U2: Die 20 meistunterschätzten Songs
U2: Die 20 meistunterschätzten Songs
U2: Die 20 meistunterschätzten Songs
In unsere Liste der meistunterschätzten U2-Songs fließen solche ein, die lange nicht oder noch nie live gespielt wurden – oder auf Platte ein eher unauffälliges Dasein fristeten. Die Sortierung ist chronologisch.
01. „Rejoice“ (aus „October“, 1981)
„And I can’t change the world / But I can change the world in me“ / If I rejoice“. Der Bono von heute ist anders als der 21-Jährige von damals. Inzwischen will er ja die Welt ändern. Auf ihr zweites Album „October“ sind U2 nicht wirklich stolz, gegenüber dem ähnlich klingenden Debüt „Boy“ fällt es auch ein wenig ab.
Zuletzt hatten es immerhin die Single „Gloria“ und der Titelsong in die Setlist der „Innocence + Experience“-Tour geschafft. „Rejoice“ oder das ähnlich gute „Is That All?“ hätten eine Wiederentdeckung verdient. Chance: gleich null, auch wenn „Experience + Innocence“-Tourdirektor Willie Williams in einem aktuellen Interview gerade die Zeilen aus „Rejoice“ zitiert, um die Entwicklung von U2 von „Innocence“ zu „Experience“ zu illustrieren. Prominente Aufmerksamkeit vor Tourstart.
02. „Wire“ (aus „The Unforgettable Fire“, 1984)
Produzent Brian Eno unterlegte die vierte Platte, wie zu erwarten, mit flächigen Keyboardklängen. Da das Tempo der Single „Pride (In The Name Of Love)“ per Studioregler ordentlich gedrosselt wurde (in einer offiziellen Album-Doku schön gezeigt), blieb „Wire“ als jenes Stück übrig, dessen Aggressivität noch am ehesten an die voran gegangene „War“-Ära erinnerte. Gesandwiched zwischen „Pride“ und „The Unforgettable Fire“ geht „Wire“ unter. The Edges Finger tänzeln auf den Saiten tatsächlich wie kleine Seil-Artisten.
03. „Hawkmoon 269“ (aus „Rattle and Hum“, 1988)
Wer kriegt die korrekte Tracklist von „Rattle and Hum“ zusammen? Der verwirrende Aufbau des Albums aus Studiomaterial und Live-Aufnahmen eigener sowie fremder Songs lässt das eine oder andere Lied in der Versenkung verschwinden. U2 engagierten einen Gospel-Chor, laut Wikipedia bezieht sich die Ziffer im Titel auf die Anzahl der Abmischungen bis zur finalen Version. 269! Und doch wird der Song heutzutage vernachlässigt.
U2 kümmern sich, wenn überhaupt noch, vor allem um die vier Singles der Platte („Desire“, „Angel Of Harlem“, „When Love Comes To Town“ und „All I Want Is You“). Die obige Aufnahme aus Köln zeigt, wie „Hawkmoon“ später zumindest noch in Medley-Form gebracht wurde.
04. „Night and Day“ (1990)
Coverversionen veröffentlichen U2 nicht auf Alben, sondern meist als Single-B-Seiten oder als Sampler-Beiträge. Dieser Version des Cole-Porter-Klassikers (erschienen auf der „Red, Hot + Blue“-Compilation) kommt besondere Bedeutung zu. Der Dance-Beat war neu, die Synthi-Klänge auch. Zwei Jahre nach „Rattle and Hum“ und ohne neue Platte schien plötzlich klar, dass die Rockismen passé sein würden.
„Achtung Baby“ stand vor der Tür. Dieser elegante Sound war grandios, leider hat „Night and Day“ bis heute kein Remaster erhalten. Eine gestreckte, unnötige Version („Steel String Remix“) findet sich als Track auf der „One“-Single. Clever, dass Bonos grandioser Gefühlsausbruch Richtung Outro passiert, so dreht sich „Night and Day“ im Kopf immer weiter. Außerdem hat Wim Wenders – darin bleibt er zuverlässig – ein sehr langweiliges Video zum Song gedreht. Es sollte auch einer der letzten Clips sein, in dem Bono seine Markenzeichen-Geste, die Selbstumarmung, zelebriert.
U2: Die 20 meistunterschätzten Songs
05. „Salome“ / „Lady With The Spinning Head“ (B-Seiten „Even Better Than The Real Thing“ und „One“, 1992)
Sind natürlich zwei Songs, nicht einer. Aber die beiden tragischerweise von der Platte aussortierten „Achtung Baby“-Stücke gehören zusammen. Bootlegs dokumentieren endlose Fassungen. Die Sessions der 1990 nach Sinn suchenden Band schienen manchmal fast nur aus Variationen von „Salome“ und „Lady With The Spinning Head“ zu bestehen, dazu „Who’s Gonna Ride Your Wild Horses“ – den Song wiederum haben sie in den Rehearsals derart durchgenudelt, dass er am Ende ganz nach hinten geschoben wurde, er erschien 1992 erst als fünfte der fünf „Achtung Baby“-Singles.
„Lady“ floss dann in „The Fly“ und „Ultraviolet (Light My Way)“ ein, und wie The Edge im Interview mit dem amerikanischen ROLLING STONE jüngst betonte, bestünde aufgrund dieser Vererbung auch kein Anlass, es selbst aufzuführen.
Schade. Aber wie wäre es mit „Salome“? Ist doch wie geschaffen für den Akustik-Abschnitt in der Konzertmitte.
06. „Acrobat“ (aus „Achtung Baby“, 1991)
U2 probten den Song zur „Experience + Innocence“-Tour. Es gibt kein „Achtung Baby“-Lied, das Fans sich mehr wünschen, denn im Gegensatz zu den anderen, die bislang mindestens als Snippet aufgeführt wurden, wartet dieses auf seine Live-Premiere.
Im ROLLING-STONE-Interview blieb Edge in Bezug auf „Acrobat“-Chancen vage. Hoffentlich wurde das Thema mittlerweile nicht totgeredet – warum sollten U2 jetzt erst recht Prognosen erfüllen?
Es wäre toll, Edges Gitarrensolo, eines seiner besten, endlich auf der Bühne zu hören. Er hat vor den Aufnahmen Sonic Youth gehört.
07. Babyface (aus „Zooropa“, 1993)
Nach Ende der „Zooropa“-Tournee erwies es sich als schwer, die Lieder in andere Konzertreisen zu integrieren. Sie erschienen nur im „Zooropa“-Schauspiel attraktiv. „Daddy’s Gonna Pay For Your Crashed Car“ war zu crazy, „Lemon“ zu Disco, „Numb“ zu speziell an die Botschaft der Platte gebunden. Der lange Titelsong erlebte bei der „Innocence + Experience“-Tour sein Comeback nur in beschnittener Form. „Stay (Far Away, so Close!)“ wurde bis heute noch am häufigsten gespielt – weil es eine verhältnismäßig normale Gitarrenballade ist.
„Babyface“ hat auf Platte den prominenten Platz zwei, aber ist in den letzten 25 Jahren abgetaucht. „Coming home late at night / To turn you on / Checking out every frame / I’ve got slow motion on my side“. Das von einem Glockenspiel balancierte, wirklich wie in Zeitlupe vorgetragene Lied für das Supermodel Christy Turlington ist ihr vielleicht schönster Love Song, geradezu ungewohnt sexy.
08. „Holy Joe“ (B-Seite „Discotheque“, 1997)
https://www.youtube.com/watch?v=ZPTfjfjBukA
Was würden U2 heute dafür geben, wenn ihr Album-Material noch so gut wäre wie diese letzte ihrer großen B-Seiten. Bono leitet den Song einfach mit einem großartig dreckigen „Eh“ ein, dann kommt Edge mit einem Bluesriff, und der Sänger markiert den Verführer: „I’m having the best time of anybody’s life /Closer than ever to everybody’s wife“.
Seltsam, dass dieses Maskenspiel nicht auf „Pop“ landete, zu dessen Dunkelheit es so gut gepasst hätte. Das eine oder andere zusätzliche harte Stück hätte der Platte gut getan. „Holy Joe“ führten U2 dann gemeinsam mit „Discotheque“ und noch vor allen anderen „Pop“-Songs in einem Kmart-Store auf. Klasse.
09. „Do You Feel Loved“ (aus „Pop“, 1997)
Laut Bono gibt es auf „Pop“ zwei Sorten Songs: solche der Party- und die der Hangover-Phase. Dieser, leider nicht als Single veröffentlicht, erzählt von einer düsteren Feier, also Party plus Hangover, die zu einer Art Exorzismus führt: „Love is coming, pushing and shoving / In the belly of a woman / Heavy rhythm taking over.“ Bonos defensive Haltung zeigt sich darin, dass der Songtitel kein Fragezeichen trägt.
Gegenüber einer anderen Platz-zwei-auf-der-Album-Tracklist-Nummer wie „Even Better Then The Real Thing“ fällt „Do You Feel Loved“ nur marginal ab. Schnell flog es jedoch von der „Popmart“-Setlist, da half auch das gelegentlich eingestreute „Into The Groove“-Snippet nichts.
U2: Die 20 meistunterschätzten Songs
10. Stateless (aus „The Million Dollar Hotel“, 2000)
Die bessere U2-Platte des Jahres 2000 war nicht „All That You Can’t Leave Behind“, sondern der Soundtrack zu Wim Wenders’ „Million Dollar Hotel“, mit Band- wie Solobeiträgen der Musiker sowie Gaststars wie Jon Hassell. „Never Let Me Go“ und „Dancin’ Shoes“ boten Bono geradezu burleske, neue Ausdrucksmöglichkeiten.
Das mit U2 entstandene „Stateless“ bestach durch eine Intimität, die der Stadionchor-Sound von „All That …“ ein paar Monate später leider wegblies. Für eine kurze Zeit immerhin bestand die Hoffnung, U2 würden die experimentelle Phase von „Pop“ im neuen Jahrtausend fortsetzen.
11. „Falling At Your Feet“ (aus „The Million Dollar Hotel“ 2000)
Fungiert als Solostück von Bono und Daniel Lanois, klingt aber wie klassisches U2. Oder wie ein sehr guter Song von Simon and Garfunkel. Im Fernsehen präsentierten Bono und Lanois das Lied gemeinsam mit U2, auf Konzerten dürfte es auf seine Premiere noch warten.
So wie „Salome“ ein klassischer Fall für den Akustik-Teil in der Set-Mitte, allerdings erhoffen Fans sich da eher Party-Hits im Lagerfeuergitarren-Arrangement.
12. „One Step Closer“ (aus „How To Dismantle An Atomic Bomb“, 2004)
Bei ihrer „Vertigo“-Tour schöpfte die Band aus ihrem mittlerweile beträchtlichen Backkatalog. Freute man sich bei der „Popmart“-Tour von 1997 auf „I Will Follow“, gingen U2 nun noch weiter zurück, entstaubten „An Cat Dubh“, „Into The Heart“ oder „The Ocean“. Nur dieser aktuelle Song, dessen Flächigkeit an den „Zooropa“-Track „The First Time“ erinnert, geriet dabei in Vergessenheit, wurde noch nie aufgeführt.
Wie das auch auf dem „Atomic Bomb“-Album enthaltene „Sometimes You Can’t Make It On Your Own“ ist dieses Lied Bonos Reflektion über den verstorbenen Vater. Der Titel stammt von Noel Gallagher, der Bono auf die Frage, ob Gott existiere, antwortet: Dein Vater sei nun „One Step Closer To Knowing“.
13. „White As Snow“ (aus „No Line On The Horizon“, 2009)
Wer es bis zu Song acht, „Fez – Being Born“, geschafft hatte und den überlebte (oder noch schlimmer, wünscht sich irgendjemand, „Stand Up Comedy“ je live zu hören?), der stieß auf das kalt-klirrende „White As Snow“. Die US-Kollegen nannten es wunderschön „alpin“.
„Where I came from were no hills at all“, setzt Bono an. „The land was flat, the highway straight and wide / My brother and I, we’d drive for hours“. Es klingt wie eine biografische Notiz, die auch auf der späteren Irland-Retrospektive „Songs Of Innocence“ gut aufgehoben wäre. Tatsächlich singt er von den letzten 4 Minuten und 41 Sekunden im Leben eines Soldaten im Afghanistan-Einsatz. In der Mega-Kraken-Stadiontour von 2009 war für diese Intimität leider kein Platz.
14. „Soon (Kingdom Of Your Love)“ (2009)
Das „No Line On The Horizon“-Outtake lief als Einspieler auf der „U2 360“-Konzertreise und war danach als 7-Inch-Single in der Deluxe-Box des Tourmitschnitts erhältlich. Die im Chor geschmetterten Lyrics, „Sing yourself on down the street / Sing yourself right off your feet / Sing yourself away from victory / And from defeat“ erinnern an den Agit-Rock von „War“.
Das nordafrikanisch anmutende Arrangement wiederum deutet an, in welche Richtung das Album hätte gehen können, wenn U2 ihren Einflüssen in Marokko vertraut hätten. Stattdessen landeten auf der Platte dann Lieder wie „Fez –Being Born“, das wie Bauchtanzmusik von deutschen Jahrmärkten klingt.
U2: Die 20 meistunterschätzten Songs
15. „Boy Falls From The Sky“ (aus „Spider-Man: Turn Off The Dark“, 2010)
Die Studioversion sang der Spider-Man-Darsteller des Musicals ein, Reeve Carney. Er klang leider wie ein Emo-Barde. Allerdings wird die Geschichte der Comicfigur auch aus einer sehr jungen Perspektive erzählt. Die Version mit Bono wartet auf ihre Veröffentlichung, zumindest wurde „Boy Falls From The Sky“ von U2 schon live aufgeführt.
Es ist das perfekte Musical-Lied. In vier Minuten wird erzählt, wie der schwache Peter Parker zum Superhelden mutiert. Es gibt ein anschwellendes Orchester, Edges „Hold Me, Thrill Me..“-Signatur-Riff für Superhelden, Dramatik, die das Ende der Welt beschwört. Große, melodramatische Gefühle in eine so kurze Spieldauer zu verpacken – das ist nicht nur funktional an das entsprechende Event-Publikum gerichtet, sondern auch eine große Kunst.
16. „Sleep Like A Baby Tonight“ (aus „Songs Of Innocence“, 2014)
Viele Hörer entdecken Einflüsse von Kraftwerk in diesem eher versteckten, verstörenden Schlummerlied, dessen Live-Premiere aussteht. Die spät einsetzende Glockenspiel-artige Melodie erinnert an „Babyface“.
Der Song handelt von einem katholischen Priester, der seinen sexuellen Missbrauch eines Kindes reflektiert. Das härteste Stück auf der Comeback-Platte von 2014. In den „Innocence + Experience“-Setlists war dafür kein Platz, weil Bono da auf eher biografische Lieder fokussierte.
17. „This Is Where You Can Reach Me Now“ (aus „Songs Of Innocence“, 2014)
Auch der zweitbeste „Innocence“-Song blieb live unberücksichtigt. Mit der Platte wollten U2 alten Helden wie Gang Of Four oder The Clash huldigen, dies ist ihre Punk- bzw. Postpunk-Hommage, dem die vier Musiker sich so rhythmisch wie lange nicht mehr ausliefern.
Auch, wenn der Chor mehr nach Foals als nach Klassikern klingt.
18. „The Crystal Ballroom“ (aus „Songs Of Innocence“-Deluxe-Edition, 2014)
U2 setzten sogar noch einen drauf: Den drittbesten Song der „Songs Of Innocence“-Ära gibt es nur als Bonustrack auf der Deluxe-Edition. Ein Slow-Disco-Stück, der auch zur „Zooropa“- oder „Pop“-Ära gepasst hätte. Im Gegensatz zu „Sleep Like A Baby Tonight“ und „This Is Where You Can Reach Me Now“ spielte die Band dieses aber auch live – in der herausfordernden Set-Mitte, in der U2 die kleine Rundbühne besteigen und sonst die Feten-Klassiker wie „Desire“ oder „New Year’s Day“ brachten.
Dieses Outtake, aber auch voran gegangene Leider-Nicht-Hits wie „Magnificent“ wurden nach kurzer Tour-Premiere recht schnell wieder eingemottet.
19. „The Lights Of Home“ (St. Peter’s String Version) (aus „Songs Of Experience“, 2017)
Dieser nur auf der Deluxe-Edition enthaltene Remix versinnbildlicht die Mutlosigkeit, die U2 seit Beginn des Jahrtausends befallen hat. Die „St. Peter’s String Version“ (im Video mit einem BBC-Orchester) zeigt, wie ein Auf-Nummer-Sicher-Song wie „The Lights Of Home“ eben besser hätte klingen können.
Im Remix sind aggressive Streicher und Bono im Vordergrund, Edge und Larry setzen erst sehr spät voll ein. Es wäre eine neuartige Akzentuierung ihres Zusammenspiels gewesen, die Hörer natürlich überrascht hätte.
Und das dann als Vorab-Single raushauen! Stattdessen gibt es auf Platte den vollen, aber weichlichen Band-Sound von Beginn an. Eine verpasste Chance.
U2: Die 20 meistunterschätzten Songs
20. „Book Of Your Heart“ (aus „Songs Of Experience“, Deluxe-Edition, 2017)
Wie schon bei „Songs Of Innocence“ blieben U2 sich bei den „Songs Of Experience“ treu: Eines der besten Stücke der Aufnahmen findet sich nur auf der Deluxe-Edition. „Ask the leaf and ask the bird / Not to sing or speak a word /We are not fictitious characters / But we don’t belong to this world“.
Möglicherweise ein Liebeslied an Bonos Ehefrau Ali, auf jeden Fall ein wenig zu traurig. Auf dem regulären Album finden sich stattdessen Sentimentalitäten wie „Landlady“.