Ungekrönte Könige des Swinging London
Sommer 1965
Im Sommer 1965 war Swinging London vielbestaunter Nabel nicht nur der Popwelt. Hier konvergierten Kunst, Kino, Literatur, Medien, Mode und Musik auf ungekannt schillernde Weise, hierhin pilgerte die hippe Jugend aus aller Herren Länder, um sich an den Hotspots der Stadt zu treffen. King’s Road und Carnaby Street hießen die zugkräftigen und umsatzträchtigen Fashion-Biotope, in den Clubs von Soho spielten nächtlich die heißesten Acts der Mod-Szene, in den Galerien von Chelsea und Notting Hill war es Ehrensache, seiner Zeit weit voraus zu sein. Paradox also, dass der globale Sommerhit jenes denkwürdigen Jahres seinen Siegeszug nicht von der britischen Metropole aus antrat, sondern von amerikanischem Territorium. Sicher, die USA waren nach der „British Invasion“ vom Vorjahr popmusikalisch kolonialisiert. Dennoch sorgte es für Indignation bei der In-Crowd, dass die „ungekrönten Könige des Swinging London“, wie die „Times“ schrieb, „ihren neuesten Schrei“ zuerst auf fremdem Kontinent vernehmen ließen.
Die Rede ist natürlich von den Rolling Stones und „Satisfaction“. In Clearwater. Florida von Keith im Traum ausgeheckt, in Hollywood aufgenommen und eigentlich nicht für Single-würdig erachtet, entwickelte das Wutgeheul wider Konsumterror und Fremdbestimmung eine ungeahnte Eigendynamik, wurde im Juni auf den nach neuer Stones-Musik lechzenden US-Markt geworfen und hatte dort mehr als eine Million Abnehmer gefunden, ehe Decca in England in die Gänge kam. Die paar Wochen zwischen US- und UK-Release überbrückten die Piratensender mit Import-Copies, was der Popularität dieser Sender, die von Schiffen aus Pop-Britannien beschallten, ungeheuren Auftrieb gab. Die Interpreten selbst stellten den Song im heimatlichen England bei einigen Gigs live vor und wunderten sich, dass lauthals mitgesungen wurde, wiewohl die im Stones-Camp umstrittene Single erst im August in die Läden kommen sollte.
Er habe sich am Sound der Fuzz-Gitarre schnell überhört, sagte Richards, es wäre ihm lieber gewesen, man wäre seiner ursprünglichen Idee gefolgt und hätte Bläser dafür eingesetzt, so wie später Otis Redding. Fraglich freilich, ob man so eine ähnlich durchschlagende Massenwirksamkeit erzielt hätte.
Womöglich wäre es „Satisfaction“ sogar ergangen wie der anderen großen Hymne des swingenden London: „My Generation“ nämlich von The Who. Die fand außerhalb Englands zunächst kaum Abnehmer, am wenigsten in Amerika.