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Ufo361: Die vielen Gesichter des Deutsch-Rap in einer einzigen Person

Kaum ein Künstler hat Deutschrap in den vergangenen zehn Jahren so geprägt wie Ufo361. Und ganz sicher hat ihn kein Künstler so revolutioniert wie er. Jetzt hat der Berliner Rapper sein radikalstes Album aufgenommen. Ein Besuch im Studio

Berlin-Schöneberg. Es ist später Nachmittag und in den Sony Circle Studios herrscht ungewöhnlich viel Aufregung. Eigentlich war bloß ein entspanntes Fotoshooting mit Ufo361 angesetzt. Die Stimmung ist gelöst, die Location gut vorbereitet und der Künstler, der gerade sein neues Album abgeschlossen hat und von einem längeren Japan-Trip zurückgekehrt ist, guter Dinge.

Doch dann passiert die Sache mit der Katze.

Die Katze, die an diesem Tag ins Studio gebracht wurde, soll unbedingt Teil der Fotoserie werden, denn, so sagt Ufo361, es gebe derzeit nichts, was ihn „mehr inspirieren“ würde als Katzen; in Japan seien sie überall gewesen. Doch die ausgewählte deutsche Katze hat sich, nun ja, verselbstständigt, das heißt, die ausgewählte Katze hat die Flucht ergriffen und sich in den Zwischenwänden des Sony-Studios eingerichtet. Alle Versuche, sie herauszulocken, sind vergebens. „Hoffentlich geht es ihr gut zwischen den Wänden“, gibt sich Ufo besorgt.

Er ist der Mann, der den deutschen Rap international hoffähig gemacht hat

Vielleicht begründet sich seine Faszination für das Tier auf der Tatsache, dass es doch gewisse Ähnlichkeiten gibt. Denn so wie die verschwundene Katze zwischen den Studiowänden, so hat sich auch Ufo seit Jahren in einer künstlerischen Zwischenwelt des deutschen Hip-Hop eingerichtet.

Ufo361, bürgerlich Ufuk Bayraktar, 36 Jahre alt, gehört nicht nur zu den erfolgreichsten Rappern des Landes, er gilt auch als einer der innovativsten. Er ist der Mann, der den deutschen Rap international hoffähig gemacht hat. Und er ist der Mann, der ihn vorantreibt. Immer wieder. Zu Beginn des Jahres veröffentlichte er eines der radikalsten Deutschrap-Mixtapes seit Langem. Jetzt erscheint „Nur Für Dich 2“, das vielleicht gefälligste und massentauglichste Album, das er bislang geschrieben hat. Es heißt, dass Katzen sieben Leben haben. Ufo361 hat ganz sicher schon ein paar mehr verlebt. Und die erzählen auch sehr viel über den Status quo von Deutschrap. Doch wer ist dieser Mann eigentlich?

Das erste Leben des Ufuk Bayraktar beginnt am 28. Mai 1988. Ufuk wächst in Berlin-Kreuzberg zwischen Görlitzer Bahnhof und Kottbusser Tor auf. Die Familie hat wenig Geld, lebt in prekären Verhältnissen. Ufuk wird schon als Kind mit Hip-Hop sozialisiert, als er eine Tupac-Shakur-CD geschenkt bekommt. Angeblich soll er sich bereits so sehr mit dem Westcoast-Sound identifiziert haben, dass er sich mit anderen Schülern prügelte, die eher den konkurrierenden Sound der Eastcoast feierten.

Als sich seine Eltern trennen, ist Ufuk elf Jahre alt, und er beginnt laut eigener Aussage zu kiffen und Gras zu verkaufen. Ein Jahr später entdeckt er die Faszination von Graffiti und wird Teil der legendären Berliner Graffiti-Crew THC, die sich durch ihre aggressiven Bombings auf Straßenschildern, Mülleimern, Werbeplakaten und Häuserfassaden bis heute einen festen Platz im Berliner Stadtbild gesichert hat. 2010 lernt Bayraktar schließlich den Rapper Said kennen, der ihn auf sein Label Hoodrich holt und gemeinsam mit dem Produzenten KD-Supier die „Bellini Boyz EP“ rausbringt.

Bayraktar nennt sich fortan Ufo361, benannt nach sich selbst und den Kreuzberger Bezirken 36 und 61, und er beschließt, das destruktive Straßenleben hinter sich zu lassen und sich bloß noch der Musik zu widmen. 2012 folgt sein erstes eigenes Album, „Bald ist dein Geld meins“, auf dem Ufo361 lyrisch seine semi-legale Vergangenheit und soundtechnisch den 90er-Jahre-Straßenrap referenziert. Das Album zirkuliert in der Berliner Szene, findet darüber hinaus aber keinen größeren Anklang. Ufo bleibt dennoch dran, arbeitet an neuen Sounds.

Dranbleiben. Nicht aufgeben. Und vor allem: niemals aufhören, besonders dann nicht, wenn es gerade schlecht läuft. Fleiß und der unbedingte Wille durchzuhalten, das sind vielleicht die entscheidenden Eigenschaften, die Ufo von anderen Protagonisten der Szene unterscheiden. Heute trägt er eine tief ins Gesicht gezogene Cap und streift durch den Lounge-Bereich des Studios. Auch wenn er entspannt wirkt, hat man dennoch den Eindruck, dass es ständig in ihm arbeitet. Immer wieder zieht er sein Handy heraus, immer wieder macht er sich kurze Notizen.

Ufo361

Dann klappt er sein Laptop auf, geht Artwork-Entwürfe durch, nur um wenige Minuten später wieder zu telefonieren. Wenn sein Blick durch den Raum schweift, hat man den Eindruck, dass alles, was ihn umgibt, eine Quelle der Inspiration für diesen Mann ist. „Ich glaube“, sagt Ufo, „dass mich meine Familie sehr geprägt hat. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie.“ Er lehnt sich zurück und lächelt. „Der einzige Grund, warum ich in Deutschland bin, war, dass es in Deutschland für meine Familie etwas zu arbeiten gab.“

Die DNA des Arbeiterkindes

Er erzählt von seinem Großvater, von seinen Eltern, die ihr Leben lang nur geschuftet hätten, um die Familie zu ernähren und über die Runden zu kommen. Arbeit, sagt er, sei schon immer ein Wert an sich gewesen. „Meine Familie war wahnsinnig fleißig. Das ist ganz tief in mir verwurzelt.“ Die DNA des Arbeiterkindes, die prägt ihn auch als Künstler in allem, was er tut.

Das zweite Leben des Ufuk Bayraktar beginnt 2014. In dieser Zeit lernt Ufo361 das Produzentenduo Broke Boys kennen, die ihm einen komplett neuen, zukunftsträchtigen Sound auf den Leib schneidern, dem er sich von nun an radikal verschreibt – dem Trap-Sound. Als Weiterentwicklung des Dirty South markiert Trap eine radikale Zäsur im Soundbild des Hip-Hop. Alles wurde minimalistischer und technoider. Auch der inhaltliche Fokus des Genres begann sich radikal zu verschieben. Plötzlich ging es nicht mehr um das Was, sondern darum, wie man erzählte und eine bestimmte Atmosphäre kreiert, die als das tragende Element des Songs verstanden wird.

Technik und Erzählkunst wurden obsolet. Alles, was fortan zählte, war der Vibe. Sound schlägt Inhalt. Kaum nötig zu betonen, dass sich hier ein Generationenkonflikt auftat, der noch über viele Jahre erbittert ausgetragen wurde. Der oftmals sehr jungen Trap-Generation wurde eine inhaltliche Verflachung vorgeworfen, oftmals ohne dass verstanden wurde, dass sie nur den Fokus von einer technischen auf eine Gefühls-Perspektive verschoben hat.

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Ufo361 übersetzt diesen neuen Sound nun ins Deutsche. Mit seinem 2016 herausgebrachten Mixtape „Ich bin ein Berliner“ schafft er es tatsächlich, den viel beschworenen Vibe einzufangen, eine Hysterie auszulösen und so den deutschen Rap für immer zu verändern. Er dekliniert dabei so radikal durch, wie Trap zu klingen hat, wie niemand zuvor. Aus dem Mixtape wurde eine Trilogie, es folgten die logischen Nachfolger „Ich bin 2 Berliner“ und „Ich bin 3 Berliner“.

Die Tapes mischten innerhalb kürzester Zeit die Szene auf. War Ufo361 bislang nur in Berlin ein bekannter Name, so wurde er nun innerhalb von Monaten zu dem gehyptesten Newcomer Deutschlands, wurde von anderen Künstlern hofiert und von Majorlabels umworben.

Zurück in den Berliner Sony-Studios. Ufo sitzt in einer kleinen Küchenecke, trinkt einen Schluck Wasser und schaut sich jetzt Videos von Sumokämpfen an. Sumo. Das sei auch so eine der Sachen, die er in Japan für sich entdeckt habe. Seine Reise hängt ihm noch immer nach. Sie habe ihn wirklich inspiriert, sagt er, und während er von seinen Erfahrungen berichtet, gewinnt man den Eindruck, dass der Ufo, dem man da gegenübersitzt, sehr wenig mit dem Ufo zu tun hat, der damals die deutsche Rap-Szene so nachhaltig aufgemischt hatte.

Ufo361

Der wilde, drogeninduzierte Ufo, der oberkörperfrei die Bühnen stürmte und Anarchie und Wildheit verkörperte wie kaum jemand anders. Diesen Bühnen-Ufo gibt es immer noch, aber hier sitzt heute ein anderer Ufo. Ruhig, zurückhaltend und überaus freundlich. Wie passt das alles zusammen? Aber das ist eine Frage, die man sich in der Karriere von Ufo eigentlich ständig stellen kann. Es gibt nicht diesen einen Ufo361. Es gibt unzählige davon.

Da ist der laute, der extrovertierte Party-Ufo, da ist der verletzliche, schwer depressive Ufo, der leise, in sich gekehrte Künstler und der extrovertierte Performer. Es ist gar nicht so einfach, die vielen Facetten dieses Mannes zusammenzubekommen. Aber vielleicht ist es seine Begeisterungsfähigkeit, die alles zusammenhält. Ufo schaut von seinen Sumo-Videos auf seinem iPad auf.

Damals war das Berlin, Damals waren das Drogen

Wenn er von seinen Japan-Erfahrungen erzählt, beginnt er sich regelrecht in Euphorie zu sprechen. Er erzählt von den Einflüssen, die ihn begeistert haben, er berichtet von einer Welt, die in allem, was sie ausmacht, so anders ist als all das, was wir kennen. Für einen Künstler wie ihn sei das Gold wert. „Aber ich habe das nie anders gehalten, weißt du? Schon damals habe ich immer aus dem, was mich umgibt, Kunst gemacht. Damals war das Berlin, Damals waren das Drogen. Als ich das erste Mal Geld, als ich das erste Mal richtig viel Geld gesehen habe, da habe ich mir eine Chain bei dem bekanntesten Juwelier aus Amerika machen lassen. Und dann habe ich darüber gerappt. Es war alles ganz organisch. Ich habe immer in meinem Film gelebt.“

Und seine Filme, die sind nie bekömmlich, die sind immer radikal, immer over the top. In ihren Höhen genauso wie in ihren Tiefen. Heute sind seine Einflüsse vielleicht andere, aber das Prinzip, so sagt er, bleibt das gleiche.
Die Entwicklung und der Aufstieg von Ufo361 erzählen auch etwas über die Entwicklung und den Aufstieg von Deutschrap in den Zehnerjahren insgesamt. In den frühen Nullerjahren entsteht Gangster-Rap. Es fängt das Lebensgefühl der sozial Benachteiligten auf und bildet eine Lebensrealität ab, die in der deutschen Musikszene bislang keinen Eingang gefunden hatte. Berlin war das Epizentrum dieser Bewegung und löste einen neuen Boom aus.

Rapper wie Bushido, Sido und Fler wurden zu Stimmen und Identifikationsfiguren der Marginalisierten, der erklärten Unterschicht und schafften es durch ihre brachiale Verbalaggression, eine derartige Faszination auszuüben, dass Gangster-Rap erstmals in den Mainstream gespült wurde. Sie kehrten die bestehenden Zuschreibungen um und wollten sich nicht als Opfer der Gesellschaft sehen, sondern stilisierten sich als Macher, die aus dem Dreck, der sie umgab, etwas formten. Das Label Aggro Berlin schaffte es durch ein kluges Marketing, das sinnbildliche Ghetto in den popkulturellen Fokus zu rücken und aus ihm einen romantisierten Sehnsuchtsort zu machen.

„Unterschicht“ war nun kein Schimpfwort mehr. Unterschicht war ein Lebensgefühl, das es in den Mainstream schaffte. Sido, Bushido, Fler oder Massiv sorgten nicht nur für Debatten zwischen Klassenzimmer und Feuilleton, sie brachen auch sämtliche Verkaufsrekorde, die das Genre bis dahin kannte.

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Doch Ende der Nullerjahre stürzte Deutschrap in eine Identitätskrise. Nicht nur kommerziell litt das Genre, wie die gesamte Plattenindustrie, unter Raubkopierern, auch kreativ herrschte Ratlosigkeit. Die neue Härte hatte sich mittlerweile etabliert, wurde tausendfach kopiert und hatte sich totgelaufen.

Das änderte sich erst mit dem Düsseldorfer Label Selfmade Records. Während sich die Berliner Härte gerade durch ihren kompletten Mangel an Ironie auszeichnete, brachen Künstler wie Kollegah mit gängigen Gangster-Rap-Klischees, indem sie diese so weit überspitzen, dass sich die Frage nach der Authentizität gar nicht mehr stellte. Kollegahs große Leistung war es, den strengen Authentizitätsbegriff endgültig aufzulösen und Kunst wieder zu Kunst zu machen. Er spielte clever mit Wortbedeutungen und stilisierte seine Vergleiche zu vielfach bedeutungsschwangeren Mitdenkstücken.

Deutschrap erlebte seine Stunde null

Aber nicht nur Gangster-Rap erlebte in den frühen Zehnerjahren einen neuen Aufschwung, auch andere Subgenres, die im letzten Jahrzehnt vom harten Gangster-Rap komplett erdrückt worden waren (welche popkulturelle Erzählung kann bitte schön mit einem Goldraub mithalten?), entwickelten sich weiter oder auch ganz neu. Mit Cro fand Rap wieder Zugang zum Pop (folgerichtig nannte er seinen Sound dann auch „Raop“), mit Casper (der im Übrigen zu diesem Zeitpunkt auch bei Selfmade Records unter Vertrag stand) wurden Emotionalität und Crossover-Mentalität hoffähig, und auch ein Marteria holte eine ganz neue Generation von Kids ab, die wahrscheinlich eher in Vorort-Electrodiscos als im erweiterten Hip-Hop-Umfeld unterwegs waren.

Deutschrap erlebte seine Stunde null. Erstmals standen sich die unterschiedlichsten Subgenres in der Ebenbürtigkeit hoher Verkaufszahlen und Chartspitzen-Platzierungen gegenüber. Deutschrap erlebte ein Anything-Goes. Die Szene öffnete sich gegenüber allen möglichen Sounds. In genau diese Zeit kam Ufo361 und fügte ihr mit seiner Mixtape-Reihe ein weiteres Fragment hinzu. Er richtete den Sound des Genres in Richtung Zukunft aus.

Ufo sitzt nun im Studio, vor ihm ein gewaltiges Mischpult, sein Cap hat er tief ins Gesicht gezogen. Wenn wir über seine alten Alben sprechen, hat man das Gefühl, dass er sich ein wenig zwingen muss, sich wieder in eine Zeit zu versetzen, die er eigentlich schon hinter sich gelassen hat.

Ufo wirkt nicht wie ein Mensch, der gern zurückschaut. Zu sehr ist dafür sein Blick auf die Gegenwart gerichtet. Vielleicht auch schon in die Zukunft. Auf den Bildschirmen im Studio ist ein Audioschnittprogramm mit zahlreichen sich überlappenden Tonspuren geöffnet. So wie die Tonspuren überlappen sich auch die künstlerischen Identitäten, die vielen Leben, die dieser Mann in sich vereint.

Er bleibt ein Arbeiterkind

„Ich glaube“, sagt Ufo im Rückblick auf die Anfänge seiner Karriere, „dass ich in dieser Zeit schon eine gewisse Pionierarbeit geleistet habe. Ich habe meinen Teil dazu beigetragen, dass viele deutsche Hörer Dinge entdeckt haben, die in den Staaten gerade passieren. Das hat sich geändert. Mittlerweile hören die Leute mehr US-Rap als Deutschrap. Darum arbeite ich wahnsinnig gerne mit jungen Leuten zusammen, um auch junge Ideen aufzugreifen und von den Erfahrungen der neuen Generation zu lernen.“

Ufo361 kostet seinen frühen Erfolg nicht nur aus, er bleibt auch fleißig. Er bleibt ein Arbeiterkind. Major-Offerten gibt er eine Absage, gründet stattdessen sein eigenes Label Stay High und hält die Frequenz seines Outputs hoch. Er arbeitet mit Capital Bra und 187 Strassenbande zusammen, den zum damaligen Zeitpunkt erfolgreichsten Vertretern des Genres, veröffentlicht mit „808“ im Jahr 2018 sein erstes richtiges Album in seinem neuen, seinem zweiten Leben. Das Album ist – wie könnte es anders sein – ein Trap-Album, hat aber deutlich mehr Tiefe und Substanz als seine noch recht experimentierfreudigen Mixtapes.

Ufo361

Es fällt düster aus und gibt erstmals auch Einblicke in das Seelenleben des Ufuk Bayraktar. Das noch im selben Jahr folgende Album „VVS“, nach einem Qualitätsmerkmal von Diamanten benannt, ist dann wiederum die helle Seite des dunklen Debüts, auf der Ufo361 über die Sonnenseiten seines Erfolgs rappt.

Doch dann der Schlussstrich. Ebenfalls noch 2018 gibt Ufo361 das Ende seiner Karriere bekannt, veranstaltet ein letztes Abschiedskonzert, das seine Fans in Trauerkleidung besuchen – nur um ein knappes Jahr später dann doch seine Wiedergeburt zu feiern. Das dritte Leben des Ufuk Bayraktar beginnt.

„Ich kann nicht stehen bleiben“, sagt Ufo heute, klappt den Laptop wieder zu und streift erneut durch das Studio. Es wirkt tatsächlich so, als könne er nie so richtig stillstehen, nie zu lange an einem Ort bleiben. „Ich kann mich nicht festlegen. Ich kann nicht bloß immer und immer wieder diesen einen Sound wiederholen. Das bin ich nicht.“ Er lüftet seine Cap ein kleines Stück.

„Jemand hat einmal gesagt, dass Musik, die man nur für seine Fans macht, nicht so nice klingen würde. Ich produziere ja nicht Musik am Fließband. Ich nutze Musik, um mich auszudrücken.“ Dann geht er dem Gedanken nach. „Weißt du, es ist einfacher, kreativ zu sein als berechnend. Ich kann eine Zielgruppenanalyse durchführen, ich kann die Analytics checken, was meine beliebtesten Songs ausmacht – aber das funktioniert so nicht. Das will ich auch nicht. Ich will die Musik machen, die in mir ist. Die ich gerade fühle.“ Der ständige Wandel ist die größte Konstante, die sich durch die vielen Leben des Ufo ziehen.

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Sein Comeback geht Hand in Hand mit seinem vielleicht erfolgreichsten Album, „Wave“ (2019), das sich stilistisch sehr weit öffnete, es greift Elemente von Cloud- und Emo-Rap auf, bedient sich an gitarrenbasierten Samples, die angesagte US-Künstler wie Lil Baby und Gunna zum Trend machten, und hält den großen Stilmix durch wiederkehrende Elemente von Delfingesängen zusammen, die er während seiner Auszeit auf Mauritius aufzeichnete.

Ein Jahr später lässt er auf dem Album „Rich Rich“ seinem Faible für Fashion freien Lauf. Spätestens jetzt beginnt Ufo zu einem Gesamtkunstwerk zu werden, seine visuelle Ästhetik verbindet sich mit zahlreichen popkulturellen Referenzen zu High Fashion, Street- und Graffiti-Kultur zu einer ganz eigenen Melange, die es so im deutschen Raum bislang nicht gegeben hat. Jedes neue Album ist ein ganz neuer Film, definiert einen neuen Ufo361.

Nach und nach wendet er sich dabei immer mehr von der deutschen Szene ab, die Features, die er fortan auf seinen Alben hat, sind international und hochkarätig – was aber auch zeigt, wie international hoffähig sein Sound mittlerweile ist. Die Rap-Szene reagiert gereizt und verständnislos. Auf Ufos Liebe zur High Fashion wird mit Verständnislosigkeit und homophoben „Verschwulungs“-Vorwürfen reagiert, seine künstlerische Ästhetik bringt ihm bringt ihm sogar den albernen Vorwurf ein, er sei Satanist und habe seine Seele an den Teufel verkauft.

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Zurück in Berlin, zurück in den Circle Studios. Die Katze hat es sich mittlerweile in den Zwischenwänden eingerichtet. Zwei Jungs, die von Bayraktar angewiesen werden, haben versucht, sie mit Thunfisch herauszulocken. Vergeblich. Eine Sony-Mitarbeiterin scheint etwas nervös zu sein, das Studio sei morgen für eine bekannte deutsche Popsängerin gebucht, das werde man dann ja absagen müssen, wenn die Katze nicht bereit wäre, ihr neues Domizil zu verlassen.

Es scheint, als würde sie abwägen, was wohl unangenehmer wäre: das junge, aufstrebende Pop-Sternchen oder die Feuerwehr anrufen zu müssen. Ufo gibt sich noch immer besorgt, es tue ihm sehr leid mit der Katze. Er wirkt ernsthaft zerknirscht.

Blutbeschmiertes „I love Sony“-Shirt

Eine gute Gelegenheit, einmal über den Elefanten im Raum zu sprechen: Sony. Ufo361, der immer Wert darauf legte, independent zu sein, unterschreibt im vergangenen Jahr einen Deal bei Sony. Als Willkommensgeschenk veröffentlicht er ein Mix-Tape, das ihn mit einem blutbeschmierten „I love Sony“-Shirt in einer Badewanne liegend zeigt und noch nicht einmal das Verstörendste an der ganzen Sache ist. Das Tape greift eine in Deutschland bis dato nie gehörte Strömung auf: Rage-Rap, ultraharte, technoide Beats, gepaart mit selbstzerstörerischen Lyrics, wie sie auf dem US-Label Opium etwa von einem Ken Carson oder einem Rick Owens veröffentlicht werden.

Ufo361, der schon immer und mit allem, was er machte, in gewisser Weise polarisierte, hat zum ersten Mal einen guten Teil seiner eigenen Fans nachhaltig irritiert. Mit seinem hochkomplexen Sound (der wahrscheinlich das Beste ist, was er je veröffentlicht hat), den zum Teil völlig unverständlichen Lyrics und Songs, die keine zwei Minuten Spielzeit mehr haben. Hat er Sony da ein vergiftetes Willkommensgeschenk gemacht?

Ufo361 winkt ab. Er habe lediglich einen Übernahmevertrag mit Sony, das hätte, so denkt er, wahrscheinlich nicht einmal jemand mitbekommen. „Aber ich habe da einen Film draus gemacht.“ Ganz so, wie er immer und aus allem einen Film gemacht hat. Er benannte sein Mix-Tape nach der Plattenfirma und kokettierte mit dem Deal. Musikalisch bleibe er mit seinem eigenen Label aber nach wie vor unabhängig, vor allem was die Kreativarbeit angeht.

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Jetzt folgt, in seiner Radikalität dann irgendwie auch konsequent, Ufos wohl zugänglichstes Album. „Nur Für Dich 2“, die Fortsetzung seines 2020er-Herzschmerz-Kollabo-Albums mit dem Berliner Produzenten Sonus030 – ungewöhnlich für den Mann, der eher selten etwas fortsetzen, sondern immer lieber neu erkunden will. Aber das ist nicht das Einzige, was an dem neuen Album ungewöhnlich ist: So viel Pop war nie.

„Wenn ich ein Album mache, dann mache ich nicht einfach nur ein Album. Dann lebe ich dieses Album“, erklärt Ufo361 und lässt eine längere Pause. „Als ich mit NFD2 begonnen habe, war mir klar, dass ich ein Album machen muss, das mich heilt von all den Dingen, die ich gesehen und erlebt habe. Und dafür brauchte ich einen neuen Einfluss.“ Man könnte sagen, dass Ufo die letzten Jahre mit Höchstgeschwindigkeit gefahren ist und jetzt genauso brachial auf das Gaspedal tritt.

Seine Feature-Liste liest sich plötzlich wieder sehr deutsch

Inspiration für seinen neuen, entschleunigten Sound fand er, wie sollte es anders sein, in einer zerbrochenen Beziehung – und eben in Japan. „Ich bin um den Mount Fuji, den schönsten Berg der Welt, spaziert. Der einzige Mensch, den ich für Stunden gesehen habe, war eine alte 70-jährige Frau, die mit einem Fahrrad vorbeigefahren kam“, erinnert er sich. „Ich habe die ganze Zeit Lo-Fi-Beats gehört. Vor dem Mount Fuji stehen, sein Leben reflektieren und einen Lo-Fi-Sound hören – das hat einen wahnsinnig entspannenden Effekt.“

Der Mann, der seit Anbeginn seiner Karriere auf das Tempo gedrückt und sich immer wieder neu erfunden hat, der mehr künstlerische Leben verlebt hat, als sich die meisten deutschen Genrevertreter überhaupt nur vorstellen können, hat für einen kurzen Moment seine Ruhe gefunden. Ob sie halten wird? Fraglich.

Sich auf neue Dinge einzulassen, ist ihm ja nicht fremd; es durchzieht die Leben und Inkarnationen des Ufo361. Auf „Nur Für Dich 2“ versucht er auch wieder Neues. Seine Feature-Liste liest sich plötzlich wieder sehr deutsch. Paula Hartmann ist dabei und Henning May, der Sänger von AnnenMayKantereit. Niemanden, den man erwarten würde. Und dennoch fügen sich die Features perfekt in den neuen Sound des Albums.

Was er als Nächstes machen will? Das weiß er noch nicht. Wahrscheinlich das, sinniert er, was das Leben ihm als Nächstes in den Schoß werfen wird. Er reagiere ja nur. Wenn er eine Katze wäre, hätte er ja noch einige Leben vor sich. Aber er ist Ufo361. Da sind es wahrscheinlich sogar noch einige mehr.

Mediahouse Berlin Nadine Fraczkowski
Nadine Fraczkowski
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