Unfrieds Urteil: Gentech, Pestizide, Klimakatastrophe – Soll man Neil Young den Öko-Rock verbieten?
Öko gilt Kulturmenschen als öde. Passt nicht zu Rock'n’ Roll. Überhaupt ist Politrock doch over. Neil Young interessiert das alles einen Scheiß.
Seit dem Beginn der Moderne gibt es die Frage, wie politisch Kunst sein darf, soll oder muss und wie sich das auf das Ästhetische auswirkt. Die Rockmusik hat in dieser Hinsicht auch diverse Rezeptionsphasen hinter sich, seit sie in den 50ern und verstärkt um 1968 herum auf dem antiautoritären, „linken“ Ticket richtig durchstartete, um die Welt radikal zu verändern. Und dann von Adornos Diktum eingeholt wurde, dass auch sie nur Ware sei und letztlich systemaffirmativ. Oder nur korrekter Konsum eines bestimmten politischen Milieus.
Der kalifornisch-kanadische Großmeister Neil Young, 69, aus den Santa-Cruz-Mountains hat sich um solche Fragen der politischen und popkulturellen Theorie immer einen Scheißdreck geschert und entsprechend wird ihn auch die gemischte Rezeption auf sein bisher letztes Album „The Monsanto Years“ kaum aus der Ruhe gebracht haben, in dem er volle Pulle gegen den Gentech- und Pestizidgiganten Monsanto wettert. „Corporate control takes over the American farm/with fascist politicians and chemical giants walking arm in arm“, singt er da und: „Monnnnnn-sannnnnn-toooooooo/Let our farmers grow what they want to grow.“
Auf dem vorletzten Album hatte er angesichts der sich verschärfenden Klimaveränderungen gefragt: „Who’s gonna stand up and save the earth?“ Antwort: Och, naja.
Vorwurf: Gesinnungsgeschrammel, ästhetisch unbefriedigend.
Ironische Distanz und Gewitzel regieren
Wäre interessant zu wissen, ob die Kritik auch so barsch ausgefallen wäre, wenn es sich um identitätspolitische Themen gehandelt hätte, um Frauenrechte, Schwulenrechte, Minderheitenrechte, Bürgerrechte. Diskriminierung, ironische Kritik an alten Rollenbildern, ethnisch-soziale Benachteiligungen, alles was im weiteren Sinne mit Differenz von Geschlechtern, Rassen und Klassen zu tun hat, kriegt in der Regel immer noch ein Fleißkärtchen von der Popkritik. Und der Kundschaft. Selbst oder gerade wenn, wie auch in der Musik, nur Stile aus dem Kritik-Archiv recycelt werden.
Für den neubürgerlichen Menschen ist es – zurecht – selbstverständliche Pflicht und Tugend, sich gegen Diskriminierung von Minderheiten und für Quote oder Homo-Ehe einzusetzen. Aber den drohenden Zusammenbruch der Weltgesellschaften, und nichts anderes folgt aus einer ignorierten Erderwärmung: Damit sollen sich mal schön die Ökos beschäftigen. Überhaupt passt das nicht zu Rock und Pop. Das ist doch spätestens seit „Karl, der Käfer“ von Gänsehaut offensichtlich.
Die Phobie lässt auf eine fehlende Emanzipationsbewegung und fehlende kulturelle Begleitung in diesem Bereich schließen. Der amerikanische ROLLING STONE gehört zu den wenigen Kulturmedien, bei denen der Klimawandel und was damit zusammenhängt zum selbstverständlichen Kanon gehört, und der regelmäßig wegweisende Interviews, auch mit Präsident Obama, oder große investigative Geschichten publizieren.
Jeder Halbkulturbanause kann heute über die Verschiebungen der Ketten beim FC Ingolstadt dozieren – was durchaus ein fachlicher Fortschritt der Fußballkultur ist gegenüber der vorher herrschenden Kultur des Gewitzels und dem Romantizismusgequatsche, bitte nicht missverstehen. Aber wer heute bei einem Essen oder einer Party sagt, er verstehe nichts von Fußball, wird nie wieder eingeladen. Wer sagt, dass er vom Klimaproblem nichts verstehe, das ja „sicher wichtig“ sei, wird auch in akadamisch-kulturellen Kreisen ein verständnisvolles Nicken ernten.
– „Ach, ist demnächst wieder so eine Klimakonferenz?“
– „Kommt ja doch wieder nichts raus.“
Mehr wird dazu selten gesagt. Dabei ist die UN-Klimakonferenz von Paris Ende November, egal wie sie ausgeht, der Beginn der entscheidenden zwanzig Jahre. Nicht für die Umwelt, sondern für die Menschheit. Das Fatale ist, dass der Verlauf der Konferenzen die Leute in ihren Vorurteilen zu bestätigen scheint, dass eh nichts raus kommt und es besser ist, sich damit nicht näher zu beschäftigen. Man hat ja genug anderes am Hals, z.B, dass sein Klub verloren hat, was will man sich da die unüberschaubaren und sich gegenseitig potenzierenden Krisen der nächsten Jahrzehnte aufhalsen?
Es geht um die Frage, wie wir leben wollen
Neil Young ist im Sommer der Liebe als Hippie gestartet oder ist zumindest so verstanden worden. Er hat die Leute irritiert, als sie noch dachten, es gebe nur links oder rechts und sie könnten sich mit dem Hören der richtigen Songs abgrenzen und ästhetisch oder politisch auf der richtigen und sicheren Seite sein. Er hat den Rausch maximiert, den Musik geben kann. Und nun, wo alle nur noch spielen wollen oder lamentieren, sagt er eins zu eins was Sache ist. Ist das überhaupt erlaubt?
Seine Sorge gilt nicht dem Evergreen, was Kunst darf, sondern einer aus seiner Sicht unpolitischen Gesellschaft, die sich der Frage verweigert, wie wir leben wollen. Es ist wunderbar, dass er sich dieser Kultur des Unpolitischen und dem anti-emanzipatorischen Reflex der Öko-Diskriminierung widersetzt. „Don’t say pesticides are causing autistic children“, singt er. Dass die Leute so was gar nicht hören wollten. Sondern: „People want to hear about love“.
Worüber man nicht sprechen darf, darüber muss man singen.
Der Witz ist: Young kann einen mit einem Liebeslied in emotionale Bewegung bringen wie sonst keiner. Nur: Anständige Liebeslieder kriegen ein paar andere auch hin. Doch selbst wenn das „Monsanto“-Album sicher nicht zu seinen größten Werken gehört: Neil Young kann Menschen auch mit einem Song über Pestizide tief berühren.
Das ist wirklich ganz große Kunst.
Peter Unfried ist Chefreporter der taz und schreibt jeden Dienstag exklusiv auf rollingstone.de