Travis im Interview: „Zum Glück war die Polizei schnell da“

Fran Healy über sein Leben in L.A., Armut und Gewalt, einen Hundebiss und das neue Album seiner Band

Seit seinem Umzug von Berlin nach Kalifornien 2018 teilt Fran Healy, 50, spannende Einsichten vom Leben in Los Angeles: von Raubüberfällen und körperlichen Angriffen direkt durch sein Autofenster, aber auch von nervigen neureichen Nachbarn, die in Venice Beach die Palmen zu hoch wachsen lassen. Dennoch fand er Zeit, mit seinen Travis-Kollegen das 10. Album aufzunehmen: „L.A. Times“, mit Geschichten von Skid-Row-Armut und der Befremdlichkeit, die er als Schotte in „Stadt der Engel“ empfindet.

In „L.A. Times“ singen Sie von der Armut, die Sie von ihrem Studio an der Obdachlosenzeltstadt Skid Row aus betrachteten, von Polizeihubschraubern – und alles in beabsichtigt breitestem schottischem Akzent, als wollten Sie sich distanzieren. Sind Sie noch nicht angekommen?

Der Titelsong sollte entweder der erste oder der letzte Song auf dem Album werden. Wir entschieden uns dann, „L.A. Times“ als Finale zu verwenden. Erstens, weil ich darin viel fluche. Zweitens, weil ich befürchtete, mein Bild von der Stadt könnte als so negativ wahrgenommen werden, dass man sich auf die anderen Songs nicht mehr konzentrieren könne. Los Angeles hat das vielleicht größte Obdachlosenproblem in der gesamten westlichen Welt, und mein Aufnahmestudio liegt an der Skid Row. Fast jeder dort ist schwarz, und in L.A. ist der Rassismus allgegenwärtig. Die Kontraste zwischen Arm und Reich sind krass. Ich erinnere mich an einen Typen, der mit seiner Limousine durch die Skid Row fuhr, die Scheibe runterkurbelte und seinen Arm rausbaumeln ließ – an seinem Handgelenk eine Uhr, die Hunderttausende gekostet haben muss. Auch die Klimakrise ist hier sehr präsent, jeden einzelnen Tag. Permanente Überflutungen, häufige Waldbrände.

Einmal wurden Sie fast Opfer eines Überfalls.

Ein Carjacking-Versuch, der Mann wollte mich aus dem Wagen zerren. An einem anderen Tag kam ich nach einem Urlaub zurück in mein Haus und fand eine Gang von Obdachlosen vor. Ich stand dort von Angesicht zu Angesicht Leuten gegenüber, die dich umbringen können. Verstörte Menschen, die man nicht einschätzen könnte. Zum Glück war die Polizei schnell da. Dann biss mich auch noch irgendein Hund in die Hand. Hier zeige ich Ihnen meine Narbe.

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Nun rappen Sie auch. Zuletzt sagten Sie: Wer mit schottischem Akzent rappt, klingt so, als würde man sich bei einem Bibliothekar beschweren.

Ach, für mich ist das eher Spoken Word als Rap! Der Song „L.A. Times“ ein Wutgedicht. Ein Titel wie „The River“ wiederum mag an Springsteen erinnern, aber auch hier setze ich einen Akzent ein, oder eher noch den schottischen Dialekt meiner Mutter, um an meine Wurzeln zu erinnern. Mich erinnert die Platte an „The Man Who“ von 1999 – auf beiden suchte ich nach einer neuen Stimme, eine Stimme, die in Wirklichkeit schon in mir war. Ich fühle mich rastlos. Ich glaube, in ein paar Jahren ziehe ich mit meiner Familie wieder um.

Berlin weiß genau, wo Sie hingehören.

Oh mein Gott, eure Winter … Aber ich habe viele Mails von Berliner Freunden erhalten, als unsere Single „Gaslight“ dort gespielt wurde. Ich hatte Tränen in den Augen, denn hier in L.A. werden ganz andere Sachen im Radio gebracht. Berliner Radiosender sind besser, auch besser als im UK, denn eure Playlisten scheinen demokratisch kuratiert zu werden. Agenda-befreit. Vielleicht liegt es daran, dass Englisch nicht eure Muttersprache ist.

Sie haben oft vom Aufwachsen Ihres Sohns gesungen, der nun volljährig ist. Die Lieder sind manchmal sehr traurig.

Ich musste weinen, als ich vor kurzem „Zurück in die Zukunft“ wieder sah. Beim ersten Mal war ich Zwölf und die Welt noch eine andere. Es fehlt mir, dass keiner mehr auf mich aufpassen kann. Man wird zu schnell erwachsen. Ich vermisse meinen Großvater. Für mich ist Musik die Zeitmaschine. Eine unsichtbare Zeitmaschine voller Codes, die mich in bessere Zeiten transportiert. Man hatte keine Verantwortung, nur Spaß, alles andere mussten die Erwachsenen regeln. Ich glaube, als Künstler hängt man sich an diese Erinnerung und schöpft daraus kreative Kraft. Gleichzeitig weiß ich, dass dieses ach so große Konzept des schlussendlichen Alleinseins Unsinn ist. Alles ist miteinander verbunden, und Musik erinnert einen daran.

„Heute zählt „Gaslighting“ zu den Top-Suchbegriffen im Netz“

Der Single-Titel „Gaslight“ bedient sich eines Modebegriffs. Wie wollen Sie sicherstellen, dass keiner denkt: Da will ein Dad sich bei Jüngeren anbiedern?

Dieses recht neue Wort beschreibt doch eine Verhaltensdynamik, die schon immer existiert hat. Jeden Tag fügen Millionen Menschen anderen das an: Die Erschütterung der Selbstwahrnehmung eines Gegenübers, nur um ihn oder sie zu kontrollieren. Heute zählt „Gaslighting“ zu den Top-Suchbegriffen im Netz. Ich erlebte das selbst mal in einer Beziehung – keiner Liebesbeziehung wohlgemerkt. Es liegt eine große Tragik darin, dass junge Menschen viel anfälliger sind für Gaslighting. Erst ab einer gewissen Reife versteht man, dass man selbst völlig okay ist, während der andere, der Toxiker, dich nur fertigmachen will.

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Auf dem Albumcover stehen Sie und Ihre Kollegen, kaum auszumachen, nachts auf einer Straße in Downtown Los Angeles. Alles scheint verlassen, aber in vielen Häusern brennt durch matte Scheiben noch Licht.

Wir engagierten den Fotografen, der schon frühere Cover für uns inszenierte. „The Man Who“ zeigte uns vier am Morgen, „The Invisible Band“ am Nachmittag, „The Boy With No Name“ zum Sonnuntergang – jene Platte erschien 2006, und ich habe seitdem immer darauf gewartet, mal ein Album aufzunehmen, zu dem eine Nachtaufnahme passt. Bei „L.A. Times“ war es so weit. Das Cover wirkt auf mich wie vom „Time Magazine“.

In „I hope you spontaneously combust“ besingen Sie den urbanen Mythos der „spontanen Selbstentzündung“. Die Vorstellung, dass jemand von selbst in Flammen aufgeht, vielleicht vor Wut, ist auch lustig. Wem wünschen Sie das?

Ich bin kein Freund sozialer Medien, sie holen bekanntermaßen das Schlechteste aus einem hervor. Sie sind wie Crack oder Kokain, bestimmt toll innerhalb der ersten Flashs, pretty fucking good. Aber dann lebt man nur noch im Elend. Für den Song musste ich mich nur im Netz umschauen. Das Netz tut immer so, als wäre es der Times Square der Action und Information. Ist es aber nicht. Der Times Square wird nur passiert, um sein Ziel zu erreichen. Und die wenigen Leute, die sich dort auf Bänke setzen, wollen wenigstens miteinander reden. Im Internet wird nur angestachelt und gehetzt oder Quatsch erzählt. Diese Influencer … und natürlich Donald Trump. „I hope you spontaneously combust“ entstand auf dem Höhepunkt seiner Präsidentschaft. Und natürlich ist die Vorstellung davon auch cartoonesk. Jeder von uns kennt doch den Wunsch: einmal mit dem Finger schnippen, und eine ganz bestimmte Person verschwindet einfach von der Bildfläche.

„Ich muss bei den New Yorkern immer an rasende Moleküle unter einem Mikroskop denken“

In „Naked in New York City“ besingen Sie ihre Liebe zur Ostküstenmetropole.

New York ist meine Lieblingsstadt. Einfach, weil sie dich so sein lässt, wie Du willst. Mehr noch als Berlin sogar. Erstaunlicherweise kümmert sich die Stadt, kümmern sich die Leute dennoch um einen. Berlin ähnelt dem, aber die Menschen dort sind ruhiger. Deutsch halt. Bescheiden. Ich muss bei den New Yorkern immer an rasende Moleküle unter einem Mikroskop denken, die sich immer wieder berühren und danach unbeirrt ihren eigenen Weg gehen, auf dieser Ansammlung kleiner amerikanischer Inseln.

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Bei einem Travis-Wettbewerb hatten Sie unlängst angeboten, für den Gewinner einen Ihrer Songtexte nach Wahl handschriftlich zu verschenken. Welcher gefällt Ihnen selbst am besten?

Vielleicht „Indefinitely“ aus „The Invisible Band“. „Time exists but just on your wrist, so don’t panic /
Moments last and lifetimes are lost in a day / So wind your watches down, please / ‚Cause there is no time to lose“. Ich fand diese Zeilen schon immer gut. Jedesmal, wenn ich sie singe, packen sie mich.

Lesen Sie hier: ein Interview mit Fran Healy über „The Invisible Band“, aus dem Jahr 2021:

In Kalifornien strahlt, wie sich in Berlin aus dem Zoom-Fenster am Rechner erkennen lässt, die Sonne von einem klaren blauen Himmel. Fran Healy hat sich vom Fahrersitz seines Autos heraus zugeschaltet, hat gerade seinen Sohn zur Schule gebracht. Nun steht er auf einem Parkplatz. Er krempelt seinen T-Shirt-Ärmel hoch, zeigt das Pflaster auf seiner Schulter. Jüngst hat er sich impfen lassen. „Ich war im CVS, der Supermarktkette. Habe mich nach einer Corona-Impfung erkundigt und sie gleich bekommen.“ Healy fragt sich, ob das in Deutschland bei den Apotheken (er verwendet das deutsche Wort, er hat mit seiner Familie jahrelang in Berlin gewohnt), wohl auch so schnell ginge. Wenn er doch nur wüsste, wie langsam die Impfungen hierzulande in Gang gekommen sind.

Mit „The Invisible Band“ erscheint nach „12 Memories“, „Good Feeling“, „The Boy With No Name“ und „The Man Who“ das vierte Travis-Album neu auf Vinyl – und als Boxset. Wir sprachen mit Fran Healy über das wichtige dritte Album, die Zusammenarbeit mit Nigel Godrich, Nine Eleven und Paul McCartney.

Ob in „Sing“, oder danach in „Re-Offender“ oder „Another Guy“: In den Videoclips geht es zwischen Ihnen und den Band-Kollegen oft zur Sache. Mal soft, wie bei einer Tortenschlacht, dann ruppig, wenn es zu einer Klopperei kommt. Warum rangelt ihr Vier immer miteinander?
Ich habe keine Ahnung! Ich messe dem aber auch keine tiefere Bedeutung zu. Bei der Eifersuchtsgeschichte im „Another Guy“-Video hatte ich nur den Text im Sinn. „Re-Offender“ basiert auf der Idee des Regisseurs Anton Corbijn. Ich glaube, er hat diese Rangelei deshalb inszenieren wollen, weil Travis das Image einer „netten Band“ hat. He wanted to fuck with that idea. Ein früherer Song wie „Writing To Reach You“ beschreibt eines meiner häufigeren Themen: die Reise des Helden. In „Why Does It Always Rain On Me?“ wurde ich in einen Kofferraum gesperrt. Irgendwas muss bei Video-Regisseuren seitdem hängen geblieben sein, dass sie mich immer wieder in brenzligen Situationen inszenieren. Aber seit meine Bandkollegen mich in diesen Kofferraum sperrten, sind mehr als 20 Jahre vergangen. Ich denke mal, dass wir inzwischen gute Freunde sind.

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Das prächtige kalifornische Landhaus, in dem „Sing“ gedreht wurde – ist das der Schauplatz des rauschenden Fests von Guns N’Roses im „November Rain“-Video?
Ja, eine Villa in Pasadena. Mittlerweile lebe ich ja in Los Angeles, und ich fahre des öfteren durch Pasadena. Wie die Zeit vergeht.

„The Invisible Band“ wurde wie „The Man Who“ von Nigel Godrich produziert, der just zuvor mit Radiohead für „Kid A“ zusammenarbeitete und 2001 der Mann der Stunde war.
Nigel und ich sind beste Freunde. Ich lerne noch immer von ihm, jeden Tag! Zuletzt sprachen wir vor vier Tagen miteinander. Wenn ich ein Demo aufnehmen will und ihn anrufe – „Hey Nigel, ich brauche einen Effekt für die Vocals“ – dann weiß er Rat. Oder „Wir kriege ich es hin, dass sich der Bass besser in das Lied einfügt?“ – und er sagt sofort: „Drehe einfach das AAK ein bisschen runter.“ Ich weiß gar nicht, was das bedeutet! Damals, 2001, befanden sich Travis auf dem Höhepunkt, Nigel auch. Ich denke gerne an ein Foto zurück, das ihn und mich in jenem Jahr zeigt, vor 20 Jahren, in einem Café in Hampstead Heath. Wir waren Kids, wir waren Babies. Und ich denke: Wow, wir haben „The Invisible Band“ aufgenommen. Und er war es, der „The Bends“ schon mitproduziert, der „OK Computer“ produzierte. Aber um ehrlich zu sein, ich weiß oft gar nicht, was er genau da macht am Pult. Er schraubt einfach an Dingen, und dann klingen sie gut. Er ist der Beste. Was er macht, klingt wie Magie.

„The Invisible Band“ war Ihr erfolgreichstes Album. Sie sagten auch, es hätte noch erfolgreicher sein können, wäre es nicht kurz vor Nine Eleven erschienen.
Ja, aber das war mir damals noch nicht so bewusst. Die Terroranschläge in den USA haben die Welt verändert. Keiner wusste, was passieren würde. Das hallt bei uns auch bis heute nach, wenn wir ein Flugzeug besteigen. Die ersten Singles waren „Sing“ und „Side“, dann kam Nine Eleven. Das Momentum war nicht mehr da. Alle unsere Pläne zerstreuten sich. Unsere dritte Single war „Flowers In The Window“, aber zu dem Zeitpunkt waren einige von uns bereits erschöpft – ich nicht. Ich sagte, „Come On!“, weiter geht’s. Nach „Flowers In The Window“ kam unsere Maschine also zum Stillstand. Wir hatten noch drei Konzerte zu spielen, und dann brach sich Neil den Nacken …

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… Ihr Schlagzeuger Neil Primrose brach sich 2002 bei einem Sprung in einen Swimming Pool den Nacken und wäre fast gestorben …
Es war eine harte Zeit. Bildlich gesprochen: Wenn man eine bestimmte Flughöhe erreicht hat, und dann setzen Probleme ein, dann ist es total egal, wie stark man körperlich gebaut ist. Dann reißt es Dir trotzdem das Fleisch vom Leib. Der Druck wird zu groß. Ich muss hier wieder auf Coldplay verweisen. Sie gehen mit dem Druck gut um, sie gingen auch nach Nine Eleven gut mit dem Druck um. Oder U2. Ich weiß nicht, welcher Klebstoff sie zusammenhält, aber sie implodieren nicht, und sie explodieren auch nicht. Und Travis, Coldplay oder U2 sind keine Solokünstler, sie sind eine Band aus jeweils vier Leuten. Das macht eigentlich eine viermal höhere Gefahr, dass jemand irgendwann nicht mehr kann. Wenn ich an 2001 zurückdenke, dann nicht mit Bedauern. Aber in gewisser Weise mit Vorsicht.

Für „Flowers In The Window“ arbeiteten Sie mit Paul McCartney zusammen …
Nein, tat ich nicht.

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Nein? Das ist so aber in vielen Quellen dokumentiert. Ich dachte sogar Ihr Solo-Song „As It Comes“ erhielt deshalb den Titelzusatz „Bass: Paul McCartney“, weil er bei „Flowers In The Window“ keinen Credit erhielt.
Die „Flowers In The Window“-Kooperation ist ein Mythos. Als wir McCartney zum ersten Mal trafen, spielten wir ein wenig rum. Er saß am Klavier, ich hatte meine Gitarre zur Hand. Ich spielte ihm „Flowers In The Window“ vor – er hörte zu und konnte es aus dem Stand beenden. Ich sang den Refrain, und er wusste irgendwie, wie er verlaufen würde. Er sang mit. Journalistische Magie hat später aus „er sang mit“ eine Songwriting-Kooperation gemacht. Ich beschwere mich über die Deutung aber nicht. Wenn mich jemand auf das Lied anspricht, korrigiere ich ihn gerne. Ich liebe Paul, er ist brillant.

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