Zum Tod von Uwe Seeler: Der legendärste der legendären Fußballkünstler
Der kleine Mann war ein wendiger Wühler, wurde Mittelstürmer und war beteiligt an zwei unvergesslichen Spielen der Nationalelf.
Uwe Seeler war ein Mann, dessen Physiognomie stets erkennbar war: Das gescheite, verschmitzte Gesicht des Jungen spiegelte sich noch im Gesicht des alten Mannes, der mit dem Stock durch sein Hamburg ging, wo ihn auch Dreikäsehochs kannten, obwohl sein letztes Spiel 50 Jahre zurücklag.
Seeler wurde nie Fußballweltmeister, aber er nahm an zwei Spielen teil, die zum ewigen Vorrat der Legenden gehören: das Endspiel gegen England in Wembley 1966 und das Viertelfinale der WM 1970 in Mexiko, wiederum gegen England.
Dass die deutsche Mannschaft beide Turniere nicht gewann, ist die Tragik und die Grandezza des Uwe Seeler. Nach dem falschen Tor und der Niederlage in Wembley verabschiedete er sich per Handschlag von dem schweizerischen Schieds- und dem russischen Linienrichter und trat als Kapitän der Mannschaft vor die britische Königin. In Mexiko machte er ein Tor mit dem Hinterkopf, wie man nie wieder eines gesehen hat. Es war sein letztes von 43 Toren für die Nationalmannschaft.
Da war Uwe Seeler längst der berühmteste und beliebteste Fußballer des Landes. Er stammte aus einem Arbeiterhaushalt in Hamburg-Eppendorf und übernachtete in der engen Wohnung im Schlafzimmer seiner Eltern. Auf der Straße spielte er Fußball und kam 1946 zum Hamburger SV; schon als 17-Jähriger spielte er in der ersten Mannschaft. Der kleine Mann war ein wendiger Wühler, wurde Mittelstürmer und vor der Weltmeisterschaft 1958 in Schweden von Sepp Herberger berufen. Der schlaue „Chef“, Weltmeistertrainer von 1954, setzte den Ersatzspieler Seeler gegen Argentinien ein: „Machen Sie es so, wie ich gesagt habe.“ Uwe Seeler machte ein Tor.
Uwe Seeler: Maskottchen des HSV
Mit dem HSV wurde er 1960 deutscher Meister und damit Stadtheld und Maskottchen des Vereins – umso mehr, als er 1961 das Angebot von Inter Mailand ausschlug, für einen Koffer voll Geld (angeblich mehr als eine Million Mark) nach Italien zu gehen. „Uwe bleibt!“, stand auf den Titelseiten der Tageszeitungen. Seine resolute Frau Ilka sagte später: „Die Italiener haben einen Fehler gemacht: Sie haben nicht mit seiner Frau gesprochen und nicht geguckt, wie wir eigentlich leben.“
Nämlich am Stadtrand von Hamburg, nahe dem Volksparkstadion, also der Wirkungsstätte Seelers. In einem geräumigen Mercedes fuhr er als Handlungsreisender „einer großen Sportschuhfabrik“ (Adidas) durch Deutschland – es waren auch Tischtenniszubehör, Trikotagen und Schlafsäcke im Angebot. 1965 riss bei einem Spiel Seelers Achillessehne; die „Tagesschau“ kam ans Krankenbett. Seeler kämpfte sich zurück und brachte die Nationalmannschaft zur WM nach England und ins Endspiel. „Besser kann man ein Land nicht vertreten. Uwe ging voran“, sagte Franz Beckenbauer, der als 20-Jähriger an dem Turnier teilnahm.
Uwe Seeler rannte und geiferte unentwegt
Bis zur WM 1970 in Mexiko waren Günter Netzer und Wolfgang Overath hinzugekommen – und der Mittelstürmer Gerd Müller von Bayern München, ein anderes Genie des Strafraums. Uns Uwe war jetzt der Alte. Der Nationaltrainer Helmut Schön beorderte den 33-Jährigen ins offensive Mittelfeld. „Von der Höhenluft wusste ich“, sagte Seeler. „Aber sie hatten nichts über die Hitze gesagt.“ Beckenbauer schildert Seeler als drolligen Choleriker, der „90 Minuten unentwegt nicht nur rannte, sondern redete, der über den Schiedsrichter schimpfte und diesen und jenen Mitspieler – sein Mund stand nie still. Er lief mit hochrotem Kopf auf dem Platz herum wie ein Feuermelder.“
Auf Bayerisch klingt das noch putziger. Sogar in der hinteren Position schoss Seeler noch Tore. Und dann machte er das Hinterkopftor und ging in den Mythos ein. Jeder Mensch, der sich je für Fußball interessiert hat, kennt dieses Tor.
Im Jahr 1972 machte Seeler sein letztes von 640 Spielen für den HSV. Udo Jürgens sang zum Abschied im Hotel Atlantic. Als Krisenpräsident des Vereins – Franz Beckenbauer, mittlerweile Fußballorakel, und die Vereinsmitglieder drängten ihn – war er in den 90er-Jahren glücklos: Ein Monument kann keinen Club leiten. Seelers Fuß steht heute als gewaltige Skulptur vor dem Volksparkstadion – eine hamburgisch-lakonische Form der Ehrung. Uns Uwe wusste gar nicht, was Bescheidenheit bedeutet: „Es ist das Schönste auf der Welt, normal zu sein.“ Und das Schönste ist, dass Uwe Seeler gar nicht normal war.
Gestern starb der legendärste der legendären Fußballkünstler im Alter von 85 Jahren in Hamburg. Er hätte so gern noch das Spiel der deutschen Fußballfrauen gesehen.