Unterwegs mit Kerouac
Aus einer Jugend im mittleren Westen und der Lektüre von "On The Road" machen The Hold Steady ein reflektiertes Meisterstück des klassischen Rock
„Dass es das noch gibt“, hat neulich im Plattenladen jemand gesagt, als diese Funken sprühende Mischung aus Bruce Springsteen, Randy Newman und The Replacements aus den Boxen blies. „Dass es das noch gibt“, heißt aber noch lange nicht, dass The Hold Steady ein Fall für den Friedhof der Classic-Rocker sind. Denn das von Minneapolis nach Brooklyn übergesiedelte Quintett bringt zwei Dinge zusammen, die sich leider viel zu oft ausschließen: Rocken und Denken. Gleichzeitig! Untermalt von mächtigen Power-Akkorden, raffinierten Pianoläufen und Hymnen zum heiser Schreien erzählen The Hold Steady von einer Jugend ohne Gott, von der Verlorenheit im Paradies. „Der Albumtitel kommt von Kerouac“, sagt Craig Finn, der Sänger und Texter der Band. „Mit 16 habe ich zum ersten mal ‚On The Road‘ gelesen. Aber das Buch hat mir nicht gefallen, vielleicht habe ich es auch nicht verstanden. Aber trotzdem ging es mir im Kopf herum. Mit 32 habe ich es dann noch einmal versucht – und war begeistert. Vor allem von dem Satz ‚Boys and girls in America have such a sad time together‘, den ich in ‚Stuck Between Stations‘ zitiere. Der Rest des Satzes ist aber mindestens genauso wichtig: ‚Sophistication demands that they submit to sex immediately without preliminary talk. Not court talk. Real straight talk about souls, for life is holy and every moment is precious.‘ Ich weiß nicht, ob man ein ganzes Album auf diesem Satz aufbauen kann, aber es ist immerhin ein guter Ausgangspunkt für eine Platte.“ Allerdings. Alle Stücke dieses dritten Hold Steady-Albums handeln von der Beziehung zwischen Jungen und Mädchen, und fast immer sind dabei auch Drogen im Spiel: „Rocksongs handeln nun mal von Hochs und Tiefs“, behauptet Finn, der mit seiner dicken Hornbrille und den wirren Locken mehr wie ein intellektueller Dichter aussieht als wie der Frontmann einer exzessiven Rockband. „Drogen und Alkohol sind für viele Menschen ein Mittel, um Hochs und Tiefs zu erzeugen. Das hat mich interessiert – die Beziehungen der Menschen untereinander und ihre Beziehung zu Drogen. Welche Rolle das in ihren Herzen spielt, wenn sie miteinander ausgehen und rummachen.“
Die Geschichten von The Hold Steady speisen sich aus einer stinknormalen Jugend im Mittelwesten, der Peripherie von Minneapolis. Außer Boys und Girls, Alkohol und einem weiten Spektrum von Drogen gab es da nicht viel. Nur die Musik. Die stammte anfangs von Springsteen, Led Zeppelin, Thin Lizzy oder Van Haien, später kamen Hüsker Du, The Replacements und Soul Asylum als prägende Einflüsse dazu: „Unsere Liebe zum Classic-Rock hat nichts mit Ironie zu tun – das kommt tief aus unseren Herzen“, behauptet Finn und freut sich darüber, dass „Chillout Tent“ von seinem persönlichen Helden Dave Pirner gesungen wird.
Keiner seiner Songs ist biografisch, sagt Finn, doch die Welt der ganz normalen amerikanischen Teenager ist ihm vermutlich besser vertraut als jedem Sozialarbeiter. Es ist eine fremde und seltsame Welt, von der Hold Steady berichten. Oder weiß jemand, was ein „Party Pit“ ist? „In Amerika ist Alkohol für Jugendliche streng verboten. Du musst in die Wälder gehen und dir eine Grube suchen, wo du sicher bist und in Ruhe trinken kannst. Es ist vor allem ein Platz, um sich als Minderjähriger mit Gleichgesinnten zu treffen. Die Cops wussten damals genau, was da los war, und kamen fast täglich vorbei. Es war wie ein Spiel.“
Das Konzert, dass The Hold Steady in Hamburg gegeben haben, war dann auch wie erwartet: Boys und Girls, Bier und Booze, Humor und Wahrheit, Rock und Roll – dass es das noch gibt!