Unfrieds Urteil: Von Julia Klöckner bis Donald Trump – die wichtigsten Politiker 2016
Jeremy Corbyn, Sigmar Gabriel, Julia Klöckner, Boris Palmer, Bernd Riexinger, Manuela Schwesig, Donald Trump und Guido Wer? Der Politiker-Schnelldurchlauf 2016. Wen kann man ignorieren, wen besser nicht?
Jeremy Corbyn. Der Labour-Vorsitzende ist eine entscheidende Figur bei der Frage, wie Großbritannien seine EU-Zukunft und die von Tory-Premierminister David Cameron versprochene Volksabstimmung dazu diskutiert. In einer Situation, da Cameron die EU zwingt, Spielchen zu spielen, damit er und Europa an Zustimmung gewinnen, bräuchte es ein klares Pro zum Postnationalismus und dem europäischen Projekt. Corbyn ist aber deutlich EU-skeptischer als Labour, weshalb Großbritannien nun zwei taktierend-lavierende Spitzenpolitiker hat, die beide im Kern zwar nicht wirklich nationalistisch und gegen die Verfasstheit der EU sind, aber der EU entweder zu wenig (Cameron) oder zu viel Neoliberalismus (Corbyn) vorwerfen. Beide werden getrieben von UKIP und den EU-Hassern in ihren Parteien. Obwohl die Konservativen durch die Wahlen gestärkt wurden, sind es zwei verunsicherte Volksparteien, die mit sich selbst beschäftigt sind.
Sigmar Gabriel. Unzählige Geschichten werden thematisieren, warum Gabriel es nicht drauf hat. Die kann man alle ignorieren, denn das primäre Problem der SPD ist nicht ihr Vorsitzender oder potenzieller Vizekanzlerkandidat für den Wahlkampf 2017. Die sozialdemokratischen Volksparteien sind im Moment einfach CDU und übrigens auch CSU. Die Vorstellung, die SPD müsse daher einfach wieder „links“ werden, damit sie moralisch wieder okay sei und dadurch mehrheitsfähig, ist nicht von dieser Welt. Wer sich das wünscht, sollte vielleicht erst einmal in anderen Staaten die Bedingungen für Wählerzuwächse von Links- und Rechtspopulisten analysieren. Die Konstellation 2016 ist nicht links gegen rechts. Sie ist politische Mitte der Gesellschaft gegen größer werdende Ränder. Dort ist man empfänglich für großspurige, aber illusionäre Politikangebote, die Gemeinschaft durch Beschwörung eines feindlichen Außen (von Muslimen bis EU) konstruiert. Die AfD ist ein solches Angebot. Aber es wäre für Deutschland und die EU genauso problematisch, wenn eine linkspopulistische deutsche Partei auf diese Art wachsen würde.
Julia Klöckner. Könnte am 13. März die erste CDU-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz seit 1991 werden. Mit ihrem Stil und ihrem Charme steht sie für eine „moderne“ Regional-CDU. Es gibt keine andere Politikerin, die so strahlend daherkommt wie Klöckner. Wenn man sie deshalb aber gleich zur kommenden Kanzlerin erklärt, dann sagt das zunächst einmal nur etwas über die, die das tun. Als Oppositionspolitikerin arbeitet sie im Moment hauptsächlich an ihrer öffentlichen Wahrnehmung. Daher ist zunächst einmal die Frage zu klären, ob sie die bisher perfekte Oberfläche und die strategische Symbolpolitik in der Verantwortung tatsächlich mit politischen Inhalten verknüpfen kann, die ein Bundesland so zukunftsorientiert modernisieren, wie es in der Realität möglich ist. Also ein klitzekleines bisschen.
Boris Palmer. Der Oberbürgermeister von Tübingen hat eine größere Wahrnehmung und damit auch größeren Einfluss auf die Welt als fast alle Berliner Spitzengrünen – Cem Özdemir mal ausgenommen. Die anderen fallen derzeit allenfalls über Benimmregelkurse, reflexhafte Moralabgrenzungen oder ihre Frisur auf. Mit seiner aus der Verwaltungsrealität argumentierenden Flüchtlingspolitik hat Palmer sich in der Welt der Partei noch mehr Feinde gemacht, als er eh schon hatte. Sein Merkel-Konter „Wir schaffen das nicht“ hieß aber im Kern: Wir schaffen das nicht, wenn wir einfach nur behaupten, dass wir das schaffen. Lasst uns über das Wie reden. Damit hat Palmer nicht CSU und AfD in die Hände gespielt, sondern die übliche Aufteilung in moralische (Grüne) und realpolitische (Union) Zuständigkeit überwunden, wie das ja auch die Landesgrünen im Bundesrat taten. Die Frage ist nun, was die Bundesgrünen (zuletzt 8,4 Prozent) daraus machen. Palmer, ein identitärer Superöko, ist derweil längst seine eigene grüne Volkspartei. Dass er auch 2016 die gesellschaftliche Diskussion aufmischen wird, davon darf man ausgehen.
Bernd Riexinger. Wenn der Bundesvorsitzende als Spitzenkandidat die Linkspartei in Baden-Württemberg nicht über die 5 Prozent und ins Parlament bringt, dann kann er nach Hause fahren. Beziehungsweise gleich dort bleiben, denn er ist ja am Wahlsonntag in Stuttgart.
Manuela Schwesig. Um noch irgendetwas über die SPD schreiben zu können, wird irgendwann im Jahr irgendjemand die Idee ausgraben, dass doch Manuela Schwesig, 41, Kanzlerkandidatin werden könnte. Schwesig ist Familienministerin und erwartet im März ihr zweites Kind. Eine junge Ministerin, die in Mutterschutz geht, als gut aussehend gilt und gut angezogen ist. Die Karriere, Familie und Emanzipation verkörpert. Das reicht in einer identitätspolitisch geprägten Gesellschaft, um als „modern“ gelten zu können – vor allem auch im direkten Vergleich zu einer älteren Frau ohne Kinder.
Donald Trump. Am 1. Februar beginnen in den USA die Präsidentschaftsvorwahlen. Der Selfmade-Milliardär Trump ist derzeit die Nummer 1 im Wettbewerb um die republikanische Nominierung. Klar ist er ein Problem. Aber man muss auch das Problem dahinter sehen: Die Mehrzahl seiner Anhänger sind laut „Atlantic Monthly“ keine durchgeknallten christlichen Religions- , Waffen- und Heterofanatiker, sondern im Kern getrieben von ökonomischer Unsicherheit und der Angst, selbst weniger oder zu wenig abzukriegen, wenn andere auch etwas bekommen. Deshalb reagieren sie mit Xenophobie, lehnen Migranten als Konkurrenten ab und setzen auf Nationalökonomie. Das ethische Argument, das sie benutzen, benutzen auch Teile der Union-, Linkspartei- und SPD-Wähler: Wir sind die Hart-Arbeitenden und verdienen es. Die anderen verdienen es nicht. Diesem Denken oder wohl eher Fühlen ist weder mit Empörung, noch mit Ausgrenzung beizukommen. Und mit Argumenten bisher auch nicht. Was also tun? Das ist eine zentrale Problemstellung 2016ff.
Guido Wolf. Wer? Wolf war mal der Landrat von Tuttlingen, kommt daher wie der Landrat von Tuttlingen, ist aber offizieller Spitzenkandidat der CDU in Baden-Württemberg bei der Landtagswahl am 13. März. Der Wähler muss daher davon ausgehen, dass Wolf der beste Mann ist, den die ehemals dauerregierende „Baden-Württemberg-Partei“ zu bieten hat. Das einzige Problem sei seine Unbekanntheit, behaupten sie in der CDU. Andere sagen: Je bekannter er werde, desto größer werde sein Problem. Christen müssen in ihm ein Gottesgeschenk an den Grünen Ministerpräsidenten Kretschmann vermuten.
Peter Unfried ist Chefreporter der „taz“ und schreibt jeden Dienstag exklusiv auf rollingstone.de