Unsere 20 Lieblingsalben der 80er: Joy Division – „Closer“
JOY DIVISION: „Closer“ (Factory, 1980)
Die 80er-Jahre beginnen in Kälte. Die Utopien der Sechziger und Siebziger sind aufgebraucht, die Wärme der sozialen Bewegungen hat sich verflüchtigt, es herrschen Gefühle der Vereinzelung und Isolation. In Westdeutschland singen Ideal von der „Eiszeit“ und die Einstürzenden Neubauten „Draußen ist feindlich“, in Großbritannien kündet Punk vom Ende der Geschichte und von der Ankunft des Jüngsten Gerichts: „There’s no future for you and me.“ Aber die schwärzeste, härteste, hoffnungsloseste Musik dieser Zeit spielen Joy Division aus Manchester. Sie lassen die Zeit erstarren. Ihr Sänger, Ian Curtis, malt kristallene Bilder einer Introspektion, der nichts, was sie findet, zur Heimat wird.
Seine Texte handeln von Selbsthass, Verzweiflung und Scham, von dem quälenden Blick in eine Welt ohne Möglichkeiten. Gegen den politischen Pessimismus der Punks kündet Curtis – scheinbar traditionell – vom Kummer des Einzelnen. Doch handelt diese Subjektivität zugleich vom Tod des Subjekts. Niemals spricht Ian Curtis die Sprache der Romantik. Seiner Verzweiflung fehlt jede Süße, jeder operettenhafte Unernst, wie die Punkrocker jener Jahre ihn zur Schau zu tragen pflegen – aber auch jene Grellheit der Selbstüberschätzung, in der Popmusik gemeinhin ihre Melancholie relativiert, zur vorübergehenden Verwirrung Pubertierender. Bei Joy Division geht nichts vorüber.
Die Bilder, die sie in ihrer Musik malen, sind ewig – „Eternal“, so der Titel eines Songs auf ihrem zweiten Album, „Closer“ aus dem Jahr 1980. Der Bariton, in dem Ian Curtis singt, scheint ohne Licht, ohne den winzigsten Funken Lebenskraft. Produziert wird „Closer“, wie schon „Unknown Pleasures“, das Debüt der Band aus dem vorangegangenen Jahr, von Martin Hannett, einem genialen Klangbauer, der seine Techniken beim Dub Reggae abgeschaut hat. Bei King Tubby und Lee „Scratch“ Perry hat er den Gebrauch der Echokammer und des endlos verzögerten Halls gelernt. Doch wird hier nichts eingelullt oder umschmeichelt. Hannetts Echo ist plastisch und transzendental: Aus dem Verklingen der Dinge baut er gewaltige Räume, Kathedralen, in denen die Stimmen, die Schicksale noch kleiner und einsamer wirken. Gitarre und Bass mischt er weit in den Hintergrund, bis nur noch das rhythmische Gerüst übrig bleibt und Curtis’ Gesang. Wie ein Stern aus endloser Ferne dringt er durch einen rauschenden Äther.
Im Mai 1980, kurz vor der ersten US-Tournee der Band, erhängt sich Ian Curtis in seiner Küche. „Closer“ erscheint einen Monat später posthum und zeigt eine Pietà auf dem Cover: Maria vor dem gestorbenen Jesus. „This is the crisis I knew had to come/ Destroying the balance I’d kept“, heißt es in dem Lied „Passover“, Pessach. „Turning around to the next set of lives/ Wondering what will come next.“ Da ist die Krise, ich wusste, sie kommt/ Sie raubt mir das Gleichgewicht/ Ich wende mich den Nächstgeborenen zu/ Was passieren wird, weiß ich nicht. Die Rhythmusgruppe von Joy Division ersteht bald wieder auf. Unter dem Namen New Order schenkt sie der tanz- und zukunftswütigen Jugend der 80er-Jahre einige ihrer lebensbejahendsten Hits.