Unfrieds Urteil: Wagenknechts Torte und Kippings Tweets – keiner braucht die Linkspartei
Das große Problem der Linkspartei ist, dass sie nicht zu gebrauchen ist. Weder für eine reformistische Politik, noch für den Umsturz des Systems. Und die Medien haben gerade auch was anderes zu tun.
Während des Parteitags der Linkspartei tweetet Katja Kipping. „Solidarität kennt keine Grenzen“. – „Wir sind viele und mehr als wir denken.“ – „Links gewinnt zusammen!“ Ein Poesiespruch reiht sich an den anderen. Samstag, 15.03 Uhr, schreibt sie: „Schön, dass Sahra wieder da ist“. Auf dem mitgetweeteten Foto sieht man sie und die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht ernst schauen, dazwischen den Co-Fraktionsvorsitzenden Bartsch.
Wagenknecht, 46, wurde am Samstagmorgen von Mitgliedern einer Initiative namens „Torten für Menschenfeinde“ eine Schokoladentorte ins Gesicht geworfen. Gerade ist sie zurück in den Saal gekommen. Auf dem mitgetweeteten Foto sieht man Kipping vor einem Teller.
Ein Follower fragt: „Isst du da Torte?“
Kipping, 38, schickt einen weiteren Tweet: „Der Tortenangriff war nicht nur ein Angriff auf Sahra, sondern auf uns alle.“
Meint Follower „Klaus“: „Angriff … ja ist denn schon wieder Krieg?“
Was er offenbar sagen will: Geht es nicht eine Nummer weniger dramatisch? Mindestens seit Laurel und Hardy wird der Tortenwurf als Mittel eingesetzt, Leute zum Lachen zu bringen. In der Regel wird damit ein Mächtiger lächerlich gemacht oder „destabilisiert“, wie das bei politischen Aktivisten heißt. Lustig ist es aber in der Tat für die nicht, die es trifft.
Protestkarawane ist zur AfD weitergezogen
Da wir in einer Ökonomie der Aufmerksamkeit leben, ist selbst diese Torte am Ende auch ein Krumen für die Linkspartei. Genauso wie Gregor Gysis Urteil vor dem Parteitag einer war, dass die Partei „kraft- und saftlos“ sei. Erst dadurch hatten die anderen sagen dürfen, sie seien keinesfalls kraft- und saftlos. Besser hätte es auch nicht laufen können, wenn man etwas inszeniert hätte – und schon gar nicht mit inhaltlichen Diskussionen.
Das ändert aber nichts: Die Protestkarawane ist zur AfD weitergezogen. Und die Medienkarawane auch. Kaum dass der AfD-Spitzenkommunikator Gauland den Fußball politisiert hatte (Boateng-„Debatte“), war die Linkspartei vergessen.
Das große Problem dieser Partei – man könnte es schwurbeliger formulieren, aber das hilft ja auch nichts – ist, dass sie nicht zu gebrauchen ist. Für viele sowieso nicht. Aber im Moment auch nicht für viele, die sie eigentlich wählen könnten, weil sie verspricht, ihre Interessen zu vertreten. Also Mental-Ostler und sozial Schwache, die sich von Union, Grünen und SPD, der Mehrheitsgesellschaft und deren Staat verlassen fühlen.
Der Sprit der West- und Bedeutungsausdehnung der Linkspartei war in der zweiten Hälfte der Nullerjahre die Empörung eines Teils der SPD-Wähler über die Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Schröder-Regierung. Das ist lange her. Die Linke regiert zwar mit einem sozialdemokratischen Gewerkschafter als Ministerpräsidenten das Bundesland Thüringen. Aber ohne das Protestmomentum hat es eine Partei schwer, die zumindest im Bund im Grunde nicht regieren kann, weil sie von SPD-Hass, Reformismuskritik und universalen Appellen lebt.
Das wissen die realitätsorientierten Linkspartei-Spitzenpolitiker Bernd Riexinger und Kipping, weshalb sie die rot-rot-grüne Karotte immer wieder raushängen und von einem „Lager“ sprechen, mit dem man eine „Gerechtigkeitswende“ angehen wolle. Im nächsten Redebeitrag sind aber die angeblichen Lager-Parteien wieder die schlimmsten neoliberalen Verwerfer ever, die den Aufstieg der AfD befördert haben und erst mal eine moralische Wäsche in der Linkspartei-Schleuder brauchen (was deren Wähler mit Sicherheit nicht mehrheitlich einsehen). Dass sich die unterschiedlichen innerparteilichen Kräfte gegenseitig lähmen, sorgt dafür, dass die Partei derzeit noch relativ stabil dasteht. Aber würde sie sich bewegen, bräche wohl alles zusammen.
Der Grundirrtum besteht darin, dass es kein „linkes Lager“ gibt. In der aktuellen Gesellschaft sind die Lager im Wording des Soziologen Heinz Bude „heimatlose Anti-Kapitalisten“ und „positiv gestimmte Systemfatalisten“. Letztere gehen davon aus, dass es sich lohnt, Errungenschaften der letzten Jahrzehnte (Demokratie, Freiheit, ihr eigenes Häuschen) zu bewahren und dass der Kapitalismus zu reparieren ist. Irgendwie. Denen erscheint die Linkspartei als Ganzes zu antikapitalistisch und zu antikonstruktiv.
Erstere fürchten, dass ein Systemzusammenbruch alles den Bach runter gehen lässt – aber vor allem sie. Teile dieser Anti-Kapitalisten sind entschiedene Vertreter der offenen Gesellschaft. Viele sind entschiedene Gegner, weil sie die neu Angekommenen als Gefahr und Konkurrenz sehen.
Wagenknecht will nichts reparieren
Im alten Denken sind sie also links und rechts gleichzeitig. Diese Protestkombi kann die AfD deutlich besser als die Linkspartei bedienen. Entsprechend waren die jüngsten Wahlergebnisse im März. In Baden-Württemberg versuchte Parteichef Riexinger soziale Gerechtigkeit und Kritik an neoliberaler Parteiensoße mit internationaler Solidarität für Geflüchtete zu kombinieren. Ergebnis: 2,9 Prozent. Die AfD kombinierte Gerechtigkeit und Anti-Establishment mit Rassismus. Ergebnis: 15,1 Prozent. Nur Sahra Wagenknecht versuchte zeitweilig, eine nationale Note in die Öffentlichkeit zu kommunizieren. Und dafür bekam sie dann auch beim Parteitag die Torte ins Gesicht. Von einer Gruppe, die womöglich aus dem eigenen Umfeld kam.
Wagenknecht steht für das radikale Dagegen, das Teil dieser Partei ist und für manche Stakeholder ihr Existenzgrund. Sie will nichts reparieren. Auch nicht die SPD läutern oder abstrafen wie ihr Ehemann Oskar Lafontaine. Sie will das System zum Einsturz bringen. Sie hat ein Buch geschrieben darüber, warum der Sozialismus verloren hat. Kurzfassung: Weil Pragmatismus und Opportunismus in die Erosionsfalle der Kapitalisten führte. Dennoch freuen sich selbst an „Bunte“ orientierte Schrankwandvollmütter, wenn sie in Talkshows auftritt. Ihr neuestes Buch mit dem Catchwort „Gier“ ist in den Top Ten der Bestsellerliste. Kippings empathisches und lösungsorientiertes Buch zur Flüchtlingssituation dagegen kennt kaum einer.
So wird das – trotz AfD – noch eine Weile weitergehen. Es ist ein bisserl wie die Muppet Show. Der vernünftige Kermit (Kipping), die glamouröse Miss Piggy (Wagenknecht), der zottelige Fozzie Bär (Riexinger): Und immer wieder quaken die beiden Alten (Gysi, Lafontaine) von der Loge aus dazwischen.
Dass diese Linkspartei der Motor einer reformistischen ökosozialen Koalition werden könnte, ist nun wirklich nicht mit der Realität in Einklang zu bringen. Aber auch Grünenhasser und Salonlinke, die verbal mit Systemüberwindung liebäugeln, können sicher sein, dass ihren Privilegien durch diese Partei keine Gefahr droht.
Peter Unfried ist Chefreporter der „taz“ und schreibt jeden Dienstag exklusiv auf rollingstone.de.