TV On The Radio, Bayerischer Rundfunk
Beim „"on3radio"-Festival geht ein Popjahr zu Ende, und alle fiebern der Band der Saison entgegen.
München, Bayerischer Rundfunk Die „Bavarian Open“, die in den Studios des Bayerischen Rundfunks stattfinden und nun „on3radio Festival“ heißen, sind am Ende eines Jahres immer ein guter Anlass. Bilanz zu ziehen, die vergangenen Monate im Pop zu resümieren. Hier finden sich noch einmal Trends und Hypes der letzten zwölf Monate und ihre regionalen Ableger auf engstem Raum. Es ist natürlich nicht immer alles neu, auch in diesem Jahr tummeln sich auf den Bühnen beispielsweise wieder die gefühligen Söhne und Töchter von Radiohead, Coldplay, Travis etc. „Songwriter-Pop“ nennt man das heute. Und wer da niemanden zum Schmusen hat, geht lieber an die Theke oder zu den auch nicht mehr ganz frischen HipHop- und Electro-Punk-Acts in den Nebenstudios.
Das Popjahr 2008 findet so ab halb elf im großen Studio 1 statt. Die Portugiesen Buraka Som Sistema! zelebieren hier die angolanische Dance-Variante Kudoro mit technoiden Beats, mächtigen Raps und exzessivem Arschwackeln. Als sie den Daft Punk-Hit „Celebrate“ aus dem Soundsystem lassen, scheinen auch einige im Publikum die Hüften nicht länger kontrollieren zu können. Santogold kann die aufgeheizte Menge anschließend gut gebrauchen, denn mit ihrer Show hätte sie ihre Zuhörer — ohne Band, im Halbplayback-Modus — an diesem Winterabend vermutlich nicht einmal auf Zimmertemperatur bekommen. Am besten ist noch ihr Outfit — ein Ganzkörperanzug im Boney M-Style, flankiert wird sie von zwei Background-Sängerinnen in güldenen Tutus. Mjunik Disco! Höhepunkt: der viel zu früh gespielte Hit „L.E.S. Artistes“ und das Clash-Cover „Guns Of Brixton“. Letztgenanntes gibt in dieser Interpretation aus schneeweißem Punk und schwarzen Soulbeats schon die Richtung vor für die Band, auf die an diesem Abend alle warten: die Grenzgänger zwischen Black und White Music, Disco und Indie. Pop und Avantgarde – TV On The Radio. Als der Titelsong ihrer Debüt-EP „Young Liars“ durch das Studio 1 dröhnt, glaubt man noch, derMannam Mischpult sei nur gerade mal in bayrischer Gemütlichkeit ein Bier holen gegangen und werde den Sound danach schon richten. Die Gitarren von Dave Sitek und Kyp Malone überdecken mit geschrummeltem Sonic Youth-Noise jede Nuance dieses sonst so atmosphärisch-dichten Stücks. Tunde Adebimpe muss sich ganz schön anstrengen, um überhaupt eine Spur in diesem Gemisch zu hinterlassen. „Wrong Way“ und „Golden Age“ gehen dann ebenfalls unter, den Bassisten und Keyboarder Gerard Smith kann man weder im dunklen Bühnenhintergrund noch im Mix erkennen.
Das muskulöse „Wolf Like Me“ lässt eine Struktur zumindest erahnen. Als schließlich das auf „Dear Science“ so betörende „Shout Me Out“ ebenfalls droht, im white noise unterzugehen, und ich mich unter Schmerzen an einer immerhin leicht wogenden Menge vorbei zum Ausgang winde, fällt mir auf halben Wege auf, dass der Sound sich verändert hat, auf – wie Werner Hansch sagen würde – halblinker Position plötzlich dunkler, tiefer, ja: tiefschwarz wird. Die HipHop-Referenzen in „Dancing Shoes“, der Funk in „Red Dress“, die Harmonien in“DLZ“-plötzlich ist alles da, wo es hingehört. Fast eine Epiphanie, zum Heulen schön jedenfalls.
Ungewollt scheint dieser Auftritt eine Art Soundinstallation geworden zu sein, in der man herumlaufen muss, um den Geist der Songs aufzuspüren, ein anamorphotisches Gemälde, das in der Frontalansicht nicht viel mehr ist als ein weißer Fleck und sein Geheimnis erst aus einem geänderten Blickwinkel offenbart. „Satellite“ und „Crying“ erwischen m ich—auf der Suche nach neuen Perspektiven – wieder in ungünstiger Position, kein Doo-Wop im erstgenannten Stück, keine Prince-Verweise im zweiten. Zumindest nicht dort, wo ich mich aufhalte. Zu „A Method“ legen Malone und Sitek ihre Gitarren beiseite, alle schnappen sich ein Instrument zum Rhythmusschlagen, führen einen Gospelgottesdienst auf die Straßen von Williamsburg, Brooklyn und schieben die Beach Boys in den Ghettoblaster.
Zum Abschluss stimmt Tunde Adebimpe -natürlich -„Staring At The Sun“ an. „You’re staring at the sun/ You’re Standing in the sea/ Your mouth is open wide/ You’re trying hard to breathe.“ An diesem Abend in München konnte man direkt in die Sonne schauen, bis die Augen schmerzten und der Schweiß einem den Rücken hinunter lief. Doch mancher stand leider im Schatten und verließ das Studio 1 des BR bald enttäuscht in die dunkle Nacht.