Unsere allerletzte Wahrheit
Die Manic Street Preachers wollen inzwischen keine politische Band mehr sein - doch vielleicht werden sie auch darüber noch mal nachdenken
Die Spötter waren sich einig: Das letzte Album der Manie Street Preachers, „Know Your Enemy“, sei der missglückte Versuch gewesen, mit allen Mitteln zurückzukehren zum politischen Statement, zur Agit-Wut der ersten Tage. Man konnte das ja verstehen; zwei Platten lang hatten die verbliebenen Manics die Gradlinigkeit der ersten Tage hinter klug aufgestellten Fassaden versteckt und ein trojanisches Pferd ins Lager des etablierten Entertainment geschickt. Nun sangen die versklavten Arbeiter „A Design For Life“, und die Massen hatten ein Lied für den Aufruhr im Herzen.
Bloß die Manics selbst, die kamen sich bald ein bisschen zu clever vor. „Wir finden schon, dass die ersten zwei Platten nach Richeys Verschwinden unsere bis dato beste Arbeit waren“, sagt James Dean Bradfield, „aber wir hatten auch das Gefühl, uns immer mehr hinter unserer Musik zu verstecken. ‚Know Your Enemy‘ sollte unser Befreiungsschlag werden. Wir wollten raus aus unseren Mustern und eine ganz direkte, unreflektierte Platte machen, laut und fleischlich sein, Blut pissen – alles, nur nicht zuviel nachdenken.“
Um die neue Platte der Manie Street Preachers zu verstehen, muss man diesen Hintergrund unbedingt im Gedächtnis behalten. Während „Know Your Enemy“ die musikalischen Prozesse entkrampfen und die Manics wenigstens im Studio von ihrem Reflexionszwang befreien sollte, muss „Liveblood“ dasselbe nun auf ganzer Linie schaffen.
„Wir wollen einen Schlussstrich ziehen“, sagt Bradfield, „unsere Geschichte ist von zu vielen sehr mächtigen Worten bestimmt. Verstümmelung, Tod, Verschwinden, Wut, Politik, Kuba. Selbst wenn wir hier und da ausgebrochen sind, blieb das Diktat doch in unseren Köpfen – nicht zuletzt, weil es uns von außen ja immer wie ein Spiegel vorgehalten wird. Aber ab wir auf unser bisheriges Werk zurückblickten, konnten wir erkennen, wo wir uns geirrt haben. Dieser Prozess hat unsere bis dahin gelaufene Geschichte zu einem Abschluss gebracht“
Und so verkündet James Dean Bradfield hier also so mir nichts, dir nichts eine kleine Sensation: Die Manie Street Preachers wollen ab sofort keine politische Band mehr sein. „Wenn du es so sehen willst, bitte. Ich habe kein Problem mit so einer Headline. Zumal sich die Dinge ja wieder ändern können.“ Natürlich wollten sich Bradfield und vor allem Kollege Nicky Wire nicht ganz trennen von politischer Polemik, Volkserhebung und Sozialrevolte, und auch auf „Lifeblood“ ist entsprechende Lyrik. Allein, sie ist in der Unterzahl. „Wir haben einfach genug von den ganzen Agenden in unseren Köpfen“, sagt Bradfield und erzählt von krampfhaften Versuchen, die richtige Musik für die richtigen Texte zu schreiben, von endlosen Diskussionen und einem großen inneren Druck, den selbst aufgestellten Maßgaben gerecht zu werden.
Dass die Manics den Neuanfang hinbekommen haben, ist auch Produzent Tony Visconti zu verdanken. „Wir haben von ihm zum ersten Mal gehört, was uns jetzt so klar erscheint: dass wir mit ‚Everything Must Go‘ und ‚This Is My Truth Tell Me Yours‘ auf dem richtigen Weg waren. Dass diese Texte kein falscher Kompromiss waren und diese Musik genau das ist, was wir zu geben haben. Und dass wir die Dinge nicht bis zum Geht-nicht-mehr reflektieren, sondern einfach an die Arbeit gehen müssen.“
Auf „Lifeblood“ ist ganz elegische Popmusik mit 80er-Verweisen, weit wehenden Keyboards und nicht mehr sehr wuchtigen Gitarren; man habe sich an New Order und den Associates orientiert, sagt Bradfield. Scheinbar ganz unpassend ist die erste Single, ein Lied namens „The Love Of Richard Nixon“, das den gemeinhin für böse gehaltenen Republikaner gewissermaßen rehabilitieren soll.
„Es geht uns darum, die Dinge im richtigen Zusammenhang zu sehen“, ist Bradfield nun doch wieder der politische Aufklärer. „Natürlich ist Nixon ein Schuft; aber alle Politiker sind Schufte. Guck dir mal JFK an: Der Mann ist für einige der schrecklichsten Auswüchse des US-Imperialismus verantwortlich. Aber er ist ein Demokrat und er sieht gut aus, also wollen wir glauben, dass er der Gute ist. Ist er aber nicht; er ist verbogen wie all die anderen. Man kann diese Dinge nicht in schwarz und weiß unterteilen. Das wollten wir klarstellen.“