Über probate Strategien, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten auf die Schnelle stinkreich zu werden
Der Fortschritt, das war schon immer so, kommt aus Amerika. Die Mikrowelle und XXL-Sportswear, Fitness und Feminismus, Rollerblades und Rap. Dinge, die wir nicht vermißten, ohne die jedoch auch der deutsche Alltag inzwischen fade wäre und leer. Luftkissen in Turnschuhen, Religion aus dem Fernsehen, Sternenkrieg im Kino, Bücher zum Hören, Musik aus dem Computer, die Liste der liebgewordenen kulturellen Errungenschaften von jenseits des großen Teichs ist schier endlos. Und bald, so die Prognosen für gewöhnlich gut unterrichteter Kreise, wird ein weiterer US-Kult hier Schule machen. Das Millionenscheffeln mithilfe der Jurisprudenz, will sagen: per Klagen.
Der amerikanische Mythos lebt nicht nur, es geht ihm blendend. Vom Tellerwäscher zum Millionär? Nichts leichter als das. Fragen Sie die Frau, die vor ein paar Jahren am Drive-In-Schalter einer Fastfood-Kette einen Becher Kaffee kaufte und ihn sich beim Anfahren über die Schenkel kippte. Drei Millionen Dollar Schmerzensgeld forderte die dusslige Kuh, sorry, die Geschädigte. Weil der Kaffee „zu heiß“ war. In der zweiten Instanz mußte sie dann schließlich mit $600.000 vorlieb nehmen. Trotzdem kein schlechter Schnitt Beinahe das Doppelte erhielt ein Mann, der mit dem Brotmesser ausrutschte und sich eine tiefe Fleischwunde zuzog. „Zu scharf sei die Klinge (Solinger Stahl!), machte er geltend. Das Gericht gab ihm Recht, der Messerhersteller mußte bluten. Herzerfrischend auch die Geschichte von dem Autofahrer in Oregon, der dort in einem kleinen Kaff ein Mädchen zum Krüppel fuhr. An einem Zebrastreifen. Zuerst wurde er zwar selbst vor den Kadi gezerrt und prompt verurteilt Doch dann – dies ist America, land of the brave and the free drehte er den Spieß um und verklagte die Gemeinde, weil die weiße Farbe des Fußgängerübergangs verblaßt war und weil er durch den tragischen Unfall ein Trauma davongetragen habe. Mit Erfolg. Ein genialer Coup, denn selbst nach Abzug des Schmerzensgeldes an das überfahrene Mädchen bleibt dem Raser ein sechsstelliger Reingewinn. Läßt die Formulierung „taking the best of a bad Situation“ in einem ganz neuen Glanz erstrahlen, doesn’t it?
Brillant auch der Kerl, dem ein Richter immerhin $5.000 zusprach. Wegen „Verletzung des Anstandsgefühls“. Der Blick des Klägers war in einer öffentlichen Badeanstalt auf eine barbusige Frau gefallen. Für Sekunden nur, denn er hatte sich natürlich sofort abgewandt Zu spät freilich, sein Sinn für Sitte und Moral hatte bereits irreversiblen Schaden genommen. Eine fürwahr teuflische Marter. Da kann man bei den paar Dollars nicht einmal von Wiedergutmachung reden, allenfalls von einem Trostpflaster. Zahlen mußte übrigens nicht das Oben-ohne-Luden sondern der Besitzer des Geländes, auf dem das Attentat geschah. Das Echo auf das Urteil, das überrascht uns nicht, war geteilt Prüde Männer strömten in die Freibäder, Emanzen forderten „Spannergeld“ für die in Augenschein genommenen Nackedeis, und Pornoproduzenten protestierten gegen die Umkehrung des so bewährten lukrativen Prinzips „cash for flesh“.
Vollends pervers ist die amerikanische Rechtsprechung in bezug auf Raucher. Jahrelang an den Pranger gestellt, ghettoisiert und stigmatisiert, wird die kleine Minorität der Nikotinsüchtigen neuerdings nicht mehr als gefährliche Landplage behandelt, eher als mitleiderregende Dumpfbacken. Der Raucher ab solcher, verkünden Strafkammern in immer mehr Staaten, ist nicht Täter, sondern Opfer! Nicht rücksichtsloses Individuum, sondern manipulierbarer Idiot Auch hier geht es um schnöden Mammon. In Dimensionen freilich, die frappieren. Hunderte von Milliarden Dollar bieten die US-Tabak-Konzerne bereits im Vorfeld einer Prozeßlawine, die noch nicht einmal richtig ins Rollen gekommen ist Prophylaktisch und freiwillig. Außergerichtliche Vergleiche, bevor ein Gericht bemüht wurde. Etwas anderes bleibt ihnen nicht übrig, wollen sie überhaupt im Geschäft bleiben.
Wenn sie doch verklagt werden, haben Zigaretten-Fabrikanten nicht mehr den Hauch einer Chance. Nachdem sie jahrzehntelang wahrheitswidrig behauptet hatten, ihre Produkte seien gesundheitlich unbedenklich, wird ihnen nun der Garaus gemacht, sofern sie sich nicht rechtzeitig freikaufen können. Die Situation ist von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich, identisch ist die Methode, mit der die mächtige Tabakindustrie juristisch ausgehebelt wird: Die Kläger lügen. Sie hätten keine Ahnung gehabt, beteuern sie, daß Zigaretten krank machen oder gar todkrank. Und abhängig. So stehen sie vor Gericht (falls sie noch stehen können), paradieren ihre Lungenkarzinome und Raucherbeine und kassieren ab. Je moribunder, desto mehr.
in Fresno, Kaliformen, wurde eine Tabakfirma von einer rauchenden Mutter verklagt, deren 3jähriger Sohn bei einem Asthma-Anfall erstickte. Nein, versicherte die Fahrlässige, den Begriff „passives Rauchen“ kenne sie nicht Und daß das schädlich sei, vor allem für Kinder, habe ihr keiner gesagt Der Richter nahm ihr den dreisten Schmäh ab. Jetzt ist sie reich. Die eigentlichen Profiteure der veränderten Jurisdiktion sind indes dieselben wie die der früheren. Die Anwälte, von denen viele mit fliegenden Fahnen zu den neuen Gewinnlern übergelaufen sind. Zu den siechenden Süchtigen. Die Parasiten wechseln den Wirt in God’s own country.