TV-Tipp: „11.22.63 – Der Anschlag“
Auf Fox läuft ab dem 11. April die achtteilige Mini-Serie "11.22.63 – Der Anschlag" nach Stephen Kings Roman, produziert von J.J. Abrams und mit James Franco in der Hauptrolle – der als Zeitreisender die Ermordung JFKs verhindern will.
„Ich muss über die ganze Sache nachdenken!“, ruft Jake Epping (James Franco) und offenbart damit unfreiwillige Komik. Oh ja, über DIESE Sache muss man wirklich nachdenken – man muss sie auch erst einmal verdauen. Sein Freund Al (Chris Cooper) hat ihm ein Geheimnis anvertraut: In dessen Schrank befindet sich ein Zeitportal.
Wer hineingeht, reist vom Amerika im Jahr 2016 zurück ins Jahr 1960. Und was kann man dort Sinnvolles tun? Natürlich das: die drei Jahre bis 1963 dazu nutzen, den Mord an John F. Kennedy zu verhindern. Der Präsident würde am 22. November 1963 in Dallas erschossen werden; es gilt, dessen Mörder Lee Harvey Oswald vorher kalt zu stellen. Über diesen Plan muss Jake also erst mal nachdenken.
Nach zwei Probedurchgängen mit dem Zeitportal erklärt Jake, ein vor der Scheidung stehender Englisch-Lehrer, gutes Herz, nicht viel zu verlieren, sich zu dem Auftrag bereit – der todkranke Al kann die Mission nicht mehr selbst übernehmen. Die 1960er-Jahre sind für Jake eine Herausforderung. Die Leute reden anders, sie denken anders, und er muss auch dort Geld verdienen – auf redliche Art, als Lehrer, und auf unredliche Art, indem er in Wettbüros auf die Pferde setzt, von denen er längst weiß, dass sie gewinnen werden. Natürlich fällt Jake dadurch als Sonderling und Glückspilz auf, und das bringt ihm ganz andere Probleme, als sich um die Observierung Oswalds zu kümmern.
Mit „11/22/63“ (deutsch: „Der Anschlag“) hatte Stephen King vielleicht nicht sein allerbestes, sicher aber sein allerschönstes, tapferstes Buch veröffentlicht. Es ist bis heute der Traum vieler Amerikaner, das Trauma zu beenden, die Uhr zurückzudrehen, den Mord an JFK zu vereiteln. Schlummert nicht in jedem von uns die Fantasie, tragische Ereignisse der Zeitgeschichte zu verändern?
Der Maulheld mit dem Gewehr
King nahm sich der Aufgabe 2011 an, sein Roman bot auf den letzten einhundert Seiten, als sich die Präsidentenkolonne ihren Weg durch Dallas bahnt, nicht nur die spannendste Strecke, die er je zu Papier gebracht hat. Seine Schilderungen vom Leben in den 1960er-Jahren, die auch seine eigene Jugendzeit abbildeten, alles über die Musik, den Tanz, den Film, waren so detailverliebt, prächtig und enthusiastisch, wie man es sonst nie zuvor vom Autoren gelesen hatte. Alles war gut, bis die Schüsse fielen.
Es schien, als hätte mit dem Tod Kennedys auch Kings Jugend ein jähes Ende gefunden. Ohne sich in Verschwörungstheorien (die CIA! Die Russen! Castro! Oder war der Killer doch nur ein Einzelgänger?!) zu versteigern, beschrieb er das Netzwerk um Lee Harvey Oswald, dessen marxistischen Freunde, die wahnhaften Umdeutungen des Kommunismus, aber auch Oswalds Gewaltausbrüche gegenüber seiner russischen Frau. King hasst diesen Typen, keine Frage, diesen Dampfplauderer, der dann doch noch einen großen Auftritt haben würde, als Scharfschütze mit seinem Gewehr.
Bei der Umsetzung des 1100 Seiten starken Buchs in eine achtteilige Miniserie hat Stephen King mitgearbeitet, als zusätzlicher Produzent neben Hauptdarsteller Franco und J.J. Abrams. Kings Arbeiten im Film- und Fernsehgeschäft führten in der Vergangenheit nicht immer zu den besten Ergebnissen. Mit Stanley Kubricks „Shining“ (1980) war der Schriftsteller derart unzufrieden, dass er 17 Jahre später als Produzent eine eigene TV-Fassung in Auftrag gab – chaotisch, schlecht besetzt und wenig gruselig, mit einem Fokus auf Alkoholabhängigkeit, unter der Kings alter ego Jack Torrance litt, und was Kubrick einst wenig interessiert hatte. Die Umsetzung von „11/22/63″sollte eigentlich schon 2012 beginnen, als Kinofassung, unter der Regie von Jonathan Demme („Das Schweigen der Lämmer“). Als Demme sich nach einem Streit mit King aus dem Projekt verabschiedete, hätte einem eigentlich Böses schwanen können.
Zeitreise ohne Brainfuck
„11.22.63 – Der Anschlag“ (im US-Original seit dem 15. Februar auf Hulu ausgestrahlt) ist dennoch gelungen, gelungener als etwa die „Shining“-Miniserie, und sie ist eine weitestgehend werkgetreue Umsetzung geworden. Der Stoff beeindruckt durch eine geradezu unaufgeregte Struktur, in der trotz der großen verfügbaren Zeit (Pilotfilm plus sieben Episoden á ca. 46 Minuten) gute Einschnitte vorgenommen wurden. Die drei wesentlichen Akzente der Geschichte sind schnell vertieft: Jakes Anpassungsschwierigkeiten in den Sechzigern; seine Liebe zu Lehrerkollegin Sadie (Sarah Gadon); sowie das per Wanze abgehörte pseudo-philosophische Geschwafel Oswalds (Daniel Webber).
Co-Produzent J.J. Abrams hatte sich ja einst mit „Lost“ einen Namen gemacht, auch jene TV-Serie setzte sich mit Zeitreisen und parallelen Dimensionen auseinander, sowie den Auswirkungen, die eine Veränderung der Vergangenheit aufs Heute hat. Auch in „11.22.63“ deuten sich Probleme an. Al gibt seinem Freund Jake vor dem Eintritt ins Zeitportal eine Weisheit mit auf den Weg: „The Past Doesn’t Want To Be Changed, The Past Fucks With You If You Fuck With The Past“.
Wer das Geschehene verändern will, bekommt es mit den unbekannten Kräften der Zeit zu tun – denn die will, dass alles so bleibt, wie es war. Als Jake im Jahr 1960 von einer Telefonzelle aus seinen Vater in Chicago anrufen will, wird das Häuschen Sekunden später über den Haufen gefahren. Die Zeit hat ihn attackiert, denn der eigentlich noch ungeborene Sohn dürfte nicht mit seinem Erzeuger in spe reden.
Abhörspezialist und Geheimniskrämer
So toll wie es ist, Chris Cooper endlich wieder in einer größeren Rolle zu sehen – man wünschte sich, seine Figur des Al würde nicht so früh sterben und ab dann nicht nur in Flashbacks auftauchen – so sehr ist „11.22.63“ natürlich James Francos Serie. Sein Jake mimt anfangs den Glückspilz, der gar nicht fassen kann, welches Luxusleben in den Sechzigern ihm allein schon 100 Dollar bieten.
Doch die Zeitreise an sich erscheint irgendwann nebensächlich. Jake wird zum verbissenen Planer, zum Abhörspezialisten und Geheimniskrämer, der unter seiner möglichen historischen Chance, aber auch ganz konkret unter seinem Doppelleben leidet. Wie sollte er seiner Sadie auch glaubhaft darlegen, dass er ein Mann aus der Zukunft ist, und der irgendwann wieder ins Jahr 2016 zurückkehren will?
Jake bleibt nicht allein
Die intelligenteste Entscheidung für die TV-Adaption bestand darin, Jake mit dem jungen Billy (George MacKay) einen Sidekick an die Seite zu stellen, einen Partner in Crime, der im Roman nur eine unwesentliche Rolle spielte. Fürs Fernsehen war eine Aufwertung Billys notwendig, denn als Einzelgänger hätte Jake hier nicht funktioniert. Die Gedanken, das Abwägen und die Zweifel – alle Pläne benötigen eine Verbalisierung, würden aber als innerer Monolog im Fernsehen nicht wirken.
Ein Verbrechen zu begehen, um ein noch größeres Verbrechen zu behindern – lässt sich das moralisch rechtfertigen? Und wie definiert sich eigentlich die „Größe“ eines Verbrechens. Gibt es so etwas wie einen gerechtfertigten Mord? Jake muss sich fragen, ob er Lee Harvey Oswald einfach umbringen kann.
Er sitzt auf der Couch, hört einem Veteranen zu, der ihm eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg erzählt. Wie er als G.I. einst einen jungen deutschen, wehrlosen Soldaten tötete, der schlafend vor einem See lag. „Das Allerletzte, was man sagen kann“, so der alte Mann, „ist, dass es von Mut zeugt einen Menschen umzubringen.“ Wie mutig Jake sein wird, muss sich zeigen. Und ob das bedeutet, dass er jemanden nicht umbringen wird.
Start der achtteiligen Serie am 11. April 2016 um 21.00 Uhr in deutscher Erstausstrahlung auf Fox