geht zurück auf eine Gruppe von Leuten wie Alan Watts, Timothy Leary und sogar Aldous Huxley. Wahrscheinlich fing es in den Fünfzigern an. Diese Leute waren echte Denker; sie beschäftigten sich mit neuen Lebensformen und neuen Denkweisen. Damals hieß das New Thought Dann hat man New Age draus gemacht – und das war dann die Popversion. Und auch New Thought entstand aus etwas, das schon lange vorher da war. Also, da ist nichts Neues dran. Es gibt kein New Age, es ist einfach die gleiche Sache wie damals, nur mit neuem Namen… Wer sind Deine favorisierten Denker? Einer von ihnen ist Alan Watts. Der ist leider tot Ich bin ihm in den Siebzigern mal begegnet Was die Griechen anlangt, würde ich sagen: Sokrates. Dann vielleicht Milton und Blake. Blake war ein Dichter-Philosoph. Wahrscheinlich gewinnt die Poesie nach einer Weile Überhand. Würdest Du Dich als Songwriter oder ab Dichter bezeichnen? Als Songwriter. Wie steht’s mit Bob Dylan? Oh, der ist beides. Dylan ist sogar ein sehr guter Dichter. Ist Dein jüngstes Album – oder überhaupt irgendeines Deiner Alben eine Reflexion Deiner Gedanken der jeweiligen Phase? Ja und nein. Man kann etwas aufnehmen, aus dem Studio gehen und sagen: „Okay, das war der und der Gedanke.“ Aber vielleicht denkt man schon fünf Minuten später wieder anders darüber. Das kommt vor. Das heißt, im Grunde erzählt der Song halt das, was für den jeweiligen Moment gilt Natürlich kann man das Ganze dann analysieren und feststellen: „Aha, da ist so ein Grundmuster, ein Trend in eine bestimmte Richtung.“ Ich meine, wenn du einen Songwriter wie Mose AUison nimmst und seine Sachen analysierst, dann entdeckst du bestimmte Arten von Songs, die er schreibt Stimmt’s? Schaut man sich die alle zusammen an, dann entdeckt man die unterschiedlichsten Ansätze und Auffassungen. Doch zu glauben, nun habe man das ganze Leben dieses Mannes vor sich, ist völlig falsch. Sein Leben hat mit seinen Songs überhaupt nichts zutun. Glaubst Du, daß einige Deiner berühmteren Alben, sagen wir mal ^Astral Weeks“, eine Phase Deines damaligen Lebens widerspiegeln? Ah, jetzt verstehe ich. Natürlich, ja, ja, jetzt versteh ich, was Du meinst Also, was ^istral Jföeks“anbelangt – diesen Mythos würde ich liebend gern loswerden, weil er in eine Zeit gehört, wo man bestimmte Mythen pflegte. Nur daß diese Zeit vorbei ist, sie existiert nicht mehr. Aber viele Leute hören sich diese Platte immernoch hin undwiedergern an… Ich weiß, aber Du mußt verstehen, daß sie für mich nicht mehr relevant ist Das Album war Teil seiner Zeit Was ich jedoch heutzutage schreibe, ist viel zeitloser. Das heißt also, daß die neue Platte, „Days Like This“, sich für Dich nicht mit der Gegenwart befaßt, sondern mit einer beliebigen Zeit? Doch sie hat nie wirklich existiert. Sie ist bloße Erfindung. Und die Musiker und Künstler, die mehr Publicity wollten, reihten sich sozusagen ein und spielten mit So entwickelte sich diese Mythologie, doch man muß sie ab etwas völlig Getrenntes sehen. Hier ist die Sache selbst, dort die entsprechende Mythologie. Sind irgendwelche Songs auf „Days Like This“ autobiographischer Natur? „Zum Teil sind sie’s alle. Aber es gibt keinen Song, der in Gänze von mir handelt. Sie drehen sich überwiegend um ganz bestimmte Ideen und gedankliche Ansätze. Sind denn die Gefiihle, die Du in Song wie J^o Religion“ oder JMelancholia“ rüberbringst, Deine eigenen, oder sind es Gefiihle fiktiver Figuren, die Du Dir ausgedacht hast? Nein, es sind einfach nur Ideen. Mir fallen oft Sachen ein, wenn ich etwas lese, dann schnappe ich Dinge auf. Der Grundgedanke von „No Religion“ kam mir, als ich mal dachte, ob es nicht phantastisch wäre, einfach in eine Welt geboren zu werden, in der es keine Religion gibt. Stell Dir vor, Religionen würden nicht existieren – man würde Dir lediglich sagen, daß Du nur dieses eine Leben hast – und damit fertig. Kein Himmel, keine Hölle. Ich mei-! ne, das haben vor mir schon viele gesagt, das ist halt Teil des kollektiven unterbewußten Lebens. So kam eben diese Song-Idee zustande. Als Du dieses Album geschrieben hast, ging’s Dir da um Stimmungen und Gefühle, die jeder von uns kennt? Ich denke schon. Inzwischen zweifeln doch die meisten Menschen an der Religion, oder etwa nicht? Ich jedenfalls zweifle, und viele andere tun das auch, da die Religion für so viel Zerstörung und so viele Kriege verantwortlich ist. Sie hat der Menschheit nicht gerade besonders viel Gutes beschert, oder? Welche Situationen inspirieren Dich am meisten? Das ist völlig unterschiedlich. Ich kann durchaus inspiriert sein, wenn ich mal deprimiert bin. Da kann was draus entstehen. Und natürlich, wenn ich mich großartig fühle, wenn ich Bäume ausreißen könnteoder auch wenn ich irgendwo dazwischen bin. Da gibt’s wirklich keine feste FormeL bt es für Dich immer noch harte Arbeit, Songwriter zu sein, oder kommen die Eingebungen in der Regel ganz von allein? Mal kommen sie von selbst, mal muß man hart dran arbeiten. Man muß sich ja permanent neue Songs einfallen lassen. Du schaltest nicht auf Autopilot. Das gilt ja sogar fürs Singen; man kann selbst seine Stimme nicht als Selbstverständlichkeit betrachten. Du mußt dir stets neue Herausforderungen suchen. Das ist wie beim Gewichtheben: Du erreichst nicht irgendwann einfach den Tag, an dem endgültig alles perfekt ist, nein, du mußt immer dranbleiben™ Reden wir nochmal von „No Religion“. Gehst Du in diesem Kontext mit Nietzsche konform, der einmalsagte: „Gott ist tot“? Teilweise. Denn die Religionen sind nur Interpretationen dessen, was der Mensch zum Gott erklärt hat Der Mensch schafft Gott nach jenem Bild, von dem er meint, daß es Gott entspricht Das ist letztlich das, was Religionen tun. Und sie schaffen darüber hinaus all die Dogmen, die mit diesen Gottesvorstellungen verbunden sind. Du bist ein eifriger Leser der Schriften Rudolf Steiners, fhrträgt sich das mit den Atissagen von Nietzsche? Eigentlich nicht, nein. Obwohl Steiner vor seinem Tod das Werk Nietzsches bearbeitet hat. Er hat sämtliche Schriften gesammelt und zusammengestellt. Glaubst Du auch, daß Gott tot ist? Für mich bt Gott nichts weiter ab ein Wort Es hängt alles davon ab, was jemand mit diesem Wort meint, und unterschiedliche Religionen haben halt auch unterschiedliche Verstellungen von Gott. In einem katholischen Land wie Irland könnten die Leute einem Song wie „Ab Religion “ entnehmen, daß es für Dich keine Religion gibt. Ja, aber genauso sagt der Song aus, daß die Menschen den Glauben an ihre Religion verlieren. Wie zum Bebpiel ans Christentum. Viele verlieren den Glauben ans Christentum, es gibt ihnen einfach keine Erfüllung mehr. Aber heute heißt es ja, man dürfe die Bibelnicht mehr so wörtlich nehmen. In der Tat nicht Die Bibel wurde vor langer Zeit geschrieben. Es gab ja auch vor ihr schon ähnliche Bücher. Das heißt, in die Bibel floß ein, was bereits vorher Bestand hatte. Das Alte Testament handelt mit Sicherheit von „den Juden“. Bist Du ein religiöser Mensch oder ein spiritueller? Ach, ich verwende diese Begriffe längst nicht mehr. Es sind genau die, die einen in Schwierigkeiten bringen. Ich weiß nur, daß es irgendeine Form von Energie gibt, und ich glaube nicht, daß irgend jemand eine Ahnung davon hat, worin oder woraus diese Energie besteht Manche nennen sie „Gebt“, und daher kommt ja auch das Wort „spirituell“. Aber das bt nicht mehr ab nur ein Namensschild. Mit der Sache selbst hat das nichts zu tun. Könntest Du einen typischen Van-Morrison-Tag beschreiben, sagen wir mal einen freien Tag? Wenn ich nicht arbeite, dann lese ich normalerwebe, oder ich sehe fern, und nach Möglichkeit gehe ich spazieren. Ich vertreibe mir einfach die Zeit Ich höre natürlich auch Musik. Aber selbst wenn ich lese oder Musik höre, arbeite ich gleichzeitig, weil ich stets all meinen Eingebungen nachgehe. Also daß ich gar nicht arbeite, das gibt es eigentlich nie. Erzähl mir mal etwas über den Song „YouDon’tKnowMe“. Den hab ich das erste Mal von Ray Charles gehört. Ich hab ihn bereits damals in den Sechzigern gespielt, als ich in Belfast bei einer Band war, die The Monarchs hieß. Wir hatten schon regelmäßige Auftritte in Thompson’s Restaurant, und ich sang „You Don’t Know Me“ und „I Can’t Stop Loving You“ von Ray Charles. Ray Charles hat Dich und Deine Karriere wohl ziemlich beeinflußt. Absolut. Aber damals wußte ich noch nicht, daß „You Don’t Know Me“ ja ursprünglich ein Cowboy-Song war, den der Country-Sänger Eddie Arnold mitgeschrieben hatte. Mein Vater hatte ein paar von seinen Platten, das heißt, ich kannte ihn schon als Kind. Aber daß er auch für diesen Song mitverantwortlich ist, das weiß ich erst seit kurzem. Du hast bei diesem Album auch mit Deiner TochterShana zusammengearbeitet. Das muß sicher etwas ganz Besonderes genasen sein. Das war es. Es war wunderbar. Denkst Du, daß sie eines Tages auch im Musikbusiness landen wird? Tja, es sieht ganz danach aus. Ich meine, ein paar Songs hat sie schon geschrieben. Könnte gut sein, daß sie bald ihren eigenen Plattenvertrag hat Wann hast Du „I’ll Never Be Free Again“, den Song, den Du mit ihr zusammen singst, das erste Mal gehört? Mein Vater besaß die Platte bereits, als ich noch sehr jung war. Der Song war mal ein großer Hit für Tennessee Ernie Ford und Kay Starr. Und weil ich damals als Kind noch sehr aufnahmefähig war, blieb er mir bis heute im Kopf. Jimmy Witherspoon, ein Freund von mir, hat ihn übrigens auch mal aufgenommen. Er hat auch auf meinem Album JÄve At San Francisco“ mitgespielt. Hast Du die Songs, die Du zusammen mit Deiner Tochter gesungen hast, nach bestimmten Kriterien ausgewählt? Nein, es waren einfach Songs, die ich schon seit Ewigkeiten aufnehmen wollte. Wie gesagt, „You Don’t Know Me“ hab ich schon vor vielen Jahren gespielt. Es waren halt die Songs, an denen mein Herz hing. J’u Never Be Free“ ist ein sehr beeindruckender Song. Wie definierst Du für Dich persönliche Freiheit? Ich glaube, es gibt sie gar nicht. Sie ist noch so ein Mythos. Aber wenn ich drüber nachdenke, würde ich sagen, sie ist etwas sehr Individuelles, das sich danach richtet, was du unter Freiheit verstehst. Vielleicht erlangen manche ihre ganz persönliche Freiheit; ich hingegen glaube nicht, daß sie existiert. Zumindest für mich nicht. Ich denke mal, daß es äußerst schwierig ist, in dieser modernen Welt Freiheit zu finden. In unserer Gesellschaft lebst du nach bestimmten Regeln, und an denen führt nun mal kein Weg vorbei. Du kannst allenfalls ein begrenztes Maß an Freiheit für dich verwirklichen. Was mich persönlich und meine Karriere anlangt, so arbeite ich sehr hart und investiere sehr viel Zeit in diese Arbeit Und das ist es, was mir eine gewisse Freiheit gibt. Ich werde nicht von den Kritikern oder von den Medien kontrolliert. Wurdest Du das je? Und ob. Oft sogar. Aufjeden Fall, als ich anfing. Jahrelang. Ich wußte, daß ich dieses oder jenes tun mußte, aber wenn du lang genug durchhältst, dann kannst du der Kontrolle entgehen. Zu dem Thema paßt ein anderer Song: „Why Must I Always Explain?“. Der handelt von solchen Leuten, die nichts produzieren, die sich aber als Autorität gegenüber denjenigen gebärden, die die Arbeit tun. So wie zum Beispiel ich und meine vielen Kollegen. Wir machen die Arbeit, und dann stellen diese Menschen sich hin und kritisieren uns. Sie bringen’s zu Autoritäten auf diesem Gebiet, obwohl sie selbst keine Ahnung haben, wie man es macht Der Song „Russian Roulette“ handelt von intriganten Emporkömmlingen. Sind Dir von dieser Sorte viele begegnet? Aber klar. Hunderte. Wie gehst Du mit denen um? Ich schüttele sie ab, das ist der einzig mögliche Weg. Früher gab es Heerscharen von ihnen, aber da waren sie auch leichter zu durchschauen, weil das Musikbusiness viel kleiner war. Heute ist es ein Tummelplatz von großen Firmen mit ihren Mechanismen, und die halbseidene Tour ist längst legitim geworden. Aber gibt es so was nicht überall, in jedem Lebensbereich? Schon, aber im Musikgeschäft leider mehr als irgendwo sonst Das müßte man wahrscheinlich überprüfen, aber ich glaube es stimmt deswegen, weil diese Leute in keinem anderen Business überleben könnten. Man würde sie schlicht feuern. Dann gibt’s noch das Kumpel-Syndrom und die Schulterklopf-Taktik… Aber es gibt doch auch nette Leute im Musikbusiness, oder etwa nicht? Natürlich, aber da sag ich mir: Na und? Es gibt ja auch eine Menge netter Leute, die Gitarre spielen. Ich glaube einfach, daß auf der Business-Seite mehr Leute mit unmoralischen Methoden durchkommen, weil das Business im Kern unmoralisch ist Es ist heute sozusagen legitimerweise unmoralisch. Da ist eine Fassade, hinter der die Unmoral normal geworden ist. Siegehört halt zum Establishment, verstehst Du? Und darum kann man sie so schlecht aufspüren. flenn das so stimmt, warum bringen das dann nicht viel mehr Leute von Deinem Schlag ans Licht der Öffentlichkeit, damit der Nachwuchs besser kapiert, was Sache ist? Ich weiß es auch nicht. Die meisten wollen einfach ihr Image ab Stars aufrecht erhalten. Mir hingegen ist das wirklich egaL Ich wollte auch nie ein Star sein. Aber ich hab so das Gefühl, daß viele dieser sogenannten „Star“-Musiker ihren Lebensstil mehr als alles andere lieben und nicht mehr zurechtkommen würden, wenn sie mal keine Stars mehr wären. Die hüten sich natürlich höllisch davor, etwas anzuprangern, das ihnen doch ihre Berühmtheit und ihr Startum sichert. Sind heute vielleicht die Medien die Religion des 20. Jahrhunderts? Ganz entschieden, ja. Meiner Ansicht nach haben sie die Kirche abgelöst. Sie haben die Religionen, so wie wir sie kannten, ersetzt Malcolm Muggeridge hat mal den Fernseher die „Idiotenlaterne“ genannt – diese kleine Kiste in der Mitte des Zimmers. Die nun das Leben der Menschen bestimmt…? Genau. Es geht mehr und mehr darum, daß man alles sofort haben muß. Die Instant-gute-Laune oder was auch immer. Und daß das so sein muß, das erzählen uns – wer? Dreimal darfst du raten – wieder die Medien. Fernsehen. Videos. Du mußt zehn neue Videos pro Woche haben, all so was. Sie reden dir ein, daß du diesen Dauerkitzel brauchst, ansonsten lebst du nach ihrer Auffassung nämlich nicht mehr. Hast Du inzwischen den Wunsch, einmal Philosophie zu lehren? Ja, ich würde gern an einer Universität Philosophie lehren. Wer sind Deine Lieblings-Philosophen? Aristoteles, Sokrates, Sartre, Steiner, manchmal Hubbard und viele andere. Denkst Du, irgendwann kommt der Tag, an dem Du diesen Wunsch verwirklichen kannst und Du tatsächlich ein Philosoph wirst? Na ja, das hoffe ich schon, aber andererseits braucht man ja eine Plattform für so was. Plattformen sind diesbezüglich alles. Ich hab einen Ehrendoktor der University of Ulster, aber eine Position im engeren Sinne haben sie mir nicht angeboten. Bekäme ich eine angeboten, ich würde auf der Stelle annehmen. Worum ging’s Dir in Deinem Song ^4ncient Highway“? Ich wollte mit diesem Song einfach aus dem Rat Race, aus der Tretmühle raus. Das ist so eine dieser Geschichten, die einem immer wieder in den Sinn kommen. „Alan Watts Blues“ war auch so ein Song, der davon handelte, aus dem Rat Race auszusteigen. Der Blues bedeutet Dir viel.. Ja, „I was born with the blues in my blue suede shoes“, heißt es so treffend in diesem Song. Wie sieht denn Deine Definition von Blues aus? Als ich aufwuchs, hieß es immer, nur Schwarze könnten den Blues singen, weil sie in Unterdrückung gelebt hatten. Aber viele andere Rassen wurden genauso unterdrückt. Junior Wells sagt: „I don’t care if you’re white, I don’t want to fight, I don’t care if you’re purple, green, lavender, turquoise or whatever, people are people…“ Der Punkt ist, der Blues war immer da. Es geht nicht um Rassen – den Blues gab es immer, überall. Samuel Charters hat unlängst ein Buch geschrieben, in dem er die Wurzeln des Blues verfolgt und dabei in Portugal landet… Ein anderer Song von Dir heißt „Underlying Depression“… Ja, ich denke, diese unterschwellige Depression gehört zum Alltag eines jeden. Deprimiertheit ist ein Teil des Lebens und du kannst sie nicht wirklich unterdrücken. What goes up must come down. Das ist wie die Schwerkraft. Depression ist Schwerkraft. Ganz einfach. Es gibt allerdings Wege, da rauszukommen. Und wie? Naja, Arbeit, Therapie, was auch immer. Eben die Art von Therapie, die bei dir wirkt. Zu guter Letzt: Handelt der Song „Perfect Fit“ vielleicht von einem absolutperfekten Kleid? Könnte sein. Könnte um einen Hut, ein Kleid oder einen Anzug gehen. Irgendwas. Es könnte auch um Menschen gehen. Gibt es perfekte Menschen? Das glaube ich eigentlich nicht Wer, glaubst Du, paßt perfekt in ein solch perfektes Kleid? Marylin Monroe. Mir fällt grade sonst niemand ein. Gib mir zehn Minuten Zeit (lacht), und ich liefere Dir eine ganze Liste. Du bist dem Sternzeichen nach Jungfrau. Das heißt, typischerweise müßtest Du Dir den „Perfect Fit“ für alles wünschen. Stimmt das? Ach, der Song stammt halt aus der Schublade“Ideale“, aber besonders realistisch ist er deshalb jedoch nicht. Können wir dem entnehmen, daß Du trotz aller Erfahrungen, trotz Deiner 49 Jahre, ein unverbesserlicher Idealist geblieben bist? Bin ich, ja. Ich werd’s halt nie kapieren… Aufweiche Eigenschaften kam’s Dir bei der perfekten Frau an? Intelligenz. Ohne Intelligenz ist alles andere umsonst, von daher ist das das wichtigste Kriterium. Abschlußfrage: Welcher Song der neuen Platte ist Dir der liebste? Im Moment finde ich, „Ancient Highway“ ist ein Monster von einem Song. J3