Unfrieds Urteil: Dschungelcamp – und warum es über den Ex- Fußballprofi Thorsten Legat nichts zu lachen gibt
Der "Eigentlich-Bürger" will das Gute und Soziale verkörpern. Warum verhöhnt er angeblich doofe Fußballer und Freiberufler, die ihrem Dschungelcamp-Job nachgehen?
Als mein Sohn ein zweistelliges Lebensalter erreichte, begann eine Sache ihn fuchsteufelswild zu machen, wenn wir in geselligen Runden Fußball schauten. Das waren Bemerkungen über die angeblich niedrige Intelligenz von Profifußballern und das Erzählen der entsprechenden immer gleichen Geschichten. Ein Drittel mehr Gehalt? Ich will mindestens ein Viertel! Mailand oder Madrid. I think we have a little bit lucky. Undsoweiter.
Das zu tun, hatte bis dahin einfach dazugehört. Booah, ist der dooof. Machten alle. Ich auch.
Mein Sohn fand das unmöglich. Er verstand überhaupt nicht, was das mit der Sache zu tun hatte und was das bringen sollte.
Daran muss ich denken, wenn ich in diesen Tagen den Ex-Fußballprofi Thorsten Legat in der RTL-Sendung „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ sehe und die Verhöhnungsformate der parasitären Medien zur Kenntnis nehme. Etwa: „Was wir heute von Thorsten Legat lernen können“ auf 11freunde.de. Der „Legat des Tages“ auf twitter. Oder wenn in der ZDF-„heute show“ gesagt wird, jemand habe einen IQ „wie ein Toaster. Oder wie Thorsten Legat“. Undundund.
Es gibt inzwischen auch differenzierte, fast humanistische Berichterstattung. Aber der Normalfall ist erstens: Boulevardmedien machen sich über Boulevard lustig, um davon zu profitieren. Schnarch. Zweitens: Selbst wenn das auf der Metaebene angelegt ist oder im Einzelfall auch mal lustig, geht es doch im Kern auch beim angeblichen Meta-Boulevard um Herabwürdigung von Menschen, damit andere sich besser fühlen. Die Logik: Der kann nicht mal richtig sprechen. Ich dagegen …bin smart.
Aus der Sicht meines Sohnes gesehen: Was ist daran stulle, als erfolgreicher Profifußballer unfassbar viel Geld dafür zu bekommen, dass man das in vollen Stadien tut, wovon man als kleiner Junge geträumt hat? Und dann immer noch viel Geld bekommt für zwei Wochen Arbeit als Fernsehunterhalter? Während diejenigen, die einen verhöhnen, möglicherweise unfassbar wenig Geld für das bekommen, wovon sie nie geträumt haben?
Ich bin eine Wurst, die keiner rausholt
Es ist selbstverständlich der Sinn des Formates „Dschungelcamp“ das menschliche Bedürfnis zu befriedigen, über andere Leute schlecht zu reden und sich das Maul zu zerreißen. Das Problem ist, dass die wenigsten, die es tun, dazu stehen. Es ist was anders, wenn einer den Arsch in der Hose hat und sagt: Ich bin eine Wurst, die keiner herausholt, und brauche das einfach, weil ich mich dann kurzfristig besser fühle. In der Mediengesellschaft tun die meisten immer noch so, als seien sie kritische Analytiker aus dem Off, wo sie doch in Wahrheit substantieller Bestandteil des Kritisierten sind.
Jetzt könnte einer sagen, Dschungelcamp und das Verhöhnen von Fußballern ist nun wirklich das kleinste Problem der Gegenwart.
Aber man kann auch versuchsweise überlegen, ob es womöglich pars pro toto steht: Für eine gebildete Mitte der Gesellschaft, die der Treiber all dessen sein müsste, was politische Bürger im 21. Jahrhundert zu tun haben. In Wirklichkeit sind sie aber „Eigentlich“-Bürger, deren Lieblingsphrase „eigentlich müsste man …“ lautet. Und die das Soziale, das Gute, das Fortschrittliche zu verkörpern glauben, die sich aber beim Leben und Voranbringen dieses Ansatzes weitgehend damit begnügen, sich das alles anzuschauen wie Fernsehen – und es zum Zwecke des Distinktionsgewinnes kritisieren und scheiternde oder vermeintlich scheiternde Mitbürger verhöhnen, um damit sich nach unten abzugrenzen.
Letzteres ist selbstverständlich in der gebildeten, humanistischen Mitte allerstrengstens verboten.
Außer eben, wenn es sich um „Stars“ und Fußballer handelt.
Was ist denn der typische Dschungelcamp-Jobber? Ein freiberuflicher Mensch, der sein Geld mit (Selbst)Darstellung verdient, in einer komplizierter werdenden Arbeitsgesellschaft einen alten Job und Status verloren hat und sich nun einen Auftrag besorgt, der so gut bezahlt wird, dass er ihn wenigstens durch das Jahr bringt.
Ein empathischer und solidarischer Mensch könnte sich darüber freuen. Stattdessen schwadroniert er – mitunter auch von einer gemütlichen Festanstellung aus – über diese ganzen neoliberalen Verwerfungen und gleichzeitig geht ihm einer ab, weil seinem Ressentiment nach zurecht Deklassierte nun Känguruh-Hoden fressen müssen.
Ganz ehrlich: Das permanente Geplapper über sich selbst (toll) und die anderen (blöd), der Neidtalk, das üble Nachreden, die kurzfristigen Allianzen, der sofortige Verrat beim nächsten Gespräch, die Leere im Gehirn und der permanente Blick in den Spiegel, um an der eigenen Oberfläche herumzuzupfen – das unterscheidet die Leute im Dschungelcamp nicht im geringsten von denen, die ihnen dabei zusehen.
Legats Sprachlosigkeit ist nicht komisch
Was den einst erfolgreichen Bundesligafußballer Thorsten Legat angeht, so liefert er genau die Sachen, die das Bedürfnis der Doofe-Fußballer-Verachtung bedienen. „Ich esse drei Viertel, dann musst du nur ein Drittel essen“. „Ich wüsste mehr, wenn ich es wüsste.“ „Ich kann das kommentarlos nicht beantworten“. Aber der verunglückte Sprachakt ist beim ihm nicht die Ausnahme, sondern die Regel.
Er ist sprachlos. Wenn man das verstanden hat, dann ist das überhaupt nicht komisch. Dazu muss man nicht mal etwas über seine harte Jugend und den von ihm öffentlich gemachten Missbrauch durch den alkoholkranken Vater wissen.
Legat kann – jenseits von Fußballgeschäftredewendungen – nicht sprechen. Nicht über seine Gründe, an der Sendung teilzunehmen, nicht über seine Aggressionen, auch nicht über Sex. Wird er konfrontativ angesprochen, kann er damit überhaupt nicht umgehen, ausser den Blick zu senken, wütend zu werden, wegzurennen.
Er sucht Halt. Dieser Halt besteht zum einen darin, dass er 15 Jahre Profi war, was er im Camp und wohl auch sonst häufig erwähnt. Mit dieser Vergangenheitsleistung beansprucht er Kompetenzzuschreibung und soziale Anerkennung. Sein zweiter Halt ist seine Familie, deren Wichtigkeit er ständig betont. Er beschwört den Teamgedanken, gleichzeitig weiß er, dass er andere weggrätschen muss, um nicht selbst aus dem Team zu fallen. Das Paradoxon des Profifußballs. Zudem redet er von seiner Ehre und dass er sich die Ehre nicht nehmen lasse. Er ist schnell beleidigt, fühlt sich offenbar bedroht und unsicher, man sieht es auch an dem Blick, mit dem er die Welt betrachtet. Es gibt Augenblicke der Gelöstheit, der Hoffnung. Aber es überwiegt Unverständnis, Skepsis, manchmal fast Hass.
Es kann sein, dass Thorsten Legat sogar einen Typus des Moments oder der Gegenwart repräsentiert. Aber lustig ist das ganz und gar nicht.
Peter Unfried ist Chefreporter der „taz“ und schreibt jeden Dienstag exklusiv auf rollingstone.de