TV-Musik nach Quoten
Rockpalast und Power Vision: ARD und ZDF bringen den Rock wieder ins Fernsehen zurück. Zumindest vorläufig
Der Mann ist WDR-Redakteur. Er spricht von „veränderten Diskussionsebenen“, vom „verschobenem Minderheitenbewußtsein in der ARD“ und von seinem letzten Abi-Treffen, das „eine Verdinglichkeit seiner selbst“ gewesen sei. Das ist das Vokabular, mit denen er in der Programmkonferenz für seine Sache ficht, die Rock’n’Roll heißt, und für die er sich wahrscheinlich sogar seine langen grauen Haare abschneiden ließe, wenn das sein Programmdirektor allen Ernstes von ihm verlangen würde. Das tut er aber nicht. Statt dessen hat er ihn am Samstag zuvor aus dem Dritten ins Erste gehievt, wegen der Ebenen und dem Bewußtsein, „und weil die Kollegen vom Mainzer Lerchenberg uns ein bißchen in Zugzwang gebracht haben“. So kam es, daß es ihn auf einmal wieder gab, in ganz Deutschland und nicht nur auf WDR 3: den „Rockpalast“ mit Peter Rüchel. Ein bißchen verwundert’s schon: Jahrelang wurde alles, was nicht nach „Musikantenstadel“ klang, aus den Programmen der Öffentlich-Rechtlichen herausgestrichen – was abstruserweise dazu führte, daß Michael Jacksons Neuneinhalb-Minuten-Auftritt bei Gottschalk zum musikalischen Höhepunkt eines kompletten Fernsehjahres avancierte. Dann präsentierte das ZDF plötzlich mit neugegründeter Abteilung („Show IV“) und einem aufpumpbaren Gebilde namens „Mediadrom“ (das wie eine Kreuzung zwischen Kampfstern Galactica und diesen Hüpfburgen aussieht, in denen bei Pfarrfesten herumgehopst wird) „das musikalische Beben beim ZDF“ (Pressetext). Und die ARD antwortete flugs mit dem „Rockpalast“.
Tja, sagt Peter Rüchel, die Gunst der Stunde. Das Riesenarchiv mit den unbegrenzten TV-Rechten. Und eben dieses geänderte Bewußtsein, „etwas tun zu müssen“: „Schauen Sie sich doch einmal die Nachmittagsschienen von ARD und ZDF an. Da hat sich doch dieser Unheilszirkel der Anpassung an die Privaten längst vollzogen.“ Und weil man zumindest nachts anders sein wollte ab die, sei es gar nicht so schwer gewesen, den Neuanfang zu wagen: „Wir wollten’s noch einmal wissen, es einfach noch einmal versuchen. Musik im Fernsehen kann doch nicht nur aus Videoclips bestehen…“
Wenn’s nach Peter Rüchel ginge, wäre Musik im Fernsehen vor allem eines: Live. l:l-Übertragungen wie damals, meint er und massiert den Schirm seiner Baseball-Kappe, sowas könnte er sich gut vorstellen. „In der Grugahalle. Auf der Loreley. Beim Bizarre-Festival.“ Die erste neue ARD-Rocknacht (bei der unter anderem ein Lenny-Kravitz-Auftritt und Ausschnitte vom Bizarre-Festival gezeigt wurden) sei so was wie ein Testfall gewesen: „Alles andere wird auf höchster Ebene entschieden.“
Quote? Weiß er nicht. Aber das Telefon hat geklingelt, stundenlang und ununterbrochen. Und Faxe haben sie ihm geschickt, die Fans überall in Europa, Faxe mit „Welcome back!“ drauf oder mit „Keep on rocking, Peter!“ Seine Lieblingsbotschaft malt er auf: „Schluß mit den NRWDR-Privilegien – ‚Rockpalast‘ ins Erste!“ Das, meint er, zeige doch vor allem eines: Da draußen sind Leute, welche sich mit dem Produkt „Rockpalast“ identifizieren.
Dr. Arnd Grötz ist so gut wie nie da – Konferenzen, Besprechungen, Meetings. Der Vielbeschäftigte ist Leiter der Abteilung „Show IV“ und Erfinder von „Power Vision“, einer Rock-Veranstaltung nach Sparten: Zehn, zwölf Bands einer Musikrichtung spielen jeweils vier Songs, das ZDF zeichnet das Ganze auf und sendet es dann in einer der folgenden Samstagnächte. Weil man „beweglich bleiben wollte“, ließ man das futuristische Mediadrom konstruieren, das man vor allem auch im Osten der Republik aufpumpen will, da es bloß in Rostock eine passende Halle gibt Drei „Power Visions“ wurden bisher gesendet: „Deutsch pur“, „Alternative“ und „Dancecharts“. „Do The Hustle“, die vierte, ein Veteranentreff altgedienter Bubblegum-Haudegen wie den Rubettes, bringt das ZDF am 18. Februar zur familienvereinigenden Sendezeit von 20.15 Uhr. „Das ist aber eher die Ausnahme“, meint Grötz, „wir konzentrieren uns schon auf ein junges Publikum, das auch live vor Ort mitgeht.“ Das ist aber noch etwas Werbung nötig: Bei der „Alternative“-Nacht mit Bands wie Clawfinger oder Waltari sah die Mehrheit der Besucher nämlich eher nach einem Pfadfinder-Treffen aus.
Die vier ersten „Power Visions“ wurden auf einem ehemaligen US-Flugplatz bei Mainz aufgezeichnet. Da hatte man den Platz, der in Essen auf dem Gelände der Grugahalle fehlte. – Kollege Rüchel findet das mit dem Zelt neben „seiner“ Grugahalle „eine reichlich obzöne Idee“. Und er kann sich auch nicht mit der ZDF-Philosophie anfreunden, Rockmusik ganz offen mit dem Hauptziel Vermarktung zu präsentieren.
Und wie soll’s weitergehen? Grötz möchte seine „Power Vision“ am liebsten jede Freitagnacht im Programm sehen, „das ist jedoch ein Wunsch, über den nicht ich allein zu entscheiden habe“. Und der „Rockpalast“? Rüchel bleibt im Dritten und glaubt an einen regelmäßigen Sendeplatz in der ARD, „das hängt noch von einigen Entscheidungsabläufen ab“. Die Einschaltquote, hofft Rüchel, soll dabei nicht unbedingt das Maß aller Dinge sein: „Uns ist klar, daß wir ein Randgruppen-Programm machen. Ich glaube nur, daß es eine ziemlich große Randgruppe ist“
Darauf hofft auch Grötz. Wenn es aber am Ende zu wenige sehen wollen? „Dann“, sagt er, „haben wir’s wenigstens versucht.“