Über den Gevatter Tod singt Suzanne Vega mit Vorliebe. Und die Inspiration zu den Songs holt sie sich auf Friedhöfen
Es ist Nacht in Paris, und Mitchell Froom hat einen fruchtbaren Traum. Seit drei Nächten stören fremde Düstergestalten seinen süßen Schlaf. Dabei ist er glücklich. Er ist auf Hochzeitsreise. Neben ihm schlummert selig seine Frau Suzanne. Morgens weckt er sie: „Wo warst du? Du hast mir versprochen, diese Leute zu verjagen.“
Geschichten, aus denen Suzanne Yega später Songs macht „Nicht der normale Alltag, sondern was da noch sein könnte, das macht einen guten Song aus. Wie wäre es z. B., wenn man sich die Träume teilt? Hand in Hand durch die Welten der Träume, und somit die letzte Bastion menschlicher Individualität überwinden.“
Es dauerte fast vier Jahre, bis Suzanne Vega ihre Texte der skurrilen Art wieder zu Papier bringen konnte. Es war einfach zu viel passiert. 1992 arbeitete sie bei dem Album „99.9° F“ zum ersten Mal mit Froom. Sie entwickelten begeistert Sounds, die später als „Electronic Folk“ bezeichnet wurden. „Wir hatten von Anfang an die gleichen Vorstellungen und haben experimentiert, ohne groß was erklären zu müssen. Wir spielten einfach das Spiel: Ich hab was, und was hast du Passendes?“ Sie verliebten sich, heirateten, und vor zwei Jahren kam Baby Ruby. Das änderte einiges.
„Früher hatte ich unendlich viel Zeit fiir meine Gedanken. Ich war immer flink mit Worten, schnell mit passenden Melodien. Nach der Geburt hatte ich manchmal richtige Wortsuchstörungen. Plötzlich konnte ich nachts wegen des Babys nicht mehr durchschlafen und war nur noch müde. Songschreiben war unmöglich.“ Vor einem Jahr nahm Suzanne sich ein Kindermädchen, mietete sich ein Arbeitsstudio, und allmählich kamen auch wieder die Verse. Noch etwas hatte sich durch die Geburt geändert. Früher behauptete Suzanne von ihrer Stimme, sie sei wie ein Bleistift, nützlich und einfach da. „Heute ist sie viel volununöser, durch die Schwangerschaft hat sich mein Brustkorb geweitet. Und Singen war früher etwas Besonderes, schließlich mein Beruf. Heute singe ich dauernd, von morgens bis abends. Meine Tochter reagiert nämlich nur, wenn ich ihr singend etwas sage.“
In den neun neuen Songs ihres fünften Albums „Nine Objects Of Desire“ behandelt Miss Vega wieder Aspekte ihrer Lieblingsphilosophie: das Leben als spannende Ungewißheit, wie ein Schwebezustand zwischen zwei Trapezschaukeln. „Die interessanten Momente erlebt man ja immer zwischen den Stationen. Wenn etwas erreicht ist, dann hat man es im Grunde schon wieder hinter sich.“ Was im gesprochenen Wort oft sehr ernst und schwer erscheint, das klingt von Suzanne gesungen eher heiter, sexy und auch komisch. Wenn sie über Gevatter Tod singt, dann wie über die Aufforderung eines ständigen Begleiters zum letzten Tanz in eine andere Welt. „Diese Vorstellung nimmt dem Tod den Schrecken. In Amerika treibt die Verdrängung von Alter und Tod immer groteskere Blüten. Jeder will die ewige Jugend. Alle betrügen sich selbst und verfalschen ihr Leben. Wer den Tod leugnet, verleugnet den wahren Sinn des Lebens.“
Suzanne Vega geht leidenschaftlich gern auf Friedhöfen spazieren. „Die Grabsteine erzählen ganze Menschenleben. Es ist so friedlich dort. In England habe ich mal lange mit einem Friedhofswärter geplaudert Er war ein ausgesprochen heiterer Mensch, der seinen Beruf wirklich liebte. Er wollte wissen, ob in Amerika bekannt ist, daß Rod Stewart früher tatsächlich mal Gräber ausgeschaufelt hat“ Ein Leben wie der Superstar Stewart in Hollywood kann sich die eingefleischte New Yorkerin jedoch nicht vorstellen. Da Gatte Mitchell viel in L. A. produziert, pendelt Suzanne seit ein paar Jahren zwischen Ostund Westküste hin und her.
„Es geht nichts über New York. Hollywood wurde nur erfunden, damit Leute so berühmt werden wie Marilyn Monroe.“ Dennoch hat sie ein paar Mal für Rollen vorgesprochen. „Das macht Spaß. Von der Hure bis zur Nonne war alles dabei. Irgendwie hat’s aber nie geklappt Ist vielleicht ganz gut so.“ Nie hat Suzanne Vega bereut, 1977 nach dem Besuch eines Lou-Reed-Konzertes den erlernten Beruf der Tänzerin aufzugeben, um Musikerin zu werden. „Ein Leben als Tänzerin ist so unvergleichlich viel schwerer. Singen kann ich noch mit 85. Und Schreiben werde ich, solange mein Hirn noch funktioniert“