Unfrieds Urteil: Wie Rock’n’Roll ist die SPD? Und wie Tom Liwa einen großen Song daraus macht
Rock’n’Roll und SPD? Das kann nicht zusammengehen. Aber Tom Liwa hat es geschafft. „KP“ verknüpft die Enttäuschung über die Partei mit einer Reflexion der eigenen Selbstgerechtigkeit und Sehnsucht.
Kann man einen großartigen Rock’n’Roll-Song über die Sozialdemokratische Partei Deutschlands schreiben? Never ever, hätte ich gedacht. Aber Tom Liwa und die Flowerpornoes haben es geschafft. Es ist der Song „KP“ vom aktuellen Album „Umsonst & Draußen“. Liwa selbst sagt mir, er sei sich gar nicht sicher, ob er den Song so gelungen fände. Ich bin mir sicher.
Das liegt erst mal an der Musik: sehr eingängiger Erwachsenenrock, ideal für jemanden, der von dem legendären John-Lennon-Satz aus dem ROLLING-STONE-Interview von 1971 geprägt ist: „I’ve always liked simple rock“. Dazu kommt die grundsätzliche poetische Qualität Liwas. Auf dieser Grundlage erzählt er die Geschichte eines enttäuschten Mannes auf der Suche. Enttäuscht von der SPD. Und von sich. Auf der Suche nach politischer Haltung.
Der Erzähler schildert zunächst seine Sozialisation im Nachkriegs-Westdeutschland der 60er Jahre, genauer: in einem bürgerlichen SPD-Haushalt. Kommunisten braucht es nicht, denn „um die Arbeiter kümmert sich die SPD“, wie „der alte Greiner“ dem Sohn erklärt. (Liwas Geburtsname ist Greiner).
SPD sein oder wählen galt bis zu Brandts Rücktritt 1974 als richtig und gut. Vom politischen 68er-Kern mal abgesehen. Dann war es in den linksliberalen und künstlerischen Milieus zumindest noch akzeptiert, jedenfalls wenn man sich mit Helmut Schmidts Atompolitik nicht ernsthaft beschäftigte und in der Konsequenz Grüner wurde. Wie Heinz Rudolf Kunze in „Bestandsaufnahme“ schon in den frühen 80ern sang: „Wir sind jetzt mündig und wir haben nichts zu sagen. Wir wählen selbstverständlich weiter SPD“. Und live hinzufügte: „Naja“.
Zwischen Selbstmitleid und Selbstzweifel
Wenn der Erzähler Liwa nun aus der Gegenwart zurückblickt, kann er nur den Kopf schütteln, dass der Vater und auch er damals tatsächlich glaubten, die SPD bringe es. Es sei doch mit der Umorientierung zu Volkspartei 1959 „schon vorbei“ gewesen, wenn nicht viel früher.
Aber das Problem ist nicht nur die SPD, sondern auch, dass der Künstler, der Kritiker des Establishments, des Kapitalismus, der Ausbeutung undsoweiter nicht mehr durch Parteiergreifung für die SPD auf der richtigen, der sicheren Seite stehen kann.
„KP“ (Abkürzung von: Kommunistische Partei) beschreibt nicht nur eine grundsätzliche Desillusionierung mit der SPD. „KP“ ist keine konkrete Partei, schon gar nicht Linkspartei. „Die war mir immer zu slick“, sagt Liwa. Er will auch nicht die SPD erziehen. „KP“ beschreibt die Sehnsucht nach mehr, nach einer Utopie. Auch die Sehnsucht nach politischem Style, einer zum Typ passenden Ästhetik, die für den Protagonisten 1968 stimmig war, obwohl er „als Bürgersohn auf den Barrikaden nichts verlor’n“ zu haben glaubte.
Er reflektiert auch – und das macht ihn groß – die hilflos-selbstgerechte Position, von der aus die SPD verdammt, die Utopie herbeigesehnt und von globaler Gerechtigkeit gefaselt wird, nämlich das Leben als Teil der heutigen – europäischen – Aristokratie, wie der Schweizer Regisseur und Intellektuelle Milo Rau uns nennt. Selbst wenn man nicht in einem Festanstellungsparadies lebt. „Wenn man’s mal nicht hat/ dann macht der Papa das Konto glatt/ und schon ist man wieder zu sat“. Der Erzähler sieht sich selbst im Spiegel als Clown, der an „Selbstmitleid erstickt“, während weltweit unterdrückt werde. „Den einen knechtet der Kapitalismus durch explizite Unterdrückung, den anderen durch implizite Selbstzweifel“, sagt Liwa dazu.
Die emotionale Überwindungssehnsucht der Strukturen mündet angesichts der eigenen Verstrickheit, der Komplexität und der fehlenden postkapitalistischen Perspektive (das die fehle, ist meine Position, Liwa sagt, das schmecke ihm nicht) gern in die Verdammung einzelner Figuren, das sind in der Regel Grünen-Politiker und der jeweilige SPD-Vorsitzende oder Spitzenkandidat, der ja immer der Falsche sein muss, um bei der ganzen Ungerechtigkeit, die er verkörpert, wenigstens seiner Entlastungsfunktion gerecht werden zu können.
Schatzi, mach dich schön, wir geh’n in die KP!
So sieht der Erzähler am Ende des Songs auf „Tele 4“ ein Interview mit „Sigmar Satan Gabriel“ und rastet aus. Dieser Wutanfall ist aber nicht nur selbstgefällig, er ist pointiert. Gabriel ist bekanntlich der Name eines Erzengels im Alten Testament, der Satan ist ein gefallener Erzengel. Und er ist gleichzeitig auch authentisch und kraftvoll. Er mündet nämlich in Handeln. Symbolisches Handeln, zunächst, aber das ist der erste Schritt aus larmoyanter Lähmung.
Den Erzähler radikalisiert der Anblick dieses Gabriel-Satans dermaßen, dass er im gehobenen Alter doch noch Kommunist wird. Er erklärt sich nun sogar zum „Unhipscheiß“ bereit. Liwa ist inspiriert von der Lektüre der Biografie von Robert Wyatt. Der querschnittsgelähmte Sänger der englischen Progrockband Soft Machine war einige Zeit nach seinem Unfall zusammen mit seiner Frau Alfreda Benge in die Kommunistische Partei eingetreten. „Im vollen Bewusstsein sämtlicher auf der Hand liegender Standardargumente dagegen“, sagt Liwa. Ganz generell finde er „Konsequenz sehr anziehend.“
Am Ende des Songs ruft er daher linksmachomäßig seine Partnerin ran und befiehlt: „Hey Schatzi, mach dich schön, wir geh’n in die KP!“
Was für ein komischer und gleichzeitig pathetischer, was für ein grandioser Satz. Der allein ist 1,29 Euro für das Runterladen wert, was uns zu dem bekannten Problem führt, dass „KP“ große Kunst ist, aber aus linkskritischer Perspektive als Gesinnungskonsum gebrandmarkt werden müsste. Ein Milo Rau würde sagen: Auch so etwas stellt ruhig, weil man ja durch den symbolischen Pseudopolitik-Akt glaubt, auf der richtigen Seite zu sein und sich selbstgerecht seinem affirmativen Leben im Spätkapitalismus zuwenden kann. Und das Grunddilemma nicht angehen muss: Den eigenen Reichtum als privilegierter Europäer abzugeben für eine neue, gerechtere Welt.
Heiter, pathetisch und links
Das Ganze mündet nicht in die Beschwörung von Klassenkampf oder Kaderschule, sondern in eine pathetische Heiterkeit. Am Ende bekennt der Erzähler sich zu dem nicaraguanischen Dichter und Sozialisten Ernesto Cardenal („Rolemodel total“). Damit beschwört er eine politische Utopie, die in der Vergangenheit liegt. Liwa insistiert jedoch, sie sei „nicht irreal“, sondern eine „folgerichtige Verbindung von linker Politik und Spiritualität.“
Am Ende ist zweierlei passiert. Der linksfühlende Erzähler von „KP“ hat tatsächlich eine Konsequenz gezogen. Zumindest für den Moment schiebt er Schatzi und sich „ins Licht“.
Damit hat er für seine Sehnsucht eine Ausdrucksform gefunden. Das zweite ist, dass diese Sehnsucht sich auf den Hörer übertragen hat.
Jetzt kann der schauen, was er damit macht.
Peter Unfrieds Top Five der SPD-Songs:
- KP – Tom Liwa und die Flowerpornoes
„Dabei war’s mit der Partei/schon in Godesberg vorbei“
- Wer hat uns verraten? – Marc-Uwe Kling
„Wer hat keinen einzigen, fähigen Kanzlerkandidaten? Sozialdemokraten, Sozialdemokraten“
3. Bestandsaufnahme – Heinz Rudolf Kunze
„Wir haben keinen Grund uns wirklich zu beklagen/denn Sozialismus täte uns ein bißchen weh“
- Wann wird’s mal wieder richtig Sommer – Rudi Carrell
„Mein Milchmann sagt: Dies Klima hier, wen wundert’s/denn schuld daran ist nur die SPD“
- Als Willy Brandt Bundeskanzler war – Funny van Dannen
„…Hatte Mutti noch goldenes Haar/Waren Cindy und Bert noch ein Paar/Als Willy Brandt Bundeskanzler war.“
Peter Unfried ist „taz“-Chefreporter und schreibt jeden Dienstag exklusiv auf rollingstone.de