TV-Tipp: „Frank“ – Das Musikgenie mit der Maske
Die US-Komödie lässt sich von der skurrilen Karriere eines britischen Pop-Outsiders inspirieren und ist der wohl außergewöhnlichste Musikfilm der letzten Jahre.
Als Autor eines Handbuchs mit dem Titel „How To Start A Rock Band“ taugt Jon Burroughs wohl kaum. Und auch Bill Drummonds Prankster-Ratgeber „Der schnelle Weg zum Nr. 1 Hit“ dürfte nicht weiterhelfen. Jon ist ein beeindruckend talentfreier Möchtegernmusiker, der einer tristen Erwerbstätigkeit in einem anonymen Großraumbüro nachgeht. Selbst die Kunst der pointierten Alltagsbeobachtung ist an ihm verloren. Beim Spaziergang durchs englische Suburbia mit dessen normierten Kleinbürgersilos fallen ihm nur Banalitäten ein, die er prompt auf Twitter postet. Dort hat er 14 Follower.
Frank ist das komplette Gegenteil von Jon: ein musikalisches Genie, aus dem die Ideen nur so heraussprudeln, immer bereit, für den perfekten Popsong bis an die Grenze des Vorstellbaren zu gehen. Dummerweise ist Frank Perfektionist und seine Ambitionen stehen dem großen Erfolg im Weg. Seine Band mit dem unaussprechlichen Namen Soronprfbs hat etwa so viele Fans wie Jon Twitter-Follower. Dem großen Durchbruch ist zudem abträglich, dass Frank mit einem überdimensionalen Pappmaschee-Kopf auftritt, den er auch unter der Dusche nie ablegt. Nicht einmal seine Bandkollegen wissen, wie Frank aussieht. Kaum auszudenken, was passieren würde, wenn diese beiden verhinderten Genies zusammen in einer Band spielten.„Frank“: 26. März, 23.20 – 0.50 Uhr, WDR
Irgendwo zwischen „This Is Spinal Tap“ und „The Devil And Daniel Johnston“ bewegt sich Lenny Abrahamsons Regiedebüt, „Frank“. Er versteht es, eine Balance aus Absurdität und Tragik zu finden. Dass Michael Fassbender die meiste Zeit hinter einem Pappmaschee-Kopf spielt, klingt dabei zunächst wie ein Marketing-Gag. Die Wahl erweist sich in der Schlussviertelstunde, als Franks Maske fällt, jedoch als kluge Entscheidung. „Frank“ spielt seine Geschichte lange als absurde Komödie aus, Fassbenders Enthüllung macht zum Ende hin jedoch eine latente Erzählung sichtbar: der Clash zweier gegensätzlicher Figuren, die in der Musik auf unterschiedliche Weise einen Rückzugsort finden: Jon aus Unsicherheit, Frank aus Angst vor der Welt.
Die Figur Frank basiert auf dem englischen Musiker Chris Sievey, der ab Mitte der 80er-Jahre unter dem Namen Frank Sidebottom tatsächlich mit einem Pappmaschee-Kopf auftrat und eine Ikone der englischen Popmusik wurde. Sievey starb als Star, das unterscheidet ihn von Outsiderkünstlern wie Henry Darger oder Achilles Rizzoli, deren fantastisches Lebenswerk erst posthum entdeckt wurde. Frank Sidebottom dagegen war eine Künstler-Persona, und auch Abrahamson suggeriert lange Zeit ein Konzept hinter Franks bizarren Auftritten. Dessen Stimmungsschwankungen zwischen kindlichem Enthusiasmus und brütenden Selbstzweifeln lassen jedoch erahnen, dass sich hinter der Maske mehr verbirgt als eine egomanische Künstlerseele.
Franks debiles Dauergrinsen trägt manische Züge
Jon ist staunender Zeuge dieser fragilen Band-Dynamik. Seinen Job als neuer Keyboarder der Soronprfbs hat er ohnehin nur bekommen, weil sich sein Vorgänger kurz zuvor lebensmüde in die englische See stürzte. Auch er befand sich schon in psychiatrischer Behandlung – weil er Schaufensterpuppen vögelt. Cara (gespielt von einer unnachahmlich hasserfüllten Maggie Gyllenhaal) ist eine böse Inkarnation der in der US-Indie-Komödie beliebten Figur des weiblichen Sehnsuchtsobjekts, an dem sich die männlichen Protagonisten in ihrer Verzweiflung wieder aufrichten können. Dieses manic pixie girl from hell verspricht ihren Bandkollegen allerdings keine emotionale Erbauung. Stattdessen haut sie Jon im Laufe des Films immer wieder mit sadistischer Freude aufs Maul. Auch das französische Pärchen Nana und Baraque teilt ihr Misstrauen gegenüber dem Neuling, der nichts unversucht lässt, die Soronprfbs berühmt zu machen. Eine Einladung auf das Festival South by Southwest in Austin wird zeigen, ob Frank tatsächlich das Zeug zum Star hat.
Drehbuchautor Jon Ronson („Männer, die auf Ziegen starren“) spielte in den 80er-Jahren kurze Zeit in einer Band mit Chris Sievey (als Keyboarder!). Ohne ihn hätte „Frank“ leicht eine gefällige Wohlfühlkomödie werden können. Sein Drehbuch verleiht Abrahamsons Debüt jedoch Unberechenbarkeit. Franks debiles Dauergrinsen trägt manische Züge, es ist komisch und verstörend zugleich. Aus gutem Grund hatten auch die durchgeknallten Killer des Horrorfilms – Leatherface in „Kettensägenmassaker“, Michael Myers in „Halloween“, Jason Voorhees in „Freitag der 13.“ – eine Vorliebe für Masken. Dahinter waren ihre wahren Seelenqualen nicht mal zu erahnen.