Und Lelle ging zum Regenbogen
Bisher galt ALEXA HENNIG VON LANGE als das Mädchen unter den Pop- Autoren. Jetzt hat sie ein beinahe pädagogisches Jugendbuch geschrieben
Den Auftakt macht das sehnsuchtsvolle, süßlich-schwermütige „Misplaced Childhood“ von Marillion, das man schon fast wieder erfolgreich vergessen hatte. Aber als Motto dieses dritten, einmal mehr straight wegerzählten Romans von Alexa Hennig von Lange, „Ich habe einfach Glück“ (Rogner & Bernhard, 257 S“ 25 Mark), funktioniert es ganz gut. „Natürlich ist das der pure Kitsch“, gibt die Autorin denn auch gerne zu, um sofort einzuschränken, „aber ab ich diese Platte zum ersten Mal gehört habe, hat sie mich voll ins Herz getroffen. Schon der Titel! Und das Cover, die Kinder, die zum Regenbogen gingen. Das passte alles, das ließ sich so gut übertragen. Den Songtext habe ich dem Buch vorangestellt, weil er gewissermaßen alles zusammenfasst, was in dem Buch passiert“
Womit wir beim Thema wären. Lelle, die Ich-Erzählerin, ist 15 und erlebt die ganz normale Pubertandenund Teenie-Hölle: Sie ist essgestört, schon ein Käsebrot wird damit zum existenziellen Problem, leidet ein wenig unter ihrem indolenten Vater, der offenbar gelegentlich zu gewalttätigen Überreaktionen neigt, ein wenig auch unter ihrer neurotischen, hypochondrischen Mutter, die ständig in Herzinfarkt-Laune zu sein scheint, und nicht zuletzt unter ihrer zwei Jahre älteren, hübschen, dennoch komplexbeladenen und vielleicht deshalb leicht nymphomanischen Schwester Cotsch, die Liebe sucht, aber dann doch meistens nur Sex findet und deshalb professionelle psychologische Betreuung braucht.
Natürlich liebt Lelle ihre Familie, in gewisser Weise, aber sie fühlt sich so verdammt einsam, wie man sich mit 15 eben fühlen kann! Aber da ist ja noch Arthur, der Nachbarsjunge, der wirklich allein ist, weil seine Eltern bei einem Verkehrsunfall gestorben sind, was ihn bei Lelles Vater verdächtig macht. „Der nimmt Drogen! Der raubt uns die Bude aus, wenn wir im Urlaub sind!“ Zu allem Überfluss soll er als Stricher arbeiten. Aber nichts davon ist wahr. Nach und nach entpuppt sich der langhaarige Mopedfahrer als hilfsbereiter, verantwortungsbewusster, moralisch absolut einwandfreier junger Mann mit ebenso großem Liebesbedürfnis wie Lelle. Da haben sich dann zwei gefunden… „There is no childhood’s end/ You are my childhood friend“, singt Fish.
Wie der Verlag nun dazu kommt, diese biedere, brave, ganz und gar unverfängliche Geschichte als „wie immer ein bisschen schockierend“ zu annoncieren, bleibt rätselhaft. Nein, Hennig von Lange versucht sich nach zwei Szene-Büchern für die junge Berliner Mitte nun am ehrenwerten Genre des pädagogisch wertvollenjugendromans. Literarisch ist das zwar eher „Hanni und Nanni“ als „Der Fänger im Roggen“, aber immerhin bemüht sie sich durchaus in der Tradition Salingers um Stilmimikry und lässt also eine noch etwas naive, alberne und manchmal eben auch ganz gewitzte 15-Jährige ihren Jargon reden.
Diese Jungmädchendiktion trifft sie ganz gut, soweit ein alter Sack wie ich das sagen kann, aber das ist auch das Problem dieser Prosa, denn ihre sprachliche und syntaktische Unbeholfenheit bekommt man auch leicht über und folglich den Eindruck, nicht recht zur anvisierten Zielgruppe zu gehören. „Klar, das ist ein Jugendbuch. Und für den einen oder anderen wird es vielleicht Schwierigkeiten geben, das einzuordnen, weil man ja diese Schublade des Pop-Autors für mich aufgemacht hat. Aber ich habe mich eigentlich nie so empfunden, mich hat nie diese Berliner Szene interessiert – die beiden ersten Romane spielen ja auch nicht eigendich da -, sondern immer mehr das dahinter, die, ja, philosophische Selbstfindung von jungen Menschen, was sie so einsam macht, wie es in deren Bewusstsein aussieht“
Aber warum dieser Genre-Wechsel? War das Kalkül, sollte so eine Art „Crazy“ für Mädchen dabei herauskommen? „Nee, wenn Marketing-Kalkül eine Rolle gespielt hätte, hätte ich den großen historischen Roman schreiben müssen. Ich habe mich sowieso immer für Kindheit und für die Zeit der Pubertät interessiert, wo man alles zum ersten Mal erlebt, wo alles noch so neu ist, so erschreckend, aber auch großartig und noch nicht voll einzuordnen. Ich wollte auch schon immer ein Jugendbuch schreiben, weil mich selbst Jugendbücher wie Salingers ,Fänger im Roggen‘ und Dan McCalls Jack der Bär‘ so tief berührt haben wie keine andere Literatur. Und das berührt mich auch immer noch sehr. Diese unaffektierte Wahrheit darin, die Ursprünglichkeit. So etwas wollte ich auch schreiben, und junge Menschen sollen sich darin genauso wiederfinden, wie es mir bei Jack der Bär‘ ging.“ Also ist da durchaus ein volkspädagogischer Impetus? „Das ist ein grässliches Wort, aber es geht schon etwas in diese Richtung.“
Als ich sie frage, ob sie viel in alten Mädchen-Zeitschriften recherchiert habe, um diesen Sound hinzubekommen, lacht sie mich aus. „Keine Recherche. Ich will ja auch keine dokumentarische Literatur machen. Man liest ja gelegentlich Sachen wie ‚Da hat Alexa jetzt aber wieder besonders gut eine Szene getroffen‘. Ich will gar nicht audientisch sein, ich erzähle eine Geschichte. Das ist ein Kunstprodukt. Aber die dargestellten Gefühle sind absolut übertragbar.“