Unerhört offen
Wunderwerk: Wilco vermengen ihre Stilwelten.
Im Rückblick kommt einem „Sky Blue Sky“ nun schon wieder wie ein Zwischenhalt vor – Wilco werden mit jeder Platte besser, vermengen ihre verschiedenen Stilwelten zu einem ganzen Großen. Doch bei „Sky Blue Sky“ hatte man den Eindruck, Jeff Tweedy hätte ein paar lose Enden zusammengerafft. Der Künstler war privat besser beisammen, die erste nachhaltige Band-Besetzung war am Start, und Tweedy hatte sich drei Alben lang von dem zu engen Alternative-Country-Konzept befreit. Auf dem Weg dahin gab es Störgeräusche, Krautrock und frei fluktuierende Selbstversuche, die alle sehr reizvoll waren, nun wurden die Songs wieder klarer, die vielen Stilfragmente – Seventies-Rock, Prog, Soul, Beatles-Experimente, ein bisschen Jazz standen den Songs nicht gegenüber, sondern integrierten sich. Das ist das Wundervolle an Wilco, dass sie als Band so unerhört offen und versiert die Vorlagen ihres Vorstehers um immer neue Ebenen erweitern. Und einen Gitarristen wie Nels Cline, nun, den hat sonst keiner.
Insgesamt war 2007 ein fabelhafter Jahrgang, dessen Veröffentlichungen vielfach in Erinnerung blieben und Einfluss nahmen. Arcade Fires „Neon Bible“ zum Beispiel, jetzt schon eine Art Klassiker. Die Platte hatte durch die gut organisierte, kraftvolle Produktion einiges der windschiefen, mysteriösen Eigenart des Vorgängers eingebüßt. Doch es waren Lieder wie „Black Mirror“, „Keep The Car Running“ und „Antichrist Television Blues“ darauf, die übergroß und düster und spirituell und irgendwie welterklärend waren. Die Platte wurde eine Blaupause, Arcade Fire vorzeitig Säulenheilige. Kate Nash sang derweil von einem Vollidiot, der auf ihre neuen Turnschuhe reihert und wurde dafür berühmt. Zurecht, war „Made Of Bricks“ doch eine kurzweilige, zeitgeistige und mit Londoner Schnauze gesungene Platte. Auf MySpace entdeckt, ist ja klar. Für den deutschen Markt lieferten Tocotronic, die Flowerpornoes und Jens Friebe schöne Platten ab. In den USA zettelten die Feiice Brothers eine neue Rückbesinnung an, auch Conor Oberst bedachte mit „Cassadaga“ Land und Leute. Und Radiohead? Die waren wieder mal ganz unter sich und brachten das schöne „In Rainbows“ zunächst als Download unters Volk. Man konnte zahlen, was man wollte, das erregte für eine Weile die Gemüter.
Aber auch ein paar alte Männer hatten mächtige Momente. Robert Plant nahm mit Alison Krauss ein sehr heterogenes Set auf, „Raising Sand“. Unter der Regie von T Bone Burnett wurde aus Songs von Tom Waits, Rowland Salley, Sam Phillips und den Everly Brothers ein stimmungsvolles, nach Burnetts Art gediegen uralt klingendes Meisterwerk.
Bruce Springsteen hatte immer noch neue Kraft – und schon wieder eine neue Platte namens „Magic“, die episch drängend alle Themen dieser großen Karriere umschließt. Und dann waren da noch die Eagles – deren erstes Album seit 28 Jahren konnte man in den USA nur im Supermarkt kaufen. Die tiefe Melancholie und Don Henleys beißender Kulturpessimismus brachten auf „Long Road Out Of Eden“ einige sehr gute Momente hervor. Schon bei den Interviews zur Platte wurde wieder gestritten, die Grabesstimmung auf der Bühne ist ein Standard – wer hier noch zu den überteuerten Konzerten geht, ist selbst schuld.