Triumph der Kunst
Am 21. August starb Christoph Schlingensief. Der US-Songwriter Rufus Wainwright hatte ein besonderes Verhältnis zu dem Regisseur und seiner Kunst. Eine Würdigung
Christoph hatte immer ein breites Lächeln auf seinem Gesicht. Er konnte sich für alles begeistern. Egal, ob wir über mein Leben sprachen oder – so seltsam das klingt – über seinen Tod. Er hat immer nach vorne geschaut. Er war ein Kämpfer.
Die wenigen Male, die wir uns trafen, war da kein Mitleid, keine Trauer. Weil er mit seinem Optimismus alle mitgerissen hat. Er hat akzeptiert, was mit ihm passierte, er konnte darüber reden und es zum Teil seiner Kunst machen. Das war sehr mutig und hat mich tief beeindruckt. Er war ein wahrer Künstler und machte auch vor seinem eigenen Körper nicht Halt.
Ich habe bisher nur eine seiner Arbeiten gesehen. Seine „Parsifal“-Inszenierung in Bayreuth. Das war 2004, kurz nachdem meine Mutter (die Folksängerin Kate McGarrigle, die Anfang diesen Jahres starb) mit Krebs diagnostiziert worden war. Ich konnte damals nirgendwo Trost finden – weder im Leben noch in der Kunst. Bis ich eben Christophs „Parsifal“ sah.
Natürlich hat auch Wagners Musik eine Rolle gespielt. Aber es war die perfekte Vermählung der großen Oper und ihrer romantischen Todessehnsucht mit Christophs sehr modernem und zugleich sehr emotionalen, direkten Blick auf den Tod. Da haben sich zwei große Geister getroffen auf dieser berühmten Bühne. Für mich war diese Inszenierung ein Blick über die Krankheit und über den Tod hinaus in die Ewigkeit hinein.
Es ist schon seltsam, dass Christoph kurz darauf selbst an Krebs erkrankte. Ich glaube, er hat während der Arbeit in Bayreuth sogar scherzhaft gesagt, dass er davon vermutlich Krebs bekommt. Augenscheinlich hat er alles in dieses Stück gesteckt – seine Kreativität, seine Gefühle, sein Leben.
Ich weiß nicht, welchen Rang diese Inszenierung in seinem Gesamtwerk einnimmt, aber zumindest in meinem Leben war das ein großer Wendepunkt. Der einzige Moment, an dem sich das Leben, die Kunst und das Göttliche trafen. Christophs „Parsifal“ war eines dieser Kunstwerke, die dein Leben sowohl besser als auch schlechter machen, weil es so riesig ist.
Zur Zeit der Aufführung kannte ich Christoph noch nicht persönlich. Ich habe ihn danach über meinen Freund Jörn (Weisbrodt, Wainwrights Lebensgefährte, der Schlingensief über seine Arbeit an verschiedenen Berliner Bühnen kannte), kennengelernt. Sein Englisch war nicht so besonders, aber wir haben uns mit Jörns Hilfe verständigt. Leider konnte ich ihm damals nicht sagen, wie sehr ich für diese Erfahrung in seiner Schuld stehe.
Als wir uns das nächste Mal sahen, war er schon schwer krank. Sie hatten ihm bereits einen Lungenflügel herausgenommen, und er konnte kaum noch Treppen steigen. Ich erzählte ihm von meiner Mutter, und er sagte, was er über die Krankheit dachte. Dass man darüber sprechen muss – auch in der Öffentlichkeit – und nicht so tun kann, als ob nichts wäre. Denn der Krebs nimmt deine gesamte Energie in Anspruch, und Christoph hat bei dem Versuch, ihn zu besiegen, all seine künstlerische und persönliche Kraft aufgewendet. Es ist ein Wunder, dass er mit dieser schweren Krankheit so lange überlebt hat. Das war vielleicht der größte Triumph seiner Kunst.
Aufgezeichnet von Maik Brüggemeyer