Dunkle Amour Fou: „Blackout – Anatomie einer Leidenschaft“ mit Art Garfunkel
Das grandios montierte Liebesdrama mit erschreckender Schlusspointe galt zum Kinostart als „kranker Film von kranken Menschen für kranke Menschen“. Nun läuft der Film von Nicolas Roeg zum ersten Mal im deutschen Fernsehen.
Der amerikanische Psychoanalytiker Alex Linden (Art Garfunkel) lernt auf einer Party in Wien, wo er an der Universität doziert, eine junge Landsfrau kennen. Milena Flaherty (Theresa Russell) hat gegen einen Flirt nichts einzuwenden. Sie pendelt schon seit einiger Zeit zwischen der Tschechoslowakei und Österreich und lässt sich schließlich auf eine dauerhafte Liaison mit dem nüchternen, aber charismatischen Intellektuellen ein. Daraus entwickelt sich eine obsessive Beziehung, als Linden herausbekommt, dass sich die lebenshungrige Milena auch mit anderen Männern trifft und auch bereits verheiratet ist. Eines Nachts muss Linden den Krankenwagen rufen, weil seine Geliebte, angeblich nach einer Überdosis Drogen, nicht mehr aufgewacht ist. Im Krankenhaus befragt von Kommissar Netusil (Harvey Keitel), gibt er an, dass es sich lediglich um eine Bekannte handelt. Doch der durchaus fanatische, wie ein Prediger auftretende Polizist entdeckt schnell die Widersprüche des Falls und macht bei seinen Nachforschungen eine ungeheuerliche Entdeckung…
Nach seinen Aufsehen erregenden 70er-Jahre-Filmen „Performance“, „Walkabout“, „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ und „Der Mann, der vom Himmel fiel“ drehte Nicolas Roeg mit „Blackout – Anatomie einer Leidenschaft“ einen Skandalfilm mit Ansage. Erneut engagierte der Regisseur einen Musiker für die Hauptrolle (wie zuvor schon Mick Jagger und David Bowie) und verlangte von ihm lediglich, sich selbst zu spielen. Jederzeit bleibt Art Garfunkel undurchsichtig und macht mehr als einmal den Eindruck, ein arrogantes Arschloch zu sein. Ein erstaunlicher Karriereschritt für den Musiker im Jahr 1980.„Blackout – Anatomie einer Leidenschaft“: 23. April, 22:15 Uhr – ARTE
Der Film beeindruckt, wie auch schon frühere Werke von Roeg, mit seiner sprunghaften, assoziativen Montage. Die Ereignisse sind so nicht-linear wiedergegeben, widersprüchliche Emotionen werden mittels Perspektivwechsel gegeneinander geschnitten. Während das Paar sich in einem Moment noch leidenschaftlich liebt, sieht man gleichzeitig, wie die Ärzte um Milenas Leben kämpfen.
Jahrelang wurde „Blackout“ (dessen Originaltitel, „Bad Timing“, weitaus besser die komplexe Zeit- und Bewegungsdramaturgie der inszenierten amour fou umschreibt) als misslungenes Experiment abgehakt. Selbst die Produktionsfirma konnte nicht viel damit anfangen, ein Verantwortlicher nannte ihn einen „kranken Film von kranken Menschen für kranke Menschen“.
Natürlich kamen schnell Vergleiche auf mit Roegs „Wenn die Gondeln Trauer tragen“, der ebenfalls wie ein raffiniertes cineastisches Puzzlespiel funktioniert und eine von Legenden umrankte europäischen Stadt zu einem Spiegelbild für seine derangierten Charaktere macht. Der Regisseur, der nach den Dreharbeiten seine furiose, chamäleongleiche Hauptdarstellerin heiratete (und später in sieben weiteren Filmen besetzte), reflektiert auch hier geschickt die vergeistigte Atmosphäre der Stadt und verbindet sie zusätzlich mit psychoanalytischen und künstlerischen Motiven von Sigmund Freud bis Gustav Klimt. Natürlich dürfen da hysterische Momente nicht fehlen.
„Blackout“ ist aber vor allem genau das, was der deutsche Titel suggeriert: die Anatomie einer Leidenschaft. Ein brillant montiertes, pointiertes Liebesdrama mit suggestiven Bildideen, einem markanten Soundtrack (Keith Jarrett, The Who, Billie Holiday) und einer Geschichte, die dem Zuschauer bis zur letzten Minute intellektuell wie emotional alles abverlangt. Vielleicht sogar Roegs konsistentestes Meisterwerk, das es nun zum ersten Mal im deutschen Fernsehen zu sehen gibt.Folgen Sie dem Autor, wenn Sie mögen, auf Twitter und auf seinem Blog („Melancholy Symphony“).
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