Überfallt Banken!
Zuweilen gibt es erhellende Blitzlichter. Zum Beispiel, wenn Vertreter der Occupy-Bewegung bei Maybrit Illner auftreten und ausführen: Jeder vertritt sich selbst bei uns, Ziele haben wir vorerst nicht. Wenn sie dann von weltweiter Kommunikation schwärmen und Illner loben, dass sie eben diese Kommunikation herstelle – das ist sympathischer Dilettantismus. Es gibt aber auch echte Sturmzeichen. Denn wenn eine neue soziale Bewegung öffentlich verstummt, kaum Visionen und Strukturen entwickelt, sich schwächelnd für so stark hält, dass sie keine Bündnispartner braucht – dann brennt die Bewegungshütte!
Ein sichtbarer Ausdruck dessen ist das verstockte Unverhältnis, das die Occupy-Bewegung und das globalisierungskritische Netzwerk Attac zueinander pflegen. Sie wollen irgendwie zusammengehören, aber sind sich in der Denke so fremd, dass wenig Gemeinsames zustande kommt. Wenige Attacies haben sich in Berlin und Frankfurt in die Arbeitsprozesse eingebracht. Attac steht irgendwie daneben, und es dämmert zögerlich und schmerzlich: Die Attac-Hütte brennt selbst. Die Aktivisten spüren einen neuen Protestzyklus, der Attac möglicherweise alt aussehen lässt – und dafür sorgen könnte, dass sie auf ihrem ureigensten Feld das außerparlamentarische Sagen verlieren.
Auf der Kippe steht aber auch die Occupy-Bewegung selbst. Die kalten Nächte vor der EZB und dem Reichstag, das rasch sinkende Interesse der Menschen und, ja: die fehlende Attraktivität für gemischte Protestpotenziale legen nahe, dass die Bewegung an weiteren Demo-Samstagen erlahmen könnte. Vielleicht sogar zur Lachnummer wird. Die Akteurinnen und Akteure werden unsicher, interner Streit könnte folgen. Kein Wunder, bei 999 verschiedenen Politikverständnissen!
Darin könnte aber eine produktive Chance liegen – wie in New York und Madrid. Es geht darum, öffentliche Plätze als Bewegungsorte zu verstehen, sich zu öffnen für andere gesellschaftliche Gruppen, Intellektuelle und Kulturschaffende. Allerdings wird eine Bewegung wie Occupy diese Aufgabe in Deutschland niemals allein stemmen können. Sie braucht die Unterstützung vieler Einzelner aus unterschiedlichen Protestmilieus, die mit Erfahrung, Kompetenz und – bitte schön! – mehr Kreativität ein tolerantes Bewegungsklima schaffen können.
Die Bewegung mit neuen Protest- und Kreativitätspotenzialen zu fluten, das ist das Gebot der Stunde: mit guten Argumenten menschenfischerisch die Bewegung und den berechtigten Zorn der 80 Prozent der Bevölkerung zusammenzubringen. Es geht nicht ums „Entern“ oder die „Übernahme“, sondern um einen gesamtgesellschaftlichen Lernprozess. Darum, dass die Betroffenen aufstehen, sich befreit fühlen, Politik und Bankenmacht Zug um Zug stärker unter Druck setzen. Die Debatte über Protestformen muss vorangetrieben werden. Demonstrationen sind wichtig, papierne Forderungen auch – aber bitte in Kombination mit zivilem Ungehorsam, gewaltfreien „Banküberfällen“ und Bankbesetzungen. Es muss den Herrschenden wehtun – sonst ändert sich gar nichts.
Weder Occupy noch Attac haben bisher ernsthaft begonnen, über eigene, couragierte Formen dieses Ungehorsams nachzudenken. „Robin-Hood-Aktio-nen“ in den Reichtumszonen von Berlin-Grunewald, Starnberg oder Blankenese folgten Vorbildern aus den USA. Und die „feindliche Übernahme“ der Deutschen Bank durch symbolische „Tausend-Menschen“ könnte eine weitere Rufschädigung für die Bank bedeuten.
Bisher schaut die Occupy-Bewegung noch aus höchst eingeschränkter Perspektive in die Welt – und für ihre eigenen strategischen Entwicklungsmöglichkeiten ist sie fast blind. Die Öffnung der Bewegung, das wechselseitige Sich-Einlassen auf unterschiedliche Protestkulturen, ist der Schlüssel für eine soziale Bewegung, die den Namen verdient. Occupy und Attac – so möchte man nach dem alten Lied schließen – sind die „Königskinder der Bewegung“. Bisher sind sie noch nicht wirklich zusammengekommen.
Das Lob der Herrschenden ist primär ein Ausdruck von Unsicherheit gegenüber einer neuen, unberechenbaren Bewegung. Schüren wir diese Unsicherheit!
Peter Grottian, Jahrgang 1942, ist Hochschullehrer für Politikwissenschaft in Berlin, sitzt im Wissenschaftlichen Beirat von Attac und ist Bewegungsaktivist.