Tunes in Cartoons
Musik-Comics haben in unterschiedlichen Ausprägungen seit einiger Zeit Konjunktur. Eine kritische Bestandsaufnahme
Nicht zuletzt die Plattenfirmen haben immer wieder gern die Popularität des Comics für die Auratisierung und massenwirksame Vermarktung ihrer Stars genutzt. Bereits die Monkees bekamen ihren eigenen Comic – die Beatles mit „Yellow Submarine“ sogar einen Zeichentrickfilm -, viel später auch die Ärzte und der Wu-Tang Clan; Kiss, ohnehin als inkarnierte Superhelden an die Öffentlichkeit getreten, ließen sich gleich eine mehrteilige wilde Räubervita zeichnen.
Es gab jedoch auch immer wieder ästhetisch avancierte Versuche, sich des Themas anzunehmen. Zuallererst muss man wohl Robert Crumbs biografische, stilistisch kongeniale Annäherungen an die alten Bluesmen nennen, bereits 1993 gesammelt in „Robert Crumb Draws the Blues“ – und immer noch nicht übersetzt. Joe Sacco hat seine Tour-Erfahrungen mit der Punk-Band Miracle Workers in einer Comic-Reportage festgehalten, nachzulesen in dem Sammelband „But I Like It“, der auch seine grandiose Reportage über das Fat-Possum-Label enthält („The Rude Blues“). Jacques Loustal entwirft in „Besame Mucho“ eine atmosphärisch stimmige Introspektion des Jazzmilieus der Nachkriegszeit, und Munoz/Sampayo zeichnen ein empathisches Porträt von „Billie Holiday“.
Solche „Biographics“ haben sich in den letzten Jahren auf dem deutschsprachigen Comicmarkt, gewissermaßen parallel zur Konjunktur der Musiker-Biopics, als eine Art Bonsai-Trend durchgesetzt. „Zappaesk“ von Andreas Rausch ist weniger eine Biografie als eine ambitionierte, durchgeknallte und insofern wirklich kongeniale Adaption der Collage-Ästhetik Zappas. Reinhard Kleists „Cash – I see a darkness“ lässt sich schon eher als Lebensbeschreibung des „Man in Black“ lesen. Kleist hat ein gutes Auge für historische Lokalitäten und ein feinfühliges Sensorium für Stimmungen und Atmosphären: Seine Illustrationen etwa des Folsom-Prison-Auftritts und der kanonischen Cash-Songs sind mimetische Meisterleistungen.
Der gerade erschienene, ebenfalls von Kleist zusammen mit Titus Ackermann herausgegebene, von diversen Zeichnern gestaltete Band „Elvis – die illustrierte Biographie“ fällt dagegen enorm ab. Wie schon in dem von Jörg Scheller und Christoph Tauber besorgten „Inter View“-Band stört die stilistische Heterogenität. Aber dort war es zumindest motiviert durch die Vielzahl der musikalischen Hausheiligen – von Adam Green bis Lemmy -, denen sich die unterschiedliche Zeichnertemperamente nähern sollten. Hier wird der Mythos zum bloßen Flickenteppich. Fast noch schwerer wiegen die bisweilen erschreckende Schlichtheit der Dialoge sowie der Umstand, dass diese biografischen Skizzen auch inhaltlich nie über die üblichen Allgemeinplätze hinauskommen.
Eine weitere Untergruppe bilden die reinen Fiction-Comics. In Andreas Michalkes autobiografisch fundierten Büchern „Smalltownboy“, „Monovision“ und „Bigbeatland“ etwa oder in der „Love & Rockets“-Serie der Gebrüder Hernandez ist Musik, vornehmlich Punk und Indie, integratives Element einer bestimmten Jugend- und Gruppenkultur und zugleich wesentlicher Sozialisationsfaktor. So auch in Peter Bagges „Hate“-Serie um seinen Jedermann Buddy Bradley. Im Sammelband „Buddy does Seattle“ etwa fängt Bagge sensibel den Habitus, die Dress- und Sprach-Codes der Slacker-Kultur der 90er Jahre ein und lässt Buddy unter anderem eine Band managen, in der auffällig viele Mitglieder den Namen Kurt tragen.
„Die Band“ selber, so der Titel des besten einschlägigen Comics von Mawil. hat die gleiche Schutz- und Trutzfunktion, nach außen abgrenzend, nach innen
solidarisierend, und kommt deshalb nicht von ungefähr vor allem in Coming-of-age-Geschichten zum Einsatz. So auch in Ai Yazawas großartigem, die Tokioter Jugendkultur der Jetztzeit ausleuchtendem Mädchen-Manga-Epos „Nana“ (bisher 18 Bände) um die Punk-Sängerin Nana Osaki. Oder in Gipis gerade erschienenen „5 Songs“. Mit ein paar exemplarischen Szenen gibt er nicht nur allen vier Musikern ein unterscheidbares Charakterprofil, er beschreibt auch eindrücklich die normal schrecklichen Familienbande, aus denen sich die Jungs mithilfe ihrer Instrumente herausstemmen. Allerdings merkt man dem Buch an, dass er sein Sujet nicht selbst erlebt hat.
Mit Alex Robinsons vielschichtiger, frisch ins Deutsche übertragener graphic novel „Ausgetrickst“ kommen wir schließlich zu einem der Höhepunkte des Musik-Comics. Im Zentrum steht der zynische, inspirationslose Songwriter Ray Beam, der seit fünf Jahren keinen Song mehr geschrieben hat, bis ihm das Latino-Girl Lily wieder auf die Sprünge hilft. Parallel dazu erzählt Robinson auf vier weiteren, zunächst locker, dann immer enger verknüpften Plotsträngen. Virtuos arrangiert er die komplexe Handlung und lässt am Ende alle Personen ohne auffälliges Krachen im Gebälk zu einem großen Showdown zusammenfinden und variiert in seiner polyperspektivischen Story bei allen Protagonisten das Motiv der Täuschung, des trügerischen Spiels mit Images und Identitäten. Auch die grafische Umsetzung ist stupend und überaus ambitioniert. Der Strich ist detailgenau und facettenreich, die Seitengestaltung bisweilen fast experimentell. Nicht zuletzt die aus der Perspektive des schizophrenen Nerds Steve erzählten Szenen, in denen sukzessive der Wahnsinn um sich greift, demonstrieren eindrucksvoll Robinsons zeichnerisches Potenzial. „Ausgetrickst“ ist schlicht herausragend, nicht nur in dem hier umrissenen Subgenre.