Und täglich grüßt der Chefmelancholiker
Spätestens mit "Lost In Translation hat sich Bill Murray neu erfunden. Mit mimischem Minimalismus und einem Dackelblick, der Robert Mitchum zur Ehre gereicht hätte, spielt Murray sich letztlich nur noch selbst: den Prototypen des zivilisationsmilden, melancholischen, aber auch lebensweisen Außenseiters, der für faule Kompromisse weder Zeit noch Geduld hat.
Bei der Londoner Premiere von „Krieg der Welten“ hielt ein Reporter auf dem roten Teppich Tom Cruise ein Mikrofon vors Gesicht – ein falsches, aus dem plötzlich ein Wasserstrahl schoß der Über-Star war Opfer einer TV-Show geworden, die nichtsahnende Prominente bespritzt. Cruise machte böse Miene zum nassen Spiel: „Warum haben Sie das getan? Das war unglaublich roh! Sie sind ein Trottel!“ Und wischte sich trocken.
Nun stellen wir uns die gleiche Szene mit Bill Murray vor. Sein Antlitz tropft. Er läßt es tropfen. Sieht den Plagegeist mit jenem Hundeblick an, aus dem der Überdruß an diesen miesen Zeiten nur so trieft. Er verzieht keine Miene, und doch lesen wir aus ihr das ganze Leid dieser Epoche. Jeder liebt Murray. Tom Cruise als begossener Pudel ist komisch. Aber ein Bill Murray, der ist unantastbar.
Das war nicht immer so. Der frühe Murray war rabaukig, ein Aufmerksamkeits-Junkie. Das hatte mit seiner Kindheit als fünfter von neun Sprößlingen einer Holzarbeiterfamilie in einem Vorort Chicagos zu tun: „Eine Mahlzeit artete immer in einen Wettbewerb aus, denn es gab nur eine begrenzte Menge Essen. Und wenn du den Komiker spieltest, konntest du um den Abwasch herumkommen.“
Der Mittagstisch als Schule des Sich-Behauptens von Kindesbeinen an. Murray probierte sich als Golfjunge, Zeitungsausträger, Pizzabäcker, Betonblockträger und – Marihuana-Händler, was ihm eine Bewährungsstrafe einbrachte und ihn das Medizinstudium kostete.
Also schloß er sich einer Comedy-Truppe um seinen fünf Jahre älteren Bruder Brian an, traf zum rechten Zeitpunkt die Blues Brothers Belushi und Aykroyd und fand sich schließlich wieder in der beliebtesten TV-Sendung Amerikas: „Saturday Night Live“. Eine Komikerfamilie versammelte sich da, und Murray benahm sich ¿wie zu Hause, forderte live mehr Sendezeit, mobbte den Kollegen Chevy Chase hinaus und war Ende der Siebziger ungekrönter König der fröhlichen Anarchie.
Das rief Hollywood auf den Plan, das von den Marx Brothers bis zu Mel Brooks noch jeden Anarchisten zu entschärfen wußte und Murray prompt in „Babyspeck und Fleischklößchen“ oder „Ich glaub‘, mich knutscht ein Elch“ domestizierte, seine subversive Energie in harmloses Chaos umbog. Drehbücher ersetzten den Stegreif, aber manchmal brach das Unberechenbare in Murray noch durch. Der berühmte „Caddy im Himalaja“-Monolog aus „Wahnsinn ohne Handicap“ war pure Improvisation: „Ich sag denen also, ich bin ein Profi-Golfjunge, und mit wem schicken sie mich los? Mit dem Dalai Lama! Wir gehen aufs erste Grün. Er schlägt ab – er hat einen mächtigen Bums, der Lama -, und der Ball landet in einer 3000 Meter tiefen Felsspalte. Weißt du, was der Lama da gesagt hat? ,Gunga galunga… gunga gunga-galunga. Dann, nach dem 18., kein Trinkgeld. Ich sage: ,Hey, Lama, wie wär’s, läßt du was springen? Wegen der Mühe am ersten Loch und so. Und er sagt: ,Kein Geld, aber dafür wird dir auf dem Totenbett die totale Erleuchtung zuteil werden. Das ist sehr beruhigend.“
Murray registrierte auch, daß die Respektlosigkeit der Comedians zunehmend zur Ware umgemünzt wurde, wie die Rebellionen der Rocker und Punker. Mitte der Achtziger warf er das Steuer herum. In ,Auf Messers Schneide“ gab er die tragische Version des Vietnam-Heimkehrers, den er in „Wahnsinn ohne Handicap“ komisch angelegt hatte – und erntete Nichtbeachtung. Dieser Mißerfolg, kombiniert mit dem „Ghostbuster“-Wirbel, trieb ihn für vier Jahre in die innere und äußere Emigration (nach Frankreich).
Während Murray sich dem Golfspiel ergab – Bestmarke in seinem Club in Westchester/N.Y. ist eine 79er-Runde -, wurde seiner Ironie der Stachel des Aufmüpfigen gezogen. David Letterman konvertierte sie zur Massenwährung, Politiker beehrten „Saturday Night Live“, und die Retrowellen überschlugen sich in ironischen Brechungen.
Als Murray wieder aus der Versenkung auftauchte, in einem Nest namens Punxsutawney, wurde die diskreditierte Ironie schon vom zornigen Grunge und dem humorlosen HipHop bedrängt. Murrays Wetteransager in „Und täglich grüßt das Murmeltier“ helfen weder Ironie noch Zynismus. Um der Zeitschleife zu entkommen, muß er sich festlegen – das Schlimmste für einen Ironiker. Leidenschaft zulassen, Verantwortung schultern. Teufel auch!
Dann, 1998, der dritte Vietnam-Heimkehrer. Murrays Herman Blume hat das Trauma überwunden, ist Unternehmer geworden, unterstützt eine Elite-Schule. Aber er verzweifelt zunehmend an den Zeiten. „Ihr Jungs habt’s wirklich leicht. Ich hatte es nie so leicht. Ihr seid reich geboren und bleibt reich“, ruft er den Internatszöglingen zu Beginn von „Rushmore“ zu. Und erteilt einen Rat: „Nehmt die reichen Jungs ins Visier und macht sie fertig!“ Natürlich werden die ihn fertigmachen, und am Ende ist seine Ehe kaputt und seine Liebe perdu – und wieder eine Etappe absolviert auf dem Weg zu Hollywoods Chefmelancholiker.
2003 trifft man den Murraynator in einem Hotel in Tokio. Es geht ihm gut, materiell – er dreht für zwei Millionen einen Whisky-Spot -, aber sein Eheleben in „Lost in Translation“ reduziert sich auf die Diskussion von Teppichmustern. Murray, der inzwischen Anfang 50 ist und das auch spielt, könnte eine Affäre mit der jungen Scarlett Johansson beginnen. Aber er befindet sich in einem Stadium derart fortgeschrittener Coolness, daß er davon absieht.
Die Bill-Murray-Ich-AG kann sich diese Coolness genauso leisten wie die 180 000 Dollar für einen Privatjet, der ihn vom „Life Aquatic“-Dreh in Italien binnen zwei Tagen zum Oscar-Einsammeln nach L. A und zurückbringt. Die Gier von Kollegen, die werbend ihre kargen Gagen aufbessern – in „Translation“ imitiert er Harrison Fords Bier-Spot – zwickt ihn nicht: „Werbung zu machen wäre für mich das vorletzte. Kurz bevor ich mein Blut verkaufe.“ Er leistet es sich auch, die Welt warten zu lassen. Befreundete Regisseure wie Jim Jarmusch erhalten bereits nach einigen Wochen Antwort, Unbekannte wie Sofia Coppola müssen ein halbes Jahr hinter ihm hertelefonieren.
Die Lässigkeit des Schauspielers Bill Murray gleicht nicht der coolen „Mir kann keiner‘-Nummer eines Frank Sinatra oder George Clooney, eher dem schlafwandelnden Robert Mitchum. Sie speist sich aus der leisen Verzweiflung des Gescheiterten; der Weigerung, sich weiter nutzlos anzustrengen, sowie einem von der Einsicht geprägten Stoizismus, daß die Welt unverbesserlich sei. Ein paarmal unternimmt er trotzdem den Versuch, als ergrauter Meeresforscher in „Life Aquatic“ oder als sohnsuchender Vater in „Broken Flowers“. Im Grunde aber hat er beschlössen, die Zeitläufte nur noch auf sich wirken zu lassen und ihnen den Buster Keaton zu zeigen. Das ist nicht die „Fledermaus“-Nonchalance des „Glücklich ist, wer vergißt, was doch nicht zu ändern ist“. Murray-Charaktere sind nicht glücklich. Aber sie tragen das Wissen darum mit mehr Fassung und Klasse als wir anderen stillen Dulder. Dafür gebührt ihm unser aller Verehrung.
Mr. Murray, wie verhält sich Ihr Minimalismus zu den üblichen Hollywood-Exzessen?
Ich glaube, in meinem Fall ergibt sich der Minimalismus aus schwindenden Fähigkeiten: Ich habe vermutlich nach und nach immer weniger zu geben.
„Broken Flowers“ ist ja so was wie eine Detektivgeschichte, eine psychologische Detektivgeschichte. Wenn der Zuschauer nicht zu viel auf einmal erfährt, dann bleibt’s spannend. Ich hab auch nicht viel Dialog. Ich muß mich im Grunde von diesen Frauen verprügeln lassen und einfach überrascht sein von allem, was ich erfahre. Es ist heftig, die Lieben seines Lebens noch mal zu treffen. Man erinnert sich ja immer falsch. Und dann trifft einen der Schmerz, den man jemandem zugefügt, aber auch die Liebe, auf die man vielleicht verzichtet hat. Selbst wenn man nichts von alledem vergessen hatte, berührt es einen doch, wenn man die Frauen tatsächlich trifft.
Haben Sie selbst auch schon mal einer alten Flamme nachgespürt?
Ich hab’s versucht, aber auf solche Ideen komm ich meistens mitten in der Nacht, deswegen war ich nicht sehr erfolgreich. Die Gründe dahinter waren immer interessant. Ich würde es den meisten Leuten nicht empfehlen. Aber ich glaube, wir alle haben jemanden,bei dem wir denken: Vielleicht hab ich mir da nicht wirklich eine Chance gegeben. Oder der anderen Person.
Ich stelle fest, daß ich ziemlich viel über die Menschen in meiner Vergangenheit nachdenke. Eigentlich dauernd. Wahrscheinlich wiederum ein Indiz für ein marodes Innenleben. Nachdem ich es nun in diesem Film gemacht habe, kann ich nur sagen: Es ist viel gefährlicher, als ich dachte. Ich fand es irritierend und verstörend und manch‘ mal beängstigend. Man bucht vielleicht besser einen Zirkuslehrgang für ein paar Wochen. Das Gefühl auf dem Trapez dürfte ähnlich sein.
Wie gingen Sie an die Rolle ran? Haben Sie sich eine back story, also die psychologische Vorgeschichte Ihrer Rolle zurechtgelegt?
Der Typ aus der back story ist leider gerade nicht da, er kommt erst nächste Woche. Mit dem können Sie dann ja reden. Nein, ich mach das anders. Ich versuche, einfach nur präsent zu sein, wenn die Kamera läuft. Das scheint mir das Wichtigste. Ich hab das mit diesen „Hintergrund-Profilen“ schon probiert, aber irgendwie wirft einen das aus dem Moment raus. Es ist ja ganz nett, über „das Davor“ nachzudenken, aber wenn die Kamera läuft, muß man nun mal in der Gegenwart da sein. Ich denke, ich habe über das Leben inzwischen so viel gelernt, daß ich mir die großen Gesten sparen kann. Es sind die kleinen Momente, und die entdeckt man erst, wenn man sein Leben lebt und dabei die Augen offenhält.
Außerdem hörte ich während der Aufnahmen vor allem diese äthiopische Musik, die mir Jim zugesteckt hatte. Die hat so eine mysteriöse Qualität, die gut zum Geheimnis des Films paßt. Sie hat diese undefinierbare, federnde Bewegung – suggeriert aber auch eine amouröse Begegnung. Eben dieses Geheimnisvolle. Ich legte die CD im Auto ein – und die Musik trug mich gleich in diesen geheimnisvollen Plot.
Kann Ihnen so ein Film auf eine kathartische Weise auch bei Ihren Problemen im wahren Leben helfen?
Wer sind Sie?! Mein Therapeut? Oder sind Sie der Typ, der meinte, ich solle für den argentinischen Senat kandidieren? Nein, das schlug mir jemand anders vor. Warum nicht? Ich brauche immer Arbeit. Aber gut, ja, dieses Phänomen gibt’s ja. Eine Message dieses Films, die wir rüberbringen wollten… Wir haben damals als „Ghostbusters“ ja vielen Kindern Angst eingejagt, da sind Sie nicht allein. Es ist irgendwie beängstigend, an Dinge zu denken, über die man keine Kontrolle hat, und daß man einen „Particle Collider“ auf dem Rücken tragen muß. Ich fand eines immer tröstlich an „Ghostbusters“, wenn wir mal ein bißchen in die Vergangenheit abschweifen können: die Aussage nämlich, daß das größte Problem manchmal nur darin besteht, sich seinen Problemen zu stellen. Wenn man ihnen schließlich gegenübertritt – oder wenn man sich eben mit jemandem ausspricht, so wie die Hauptfigur in diesem neuen Film -, dann ist man plötzlich wieder ein Mensch und kein isolierter Clown mehr. Als sich also die Ghostbusters entschlossen, dem Dämon entgegenzutreten, da entpuppte er sich als Marshmallowmann. Und so geht das meistens mit Problemen, wenn man sich ihnen stellt.
Sie sind inzwischen der Einzige aus dem legendären „Saturday Night Live“-Team, der überhaupt noch Hauptrollen bekommt. Woran liegt’s?
Daran, daß es mir wichtig ist. Nein (lacht). Wissen Sie, manche von uns essen auch noch immer jeden Tag Müsli zum Frühstück.
Es ist wunderbar, wieder mal hier in Frankreich zu sein. Vor ein paar Jahren war es sehr unpopulär, zum Festival hierher zu kommen, weil die Franzosen unsere Aktion im Irak nicht unterstützten. Ich fand das sehr bedauerlich, diese politische Auseinandersetzung, denn es gibt ja auch erfreulichere Traditionen – zum Beispiel, das französische Essen zu genießen. Ich glaube auch nicht, daß jemand, der Frankreich wirklich kennt, diese Aversionen teilen kann. Es ist schön hier.
Sie haben die Frage gestellt, nachdem wir gerade von der Fütterung der Fotografen zurückkommen. Das ist eine Art ekstatische Erfahrung, die jeder machen sollte. Jeder sollte mal da rausgehen dürfen und sich anschreien lassen, während er fotografiert wird und versucht, ein glückliches Gesicht zu machen. Das Festival in Cannes ist eine tolle Sache. Für mich war’s immer ein Erlebnis. Als ich in Frankreich lebte, sah ich mir die Film-Festspiele im Fernsehen an. Es wird immer noch den ganzen Tag im Fernsehen drüber berichtet, und es macht einfach Spaß zuzugucken, wie aufgeregt und begeistert die Leute sind.
Ich bin auch immer aufgeregt, wenn ich über den roten Teppich gehe. Ich hoffe, daß ich gut aussehe. Ich hab ein bißchen trainiert. Aber in den letzten Tagen hier in Frankreich bin ich wieder etwas aus der Form geraten. Ich war fleißig, diszipliniert – und dann gibt’s auf einmal Bouillon morgens, mittags und abends. Da fällt es schwer, sich zusammenzureißen, auch beim Wein.
Sie selbst sind aber noch nicht in der Midlife-Crisis, oder?
Sie kommt gerade, während ich hier sitze. Nein, ich habe regelmäßig alle möglichen Krisen, unabhängig von meinem Alter oder davon, wie lang ich gelebt habe. Das Problem war eher die Art, wie ich gelebt habe.
Ich hatte bei „Broken Flowers“ manchmal das Gefühl, es gehe auch um eine Reise Richtung Tod. Geht es Ihnen da genauso?
(Lacht) Naja, wenn man sich nicht gerade ausschließlich mit dem beschäftigt, was einen unglücklich macht, dann trägt man doch immer eine gewisse Fröhlichkeit zur Schau. Es ist leicht, aufgeräumt und positiv zu sein, und wir hören ja oft Sätze wie: „Er wirkte doch immer so glücklich, ich kann gar nicht glauben, daß er seine ganze Familie ermordet hat.“ Glücklichsein ist immer auch ein bißchen eine Maske, die man trägt.
Jemand sagte heute zu mir, der Film handle von einer Frage – und davon, daß man keine Antwort darauf kriegt. Das fand ich interessant. Wenn man selber an diesen Punkt im Leben kommt, dann gibt’s auch nicht immer Antworten. Man wird immer ‚wieder auf die Fragen zurückgeworfen. Das ist gut so. Wir sind eine ergebnisorientierte Welt, wir erwarten Ergebnisse, und wenn dann nur Fragen kommen, nimmt uns das etwas von unserem Glück, und es macht uns traurig.
Aber es ist gar nicht unbedingt traurig. Es ist nur nüchterner. Ich würde sagen, der Typ im Film ist am Ende ziemlich ernüchtert. Nicht traurig, denn man hat das Gefühl, daß er zumindest etwas versucht hat. Er hat’s durchgezogen. Er ist wieder ein Mensch geworden, weil er versucht hat, die Antwort auf eine Frage zu finden.