Über die Ursachenforschung nach dem Massaker von Littleton und Schuldzuweisungen an die Pop-Kultur
Unser alter Freund Kurt Cobain stand unter Verdacht: „People just left me alone“, erzählte er mal „They were afraid. I always felt they would vote me Most Likely To Kill Ereryone At High School Dance.“ Während man solch eine Wahl im Land der freien Wahl nicht erklären muß und deshalb nach dem Massaker von Littleton auch keine Änderungen zu erwarten sind, sondern William Jefferson Clinton die übliche „nationale Tragödie“ beklagt, stellt man in Deutschland gerne „die Frage nach dem Warum“. Darum, sagen die Kinder korrekt.
Ist der Film „The Matrix“ schuld, KMFDM, Rammstein, Adolf Hitler, das Internet, Videospiele? Die Waffengesetze? Oder doch die Ödnis der amerikanischen Vorstadt, die sich stets zu den Rändern hin ausweitende Langeweile dieser anmaßenden Nation? Schon die Fragen sind falsch, denn in Amerika ist alles Immanenz, alles Pragmatismus: Charlton Heston, Vorsitzender der Waffennarren, hätte einfach einen Wachmann am Schuleingang postiert. Da wäre kein Trenchcoat durchgekommen! Und weil das Waffengesetz selbstverständlich überdacht, aber nicht geändert wird, verbietet man an den Schulen demnächst das Tragen weiter Mäntel und die Farbe Schwarz.
Es ist Aberwitz dieser Größenordnung, die den amerikanischen Alptraum so unentrinnbar macht. Eric Harris war nur der Vollstrecker eines Schicksals, das die Hybris der indispensible nation bestraft, ein Tollschocker, wie ihn Stanley Kubrick und Anthony Burgess in „Clockwork Orange“ bloß im Ansatz erahnten. Der Nihilismus dieser durchgedrehten Provinzburschen ist die Kehrseite des Stumpfsinns der auf einem Flugzeugträger in der Adria stationierten Kampfpiloten, die im Fitneßraum des Schlachtschiffes aber auch ganz sicher sind, der Präsident werde schon das Richtige entscheiden – und anschließend werde es allen Menschen besser gehen.
Derselbe Präsident, ein Streber und Lügner erster Ordnung, bekommt immerzu bescheinigt, er mache ja einen guten Job. P.J. O’Rourke, der großartige (übrigens amerikanische) Mann der foreign affairs beim ROLLING STONE in New York, erkennt den Grund für die Sympathie: Clintons Geheimnis liegt im caring – einer Vortäuschung von Tat, die nichts kostet, nichts bewirkt, nichts bedeutet, aber enorm gut aussieht. Dieser Menschentypus ist weit verbreitet, er läuft überall laut herum, schwatzt, klopft auf Schultern, grüßt grundlos, heuchelt Verantwortlichkeit und plappert nach, was Klügere ihm mitgeteilt haben. Das Als-ob ist die erfolgreichste amerikanische Erfindung.
Und deshalb wird Hollywood nun ebenso dummdreist gescholten wie die, nun ja, Pop-Kultur. Was können die armen Rammstein dafür, daß auch dem gemeinen Amerikaner die martialische Dumpfprotzerei gefällt? Ist die Szene mit Leonardo diCaprios Amoklauf in „The Basketball Diaries“ nicht eine Traumsequenz! Distanzieren sich KMFDM nicht von Gewalt, Fremdenhaß und Nazitum? War Hitler nicht Österreicher? Hat das Goethe-Insitut Harris und Klebold die deutsche Sprache vermittelt? Und imitiert nicht das Leben überhaupt nur die Kunst? Man braucht nicht den alten Thomas Hobbes („Homo homini lupus“, wie der Alt-Lateiner sagt), um zu wissen: Was der Mensch denken kann, das wird auch getan.
Man wird einen Blick auf die gemütlichen amerikanischen Rituale werfen müssen, um den Ausnahmezustand in diesem Land zu verstehen. Der Abschlußball und die Wahl der prom queen etwa (siehe „Carrie“ oder „There’s Something About Mary“ oder „Metropolitan“ oder tausend andere Filme) können eine Existenz für immer zerstören. Das Selbstwertgefühl entscheidet sich am Grad der Popularität, am Ansehen des Begleiters und überhaupt am Dazugehören. Harris und Klebold gehörten nicht dazu. Harris hatte mal eine Freundin, und als es zu Ende war mit ihr, da legte er sich in den Garten, scheinbar mit Blut besudelt Das Mädchen schrie. Die „Trenchcoat Mafia“ wurde in der Schule veralbert, denn sie wirkte bekloppt im Umfeld der Sport-Truppen, an denen schon Holden Caulfield im „Fänger im Roggen“ zu leiden hatte. Dafür mußten die Sportler sterben.
An die hübschen Häuser der Familien Harris und Klebold sind Garagen gebaut. Dort wurden Bomben gebastelt Aber weil es zu viele Badezimmer gibt in diesen Häusern, zu viele Zimmer und auch zu viele Garagen, schaute niemand hinein. Die Nachbarn wunderten sich nur kurz über einen lauten Knall und das Splittern von Glas. Nichts störte die amerikanische Narkose auf der Veranda; erst hinterher zeigten die Anwohner mit dem Finger auf den Tatort. Die Eltern sind ratlos und trauern mit den Opfern, ein Anwalt faßt das Nichts an Reflexion in hilflose Worte.
In dem Film „Arlington Road“ warnt Jeff Bridges vor Attentätern, die einer Verschwörung angehören, nach einem Anschlag aber zu Einzeltätern erklärt werden. Am Ende stirbt er, und in den Nachrichten wird ein Einzeltäter gezeigt: Jeff Bridges. Solch schönen Ironien gibt es nur im Land der aporetischen Widersprüche.
Früher hörte die amerikanische Vorstadtjugend noch Musik von anständigen Amerikanern wie Tom Petty. Als alles vorbei war im aufgeräumten Littleton, erschien ein Lied von Petty, das die „Trenchcoat Mafia“ nicht mehr hören konnte: „You need rhino skin to walk through this world.“